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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Dichtung und Gegenwart
> Hannah Arendt ist en vogue. Zwei Bücher zeigen ihr vielfältiges Schaffen:
> Arendt als streitbare Intellektuelle und als Dichterin.
Bild: Hannah Arendt: eine Revolutionärin?
Vor vierzig Jahren, am 4. Dezember 1975, starb Hannah Arendt in New York.
Sie, die das Schicksal von Staatenlosen und damit Flüchtlingen sowie die
Brüchigkeit der Menschenrechte ebenso zu ihrem Thema gemacht hat wie die
Frage nach einer Revolution, die ihren Namen wirklich verdient, gibt auch
unseren aktuellen Debatten Stichworte und Argumente vor. Ja, Arendt ist
derzeit in aller Munde, geradezu eine Zeitgenossin: Margarethe von Trotta
hat 2013 einen erfolgreichen Spielfilm über sie gedreht.
Auch der um seine Wiederwahl kämpfende baden-württembergische
Ministerpräsident Kretschmann zitiert sie gerne, mehr noch: Nachdem schon
vor Jahren an der Technischen Universität Dresden ein
„Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung“ etabliert worden ist,
soll nun auch in Stuttgart ein zivilgesellschaftlich getragenes
„Hannah-Arendt-Institut für politische Gegenwartsfragen“ gegründet werden.
Indes eignen sich weder Arendts Leben noch ihr politisches Denken –
Philosophin wollte sie nicht sein – dazu, sie als Ikone, gleichsam als
Schutzheilige für alles, was irgendwie progressiv erscheint, dem Streit zu
entziehen.
Vierzig Jahre nach Arendts Tod sind nun zwei Bücher erschienen, die das
nachdrücklich untermauern. So hat die Autorin Alexandra Popp für alle, die
sich erstmals mit Arendt befassen wollen, eine bestens lesbare, geradezu
spannende Einführung verfasst. Ihr Buch „Hannah Arendt. Eine Denkbiografie“
informiert nicht nur verlässlich über die Grundzüge ihres Werks, sondern
auch darüber, welche Einsichten sie den Erfahrungen ihres Lebens verdankt.
Nicht zuletzt erörtert der Band, in welcher Richtung Arendts Denken in der
globalisierten Welt, die uns gegenwärtig durch die Flüchtlingskrise und den
Terror des IS so nahe ist, wie nie zuvor, weiter zu entwickeln wäre. Dass
Arendt keine Heilige, sondern eine streitbare, oft auch irrende
Intellektuelle gewesen ist, dürfte seit ihren Meinungen zur Rassentrennung
in den Südstaaten wie zum Zionismus bekannt sein; dass Arendt sich auch der
von ihr bewunderten Dichtkunst gewidmet hat, weniger.
## Geliebte Heideggers
Soeben ist ein Bändchen unter dem Titel „Ich selbst, auch ich tanze. Die
Gedichte“ erschienen, das die Germanistin Irmela von der Lühe mit einem
luziden Nachwort versehen hat. Bekanntermaßen war die jüdische Studentin
während ihres Studiums in Marburg in den Jahren 1924 bis 1926 die Geliebte
des verheirateten Philosophen Martin Heidegger, eines Antisemiten,
dessentwegen sie Marburg 1926 verließ. 1925 dichtete sie empfindsam: „Du
fügest zusammen / wie nie unsere Hände/Wir glauben an Treue und fühlen die
Wende / Wir können nicht sagen, wie sehr wir uns einen. / Wir können nur
weinen.“
In der französischen Emigration, Jahre später, war Arendt mit Walter
Benjamin befreundet, dessen Schriften und dessen Denken sie kannte. Ihm,
der sich 1940 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten das Leben nahm,
widmete sie 1942, bereits in New York, unter dem Titel „W.B.“ ein Gedicht,
dessen dritte Strophe Motive von Benjamins Denken aufnahm: „Ferne Stimmen /
naher Kummer-: / Jene Stimmen jener Toten, / Die wir vorgeschickt als Boten
/ Uns zu leiten in den Schlummer.“
Ohne zu behaupten, dass es sich bei diesen spätromantisch empfindsamen
Reimgebilden, die Rilke einiges verdanken, um große Dichtung handelt, wird
man Arendts Gedichte dennoch als eine – neben ihrer Korrespondenz und ihren
Denktagebüchern – wesentliche Quelle zum besseren Verständnis ihres Werks
ansehen müssen, als eine Quelle, die in äußerster Verdichtung Grundmotive
ihrer Lebenshaltung und damit auch ihrer Theorien enthalten.
## Eine Revolutionärin?
War also Arendt, die durchaus auch höchst selbstbewusst konservative
Ansichten vertrat, am Ende dennoch eine Revolutionärin? Ob das im Oktober
1942 (!) ohne Titel verfasste Gedicht ironisch gemeint war, wird sich nur
im Kontext ihres Lebens entscheiden lassen:
„Recht und Freiheit / Brüder zagt nicht / Vor uns scheint das Morgenrot. /
Recht und Freiheit / Brüder wagt es / Morgen schlagen wir den Teufel tot.“
Im Januar des Jahres 1942 waren die USA der Anti-Hitler-Koalition mit
Großbritannien und der Sowjetunion beigetreten, 1942 aber drangen auch die
ersten Informationen über den Massenmord an den europäischen Juden an die
Öffentlichkeit. Auf jeden Fall: Arendt hat selbst, etwa in ihrem Werk „Vita
activa“, betont, dass Dichtung „gewissermaßen (die) menschlichste und
unweltlichste der Künste ist“.
3 Dec 2015
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Hannah Arendt
Walter Benjamin
Martin Heidegger
Walter Benjamin
Terroranschlag
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