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# taz.de -- Die Wahrheit: Lehrer, Führer, Vorbild
> Eine Reise in die Vergangenheit des AfD-Politikers Björn Höcke, der aus
> Bad Sooden-Allendorf stammt.
Bild: Tausendsassa Höcke: 33 und 45 sind eher was für die Mathematik
Wer im hessischen Bad Sooden-Allendorf aus dem Bus steigt, findet sich in
einer kleinstädtischen Idylle wieder. Blumenrabatten, dahinter
Fachwerkhäuschen, die frisch gefegten Bürgersteige spiegeln sich in den
Fenstern.
In der Ferne hört man, wie ein Minigolfschläger mit leisem Tocken den Ball
trifft. Der 8.000-Seelen-Ort an der Grenze zum Wurstland Thüringen liegt
fast im geografischen Mittelpunkt Deutschlands und blickt auf eine knapp
tausendjährige Geschichte der Salzgewinnung zurück.
Das Wahrheit-Reportage-Team ist mit Silke Eschstruth verabredet, die bei
hausaufgaben.de aufgefallen war. „Bisher hatten wir in Geschichte 3.000
Jahre Europa und 1.000 Jahre Deutschland“, schreibt die 15-Jährige dort.
„Bei unserem neuen Lehrer muss ich viel mehr auswendig lernen, 33 und 45
hatte ich sonst nur in Mathe. Ist das normal?“
Außerdem fragt die offenbar von vielem überforderte Gymnasiastin, wie sie
ihr Geschichtsbuch klittern könne. Der Weggang ihres Lieblingslehrers
scheint ein gewaltiges Loch gerissen zu haben. Wir wollen der Sache auf den
Grund gehen.
Am Brunnen vor dem Tore biegen wir in den Huhngraben ein, nähern uns der
Rhenanus-Schule. Auf dem Hof kommt uns ein rotwangiges Mädchen mit blondem
Zopf entgegen. „Silke?“ – „Guten Tag“, sagt sie und knickst artig. Wir
setzen uns unter eine dickstämmige Eiche. Mit zitternden Fingern blättert
Silke durch ihr Geschichtsbuch. Viele Seiten sind herausgerissen, auf den
restlichen sind ganze Sätze durchgestrichen. Einige Wörter sind geschwärzt,
anderswo wurden längere handschriftliche Kommentare eingefügt.
## Geschichte in Tausendjahresabschnitten
„Wenn Herr Höcke morgens reinkam, hat er erst mal sein Deutschlandfähnchen
aus dem Sakko gezogen, energisch ausgeschüttelt und dann über die Lehne
gehängt“, sagt die Schülerin. „Damit waren die ersten zehn Minuten rum.“
Auch der Rest der Stunde habe sich bei Lehrer Höcke schlicht gestaltet, er
habe stets in Tausendjahresabschnitten gedacht und viel vom Morgen- und
Abendland erzählt. „Ich musste mal ein Referat über Max Emmanuel II., den
großen Verteidiger europäischer Werte, machen“, sagt Silke, „der hat dama…
schon gegen die Türken gekämpft.“
Solche Verbindungen zu aktuellen Problemen fehlen ihr nun im Unterricht.
Höcke habe den Schülern gern eine rote Karte gezeigt, wenn sie nicht genug
Patriotismus an den Tag legten. „Das hat uns Schüler erst verwirrt. Jetzt
sehen wir, dass seine Anhänger Politikern die rote Karte zeigen. Vielleicht
wollte er einfach Schiedsrichter werden. Der Höcke hat ja auch
Sportwissenschaften studiert“, sinniert sie.
Silke vermisst vor allem das Zusammenhöcken in den Pausen, das ihr viel
Rückhalt gegeben habe. Nun ist sie sichtlich verunsichert: „Wem kann ich
noch glauben?“
Ganz anders ihre Klassenkameradin Fatima Samet. Sie hat in Höckes
Unterricht viel Selbstvertrauen gewonnen. „Er hat immer gesagt: Fatima,
wenn es dir hier nicht mehr gefällt, hast du immer noch dein Syrien.“ Als
sie mal fragte, wo eigentlich Syrien liege, machte Höcke seinen Oberkörper
frei, spannte den Bizeps an und zeigte Richtung Tür: „Da musst du hin, dann
da und die nächste links.“
## Nachwuchs in der ortsansässigen Höckejugend
Als Vorzeige-Sportlehrer legte Höcke viel Wert auf Disziplin und Gehorsam
und trimmte den Bad Sooden-Allendorfer Nachwuchs in der ortsansässigen
Höckejugend (HJ). Josef Klinkerfuß war damals dabei. Er starrt aus dem
Fenster, blauäugig, das blonde Haar streng zur Seite gekämmt. Noch immer
steigt Begeisterung in ihm hoch, denkt er an seine Zeit bei der
Höckejugend. Stolz zeigt der 20-Jährige eine HJ-Sommermütze und streicht
sachte über den braunen Filzstoff. „Wir waren wie eine große Familie. ,Die
Keimzelle der Gemeinschaft ist die Familie‘ – das hat der Bernd schon immer
gesagt“, lächelt Josef. „Er nannte mich ,Windhund‘. Ich war der Schnells…
von allen.“
Josef kramt eine Urkunde heraus, vorsichtig bläst er Staub von der
Oberfläche. „Deutscher Knabe, vergiss nicht, dass du ein Deutscher bist,
und Mädchen, gedenke, dass du eine deutsche Mutter werden sollst!“, liest
er mit strammer Stimme vor. „Für ein vorbildliches Führungsverhalten und
herausragenden Leistungen in der körperlichen Ertüchtigung. Dem Kameraden
Windhund“.
Mit Höckes Abgang in die Politik haben die Jugendlichen aus Bad
Sooden-Allendorf ihr Vorbild verloren. Josef ist einer der wenigen, die
geblieben sind. Die meisten seiner HJ-Kameraden haben das Städtchen
verlassen und arbeiten jetzt als Statisten auf Höckes Kundgebungen. „Wir
sind das Volk“ rufen, Fahnen schwenken, Journalisten verprügeln – Josef
schüttelt den Kopf, für ihn kommt das nicht in Frage. Stattdessen wünscht
er sich die alten Zeiten zurück. Sehnsüchtig starrt er auf ein Foto, auf
dem Höcke mit den Jungen der HJ posiert, und beginnt leise vor sich hin zu
summen: „Wir woll‘nnicht ruh‘nund rasten nicht, bis Deutschland wieder
frei…“
30 Nov 2015
## AUTOREN
Baran Datli
Uta Schleiermacher
Hannah Wagner
Paul Toetzke
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Björn Höcke
Geschichte
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt AfD
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