# taz.de -- Virus zerstört Spenderniere: Medikament weckt Schläfer | |
> Ein Medikament zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach einer | |
> Transplantation ruft ein gefährliches Virus auf den Plan. | |
Bild: Nach der Nierentransplantation müssen die Abstoßungsreaktionen unterdr�… | |
BERLIN taz | Auf eine Spenderniere warten zu müssen, diese nur schwer zu | |
ertragende Geduldsprobe durchleiden in Deutschland zur Zeit rund 8.000 | |
DialysepatientInnen. Durchschnittlich warten sie fünf bis sechs Jahre. Was | |
aber mag es für Betroffene bedeuten, wenn sie das ersehnte Organ erhalten | |
haben und erleben, wie es versagt? | |
Solchen Fällen ging ein Team am Departement Biomedizin der UniBasel unter | |
Leitung von Professor Hans Hirsch nach, allein mit finanziellen Mitteln | |
ihrer Hochschule. Den ersten Verdacht hatten die WissenschaftlerInnen im | |
Rahmen der Grundlagenforschung beim Untersuchen natürlichen Nierengewebes | |
von Operierten geschöpft. | |
Sie untersuchten Urin- und Blutproben von weiteren 600 PatientInnen und | |
stellten fest: bei 10 bis 20 Prozent von ihnen entzündeten sich die | |
Spendernieren mit dem BK-Polyomavirus (BK-Virus) und schrumpften: dank der | |
Wirkung des Medikaments Tacrolimus. | |
Dieses verabreicht man seit etwa zehn Jahren standardgemäß nach | |
Nierentransplantationen als sogenannten Immunsuppressor, damit das | |
körpereigene Immunsystem der PatientInnen die neuen Organe nicht abstößt. | |
Was aber das Virus betrifft, so schlummert es gewöhnlich in unser aller | |
Nieren, ohne dort Unheil anzurichten. | |
„Und wenn es jetzt aufwacht, dann denkt man erst mal, das ist jetzt so, | |
weil die Abwehrzellen geschwächt sind“, erklärt Hans Hirsch: „Aber hier | |
sieht der molekulare Mechanismus komplizierter aus: das Medikament kurbelt | |
die Vermehrung des Virus zusätzlich an.“ Dies geschieht auf dem Umweg über | |
ein Bindeprotein namens FKBP-12 in den Nierenzellen. Letzteres hat eine Art | |
Handbremsenfunktion für die Vermehrung des Virus, und diese Blockierung | |
fällt aus, wenn Tacrolimus an das Protein andockt. | |
Also lieber zurück zum Vorgänger Cyclosporin oder zu neuen Medikamenten? | |
Der Biomediziner legt einen vorsichtigen Umgang mit den primären Resultaten | |
seiner Studie nahe: „Auch die schon länger bekannten Medikamente haben ja | |
ihre Nebenwirkungen. Cyclosporin hat man unter anderem wegen seiner | |
stärkeren Nephrotoxizität aufgegeben, das heißt, es wirkte giftig auf | |
Nierenzellen.“ | |
## Virusinfektion in der Kindheit | |
Auch von Zusatzfaktoren bei den möglichen Spendern und Empfängern hänge ab, | |
ob es zu Entzündungen mit dem BK-Virus kommt: „Zum Beispiel haben manche | |
Leute einfach von sich aus eine sehr starke Resistenz gegen dieses Virus, | |
auch noch unter den diese sonst beeinträchtigenden Medikamenten. Das sind | |
unseren Beobachtungen nach vor allem Frauen. Es liegen noch keine Studien | |
dazu vor. Aber wir bekommen dieses Virus meist in der Kindheit. Und der | |
häufigere Kontakt von Frauen mit kleinen Kindern könnte vielleicht da eine | |
Rolle spielen.“ Hirsch plädiert dafür, die Medikamentengaben zu | |
personalisieren: „Es gibt Leute, die vertragen keine Zwiebel und andere | |
keinen Alkohol.“ | |
Inzwischen sind schon Medikamente mit einem anderen Wirkmechanismus in | |
Gebrauch, die sogenannten mTOR-Inhibitoren Sirolimus und Everolimus. Sie | |
gelten dem Tacrolimus gegenüber als die schwächeren Immunsuppressoren. | |
Dafür können sie ganz nebenbei die Vermehrung des BK-Virus blockieren – am | |
effektivsten zu deren Beginn. | |
Hirsch plädiert für eine Zweiphasenlösung: nach der Transplantation bei | |
Personen, die es vertragen, zuerst mit der Keule Tacrolimus die Immunabwehr | |
senken! Sobald die PatientInnen kräftiger werden und das Virus verwundbar, | |
sollte man auf Sirolimus oder Everolimus in Kombination mit anderen | |
Medikamenten umsteigen. | |
Die Baseler sehen genug Forschungsbedarf. Es gilt nicht nur | |
herauszubekommen, wem die ÄrztInnen nach Transplantationen welchen | |
Medikamentencocktail verabreichen sollten, sondern: wem welchen wann? | |
29 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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