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# taz.de -- Montagsinterview Cafe-Einstein-Chef Gerald Uhlig: "Ein unmoralische…
> Das Café Einstein Unter den Linden ist eine Berliner Institution. Einmal
> wollte ein Mann das Kaffeehaus kaufen - und bot im Gegenzug eine gesunde
> Niere. Die hätte der Inhaber Gerald Uhlig dringend gebraucht, denn er
> leidet an der lebensbedrohlichen Krankheit Morbus Fabry.
Bild: Gerald Uhlig im Kaffeehaus Einstein Unter den Linden
Taz: Herr Uhlig, wie geht es Ihnen?
Gerald Uhlig: Ich fühle mich gerade in der letzten Zeit gut und richtig
kräftig, habe einen regelrechten Aktivitätsschub. Es gibt allerdings immer
wieder auch Phasen, in denen ich schnell erschöpft bin und mich
zurückziehen muss.
Sie leiden an Morbus Fabry. Was genau ist das?
Eine seltene genetisch bedingte, also vererbte Multisystemerkrankung. Mir
fehlt ein entscheidendes Enzym, das dafür da ist, Abfallprodukte, die
ständig im Körper entstehen, zu entsorgen. Wenn dieses Enzym nicht
vorhanden ist, lagern die Stoffe sich im Körper ab: am Herzen, an den
Nieren, in den Blutgefäßen - überall. Sie müssen sich einen Fabrykörper wie
eine Küche vorstellen, wo jahrelang niemand den Müll rausgebracht hat. Die
Organe verschlacken und verkleben. Bei mir hat sich die Krankheit vor allem
in wahnsinnigen Bauchkrämpfen und einem schrecklichen Brennen in Händen und
Füßen geäußert.
Ihre Mutter ist an Morbus Fabry gestorben, ohne zu wissen, woran sie leidet
…
Ja.
… und auch bei Ihnen dauerte es 53 Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert
wurde.
Ja, bei mir war die Wartezeit, Ungewissheit und Qual ein absoluter Rekord.
Im Durchschnitt müssen Menschen, die an seltenen Krankheiten leiden,
zwischen 10 und 30 Jahren auf eine Diagnose warten.
Wie kam es schließlich dazu?
Zufällig. Ich bin jahrzehntelang vom Kardiologen zum Nephrologen, vom
Nephrologen zum Neurologen gelaufen - aber kein Arzt hat einen Zusammenhang
zwischen meinen Symptomen herstellen können. In der medizinischen
Ausbildung spielen eben hauptsächlich die Krankheiten eine Rolle, die auf
dem Laufsteg der Wahrnehmung auf- und ablaufen: Krebs, Aids - die
Bestsellerliste der Krankheiten eben. Für seltene Krankheiten wie Morbus
Fabry fehlt es in der Ärzteschaft an Interesse und Know-how. Deshalb nennt
man uns auch die Waisenkinder der Medizin.
Wer hat den Zusammenhang dann hergestellt?
Das geschah über meine Cousinen, die mir von ähnlichen Symptomen bei sich
berichteten. Deren selten kompetenter Arzt hat dann eins und eins
zusammengezählt: dass es sich nur um eine genetisch bedingte
Stoffwechselkrankheit handeln kann und das dann auf Morbus Fabry
eingegrenzt. Da lag ich schon im Krankenhaus.
Sie brauchten dringend eine neue Niere - und bekamen sie von Ihrer Frau.
Deswegen sagen Sie immer wieder, das Café Einstein Unter den Linden habe
Ihr Leben gerettet.
1996 haben wir das Einstein eröffnet, am 21. März, Frühlingsanfang. Kurz
danach gehe ich zum Arzt, eine Routineuntersuchung, und der stellt eine
Niereninsuffizienz fest. Das war natürlich ein großer Schock - erst recht,
als ich merkte, wie schwierig es ist, in Deutschland ein Spenderorgan zu
bekommen. Ich musste dann alle 14 Tage zur Kontrolluntersuchung und bekam
jedes Mal mit, wie meine Nieren schwächer und schwächer wurden. Jetzt mache
ich einen Ereignissprung: Eines Tages sitzt hier im Kaffeehaus eine
Argentinierin, Mara Romero, die mir gefiel, und mit der ich mich deswegen
bekannt gemacht habe. Und diese Mara Romero hat mir auf den Tag genau zehn
Jahre später, am 21. März 2006, ihr Organ gespendet. Das Kaffeehaus, das
ich mit viel Liebe aufgebaut habe und bis heute noch mit all meinen wachen
Sinnen betreibe, hat mir etwas zurückgegeben, indem es mir meine Frau
hierher geschickt hat, die mir durch die Transplantation ein zweites Leben
geschenkt hat.
Auf den Tag genau zehn Jahre nach Eröffnung des Cafés?
Ja, das war aber purer Zufall, denn der Operationstermin war abhängig von
der zu Ende gehenden Entgiftungsleistung meiner Nieren. So kam es, dass wir
das Jubiläum in aller existenziellen Stille in der Klinik feierten.
Diese Geschichte erzählen Sie in Ihrem Buch, genau wie die von einer
unheimlichen Begegnung hier im Café, die Sie in Gewissensnöte gestürzt hat.
Man hat ja schon viel davon gehört, dass in Schwellenländern Menschen für
sehr wenig Geld ihre Nieren abgekauft und dann sehr teuer weiterverkauft
werden, weil besonders in Deutschland aufgrund der desolaten
Organspendegesetzgebung ein eklatanter selbstverschuldeter Mangel an
Organen herrscht. Und dieser Mann, der eines Tages hier hereinschneit und
seiner Frau das Café Einstein schenken will, bietet mir eine neue Niere an,
vorausgesetzt, ich verkaufe ihm das Kaffeehaus. Was machen Sie also? Auf
der einen Seite wollen sie nicht, dass der absolut gesunde Körper Ihrer
Frau, die Ihnen dieses wundervolle Angebot gemacht hat, aufgeschnitten, ihr
Leben gefährdet wird, auf der anderen Seite wissen Sie aber auch, dass Sie
bald sterben werden, wenn Sie nichts unternehmen.
Ein Traum hat Ihnen dann die Entscheidung abgenommen.
Ja, dieser Traum hat mir nochmal auf unheimlich drastische Art und Weise
klargemacht, wo diese Organe herkommen, wie die Schwarzhändler arbeiten,
sodass ich mich schweren Herzens für das Angebot meiner Frau entschieden
habe. Ich kann aber jeden Menschen verstehen, der in seiner Verzweiflung
auf ein solches unmoralisches Angebot eingeht.
Warum haben Sie über Ihre Krankheit ein Buch geschrieben?
Weil ich zum einen gerne Bücher schreibe und sich zum anderen mein eigener
Körperkrimi als Stoff geradezu aufdrängte. Dem Buch voraus ging ein Artikel
im Spiegel über Morbus Fabry und mich. Dadurch wurde eine Familie in der
Provinz auf die Krankheit aufmerksam, unter der alle fünf Kinder und die
Mutter leiden. Auch sie sind wie ich jahrelang von Pontius zu Pilatus
gerannt, ohne dass ihnen jemand helfen konnte. Jetzt, durch die
Veröffentlichung, bekommen sie wie ich ein sündhaft teures Medikament gegen
Fabry. Da war mir klar, wovon mein neues Buch handeln musste. Geschrieben
habe ich es dann, als ich nach der Nierentransplantation nach Hause kam und
noch zu geschwächt war, um wieder am Leben draußen teilzunehmen.
Warum ist Ihre Familiengeschichte darin so dominant geraten?
Eine Lust am Erzählen meiner Familiengeschichte hatte ich schon immer. Die
Familie ist doch das Elementarste im Leben eines Menschen, und bei uns ging
es dazu noch so tragisch bis komisch zu, also erzählenswert. Dramaturgisch
gab es zwei Möglichkeiten: Entweder ich stelle mich als
Identifikationsfigur zur Verfügung oder ich mache eine fiktive Geschichte
daraus. In letzterem Fall hätte ich aber befürchtet, dass über das Problem
des Organmangels in Deutschland hinweggegangen wird mit der Begründung, das
sei ja Fiktion. Das ist aber keine Fiktion, sondern eine für uns alle
bedrohliche Realität. Also habe ich die Tür in mein Innerstes geöffnet und
lade den Leser ein, hindurchzuflanieren.
Wie politisch ist Ihr Buch?
Sehr. Einmal brauchen wir viel öffentliche Aufklärung über die seltenen
Krankheiten - es leiden nämlich über vier Millionen Menschen darunter und
viele wissen es nicht. Und wir brauchen in Deutschland dringend eine
Widerspruchslösung bei der Organspende. Das heißt, jeder ist vom Gesetz her
Spender, es sei denn er widerspricht. Im Moment haben wir die
Zustimmungslösung, den freiwilligen Organspenderausweis, den kaum jemand
besitzt, was die Wartelisten immer länger werden lässt. Täglich sterben bis
zu fünf Menschen von der Liste. Die Wahrscheinlichkeit, zeitlebens zum
Spender zu werden, ist um ein so vieles geringer, als Empfänger werden zu
müssen. In Sachen Organspende muss ein neues Bewusstsein her. Da ist die
Politik gefordert, das Thema auch wählerkompatibel rüberzubringen. Aber
vorher müssen wir alle von unserem eigenen Verdrängen weg und eine andere
Haltung der Endlichkeit und dem Tod gebenüber finden.
Wie kommen Sie darauf, dass das nötig ist?
Es kann nicht angehen, dass über 98 Prozent der Bevölkerung bei einer
Umfrage gesagt haben, dass sie ein Spenderorgan zur Lebensverlängerung
annehmen würden, aber nur 10 Prozent der Befragten nach ihrem Ableben auch
ein Organ spenden würden!
Bei Ihnen im Café sind täglich viele Politiker zu Gast. Wie versuchen Sie,
die zu überzeugen?
Indem ich mit ihnen darüber rede. Ich überfalle die Politiker nicht mit
meinen Themen, aber wenn sich ein Gespräch ergibt, nutze ich die Gunst der
Stunde. Ich habe auch schon Abgeordnete in ihren Büros besucht. Wenn ich
dabei eine massive Abwehr diesem Thema gegenüber spüre, sage ich zum
Abschied: "Ich wünsche Ihnen, dass weder Ihre Frau noch Ihre Kinder noch
irgendein anderes Familienmitglied in die Situation kommt, nur durch eine
Organspende überleben zu können."
Das zieht dann wahrscheinlich.
Ja, ich hoffe, dass das ankommt. Außerdem habe ich auch schon
Kunststoffnieren in die Bäume vorm Einstein gehängt - mit der Botschaft
"Organe wachsen nicht an Bäumen". Die Zeit der Kunstaktionen zu diesem
Thema ist aber vorbei. Jetzt kann nur noch zwischen Medizinern und
Politikern schnellstens eine Lösung gefunden werden. Sonst können wir die
Transplantationsmedizin in Deutschland einstellen, weil es keine Organe
mehr gibt. Man kann seinen Mitmenschen nur immer wieder sagen: Genießt euer
Leben, wir haben jeder nur eines. Nach unserem Tod lösen wir uns wieder in
unsere elementaren Bestandteile auf, und unsere Organe werden von den
Würmern gefressen. Besser also man lässt nach seinem Ableben seine Organe
auf Erden zurück und macht einen Menschen damit glücklich. Den Gläubigen
unter uns will ich es ganz deutlich sagen: Es gibt keine Leiter zu einem
ewigen Leben, für das wir unsere Organe noch bräuchten.
Warum kommen Politiker eigentlich so gerne ins Einstein?
Ich habe sie nicht gerufen, aber offenbar überzeugt sie das Ambiente und
die Qualität unserer Speisen und Getränke. Ich bin ja Künstler, ein Mensch,
der die geistige Institution Kaffeehaus in seiner Studienzeit in Wien
lieben gelernt hat. Da habe ich die meiste Zeit im Kaffeehaus verbracht,
und irgendwann wuchs dann der Wunsch in mir, selbst ein Kaffeehaus zu
gestalten. Und dann habe ich ein Konzept geschrieben - wie für meine
Kunstprojekte und Theaterstücke auch. Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, in
dem möglichst alle Gesellschaftsschichten sich unaufgeregt begegnen können,
eine soziale Plastik. Die Seele eines Ortes können sie allerdings nicht
konzipieren, das hat viel mit Intuition zu tun. Kaffeehaus ist ein
geistiger Zustand, eine innere Befindlichkeit, eine sinnliche Lebensform.
Es schenkt mir so viel, ist mir Labor, Atelier, private Universität. Ihre
Kollegen haben den Politikertreff aus dem Einstein gemacht, "das
Hinterzimmer der Macht", nicht ich.
Macht Sie das Etikett trotzdem stolz?
Es ist einfach so, ich wehre mich nicht dagegen.
Wie viele Politiker haben einen Stammplatz im Einstein?
Einige, zum Beispiel Otto Schily, den ich als Menschen sehr mag.
Und wenn ich mich auf Schilys Platz setze und er dann reinkommt?
Dann werden Sie nicht vertrieben. Bei uns können Sie sitzen, wo Sie wollen.
Das wäre in Wien ganz anders.
Ja, da mussten wir Max-Reinhardt-Seminaristen erst lernen, dass man sich
seinen Platz im Kaffeehaus erarbeiten muss. Dagegen ist unser Haus sehr
offen -auch weil wir sonst nicht überleben könnten. Wir haben hier -
knallhart gesprochen - jeden Monat 26.000 Euro Miete zu bezahlen und
könnten es uns schon daher nicht leisten, jemanden zu benachteiligen oder
zu bevorzugen.
Sind Politiker nicht viel zu gehetzt, um gute Kaffeehausgäste zu sein?
Fehlt denen nicht die Muße?
Wir haben zum Glück noch keine New Yorker Verhältnisse in Berlin - auch
wenn es in Berlin-Mitte natürlich unglaublich viel Ungeduld gibt. Alle
wissen, dass sie im Einstein frisch zubereitetes Essen bekommen und es
daher ein bisschen länger dauert, bis der Teller auf dem Tisch steht. Nein,
reinkommen, die Akten auf den Tisch hauen und dabei schon das halbe
Schnitzel im Mund haben - so etwas gibts bei uns nicht. Das widerspricht
dem Geist des Einstein. Es geht bei uns relativ entspannt zu.
8 Jun 2009
## AUTOREN
David Denk
## TAGS
Niere
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