# taz.de -- Gelungener Debütfilm: Der Vorstadtrocker | |
> Regisseurin Martina Plura liefert ein so rustikales wie überzeugendes | |
> Drehbuch für die Komödie „Vorstadtrocker“. | |
Bild: Verkehrte Welt: der Rocker als Sympath, der Ordentliche als Unsympath. | |
Eine Vorstadt wie aus der Hölle, die Siedlungshäuschen sind um einen Teich | |
gruppiert. Jeder kann seinem Nachbarn in die Fenster schauen und die Idylle | |
ist so konstruiert, dass es kein Entkommen zu geben scheint. Als Entwurf | |
wäre dieser Drehort ein genialer, an die Bauten des deutsch-britischen | |
Szenenbildners Ken Adam erinnernder Einfall gewesen, doch in seiner | |
Realisierung, hier im Küstenörtchen Wremen zwischen Bremerhaven und | |
Cuxhaven sieht das anders aus. Einen „surrealen Ort“ nennt die Regisseurin | |
Martina Plura das Rondell mit Ferienwohnungen und machte dann das Beste | |
daraus, indem sie ihn als eine Art Hauptdarsteller in Szene setzte. | |
So beginnt die Komödie „Vorstadtrocker“ mit einem Anflug auf den Kreisel | |
der Wohnsiedlung, in der dann auf ein paar typische Bewohner gefahren wird. | |
In dieser modernen Familie verdient die Frau Alex (Lisa Wagner) als | |
Tierärztin das Geld und der Ehemann Victor (Fabian Busch) bleibt zu Hause | |
und kümmert sich um das Baby. Nebenan zieht der Rocker Rolf (Aljoscha | |
Stadelmann) ein, der erst mal feiert und mit halbnackten Frauen auf seinem | |
Motorrad um den Teich knattert. Während der einen Narren in seinem neuen | |
Nachbarn „Wicki“ gefressen hat, nutzt dieser hinterhältig die Freundschaft | |
aus, um wieder im alten Beruf Fuß zu fassen. | |
Als ehemaliger Sensationsreporter wittert er eine große Story, als er in | |
Rolf den berüchtigten und untergetauchten Rocker-Boss „Zahnfee“ erkennt. | |
Das komödiantische Grundprinzip eines Elefanten im Porzellanladen wird hier | |
anhand des ungehobelten Rolfs in der neudeutschen Spießer-Familie | |
durchgespielt. Die Fallhöhe entsteht dadurch, dass sich der Rocker als der | |
sympathische Kerl entpuppt, wohingegen es der ordentliche Bürger ist, der | |
ihn schäbig ans Messer liefern will. Mit einem schnüffelsüchtigen | |
Zeitungsverleger und einer Rockergang voller Zahnlücken durchlebt der | |
Zuschauer dann noch launige Abenteuer. Am Ende landet die Tierärztin im | |
roten Bikini an der Stange eines Stripteaselokals. | |
Mit seinen Pointen, dem perfekten Timing und seinen Darstellern gehört | |
„Vorstadtrocker“ zu einem der Höhepunkte des Jahres. Er ist der Abschluss | |
der vierteiligen NDR-Reihe „Nordlichter“, die bei den Filmfestspielen in | |
Biberach mit dem Preis als „Bester Fernsehfilm“ ausgezeichnet wurde. Die | |
Jury hob den „wüsten Humor“ und seine „anarchistische Kraft“ hervor. D… | |
ist die Nachwuchsreihe nicht unumstritten, die zu jeweils einem Drittel von | |
NDR, der Förderanstalt von Niedersachsen „Nordmedia“ und der Filmförderung | |
Schleswig-Holstein finanziert wird. | |
So gingen aus der ersten Staffel vier Komödien hervor, weil diese gute | |
Quoten versprechen. Mit der zweiten Auflage, für die junge Drehbuchautoren, | |
Regisseure und Produzenten bis zum Sommer dieses Jahres ihre Projekte | |
einreichen konnten, soll das ebenfalls populäre Genre „Mystery“ bedient | |
werden. Das Budget ist mit höchstens 900.000 Euro eher knapp bemessen und | |
die Debütanten haben bei der Produktion zudem strenge Redakteure im Rücken: | |
Nicht einmal den eigenen Stoff dürfen sie verfilmen – und so wurde der | |
Regisseurin Martina Plura das Drehbuch zu „Vorstadtrocker“ von Paul Florian | |
Müller und Paul Salisbury im Grunde als Auftragsarbeit angeboten. Umso | |
erstaunlicher ist es, wie radikal und überzeugend sie es sich zu eigen | |
gemacht hat. Außergewöhnlich ist auch, dass ihre Zwillingsschwester Monika | |
bei „Vorstadtrocker“ hinter der Kamera stand. | |
Mit der Entdeckung der 1985 in Neuwied geborenen Plura-Schwestern | |
überzeugen die „Nordlichter“ nun tatsächlich als eine Talentschmiede. Bei… | |
begannen schon als Elfjährige die ersten kleinen Filme zu drehen. Mit 15 | |
Jahren stellten sie dann zum ersten Mal öffentlich einen ihrer Kurzfilme | |
auf dem Nachwuchsfilmfestival „Up and coming“ in Hannover vor. Sie | |
schrieben, inszenierten und drehten damals alles gemeinsam und spielten | |
auch noch die meisten Rollen selber. Dass die eine dann Regisseurin und die | |
andere Kamerafrau wurde, hatte vor allem mit äußeren Umständen zu tun: Sie | |
wurden zusammen von keiner Filmhochschule angenommen und so studierte die | |
eine Regie in Köln und die andere Kamera an der Hochschule für bildende | |
Künste in Hamburg. | |
Dass dieses innige Filmteam Potenzial hat, wurde später an der Hamburg | |
Media School erkannt, an der sie zwischen 2012 und 2014 studierten und dort | |
gemeinsam den Abschlusskurzfilm „Da nicht für“ machten. Beide überzeugen | |
hier mit dichten Bildern, einer einfühlsamen Führung der Schauspieler und | |
einem guten Gespür für die dramatischen Möglichkeiten von Räumen. Aber an | |
einem Detail wird deutlich, dass sie auch hier nicht gänzlich freie Hand | |
hatten: Gegen ihren Einspruch setzte sich die Hochschule durch und bestand | |
auf das umgangssprachlich falsche, verständlichere „t“ im Titel. Nun steht | |
ihr erster langer Film an, hoffentlich folgen weitere. | |
26 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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