# taz.de -- Zwischenweltliches Theater: Fähre ins Ungewisse | |
> Das Stadttheater Bremerhaven lädt zur „HadesTour“: Ein Schiffstörn auf | |
> der Suche nach Berührungspunkten von Leben und Tod. | |
Bild: Es geht den Styx hinab, der im Volksmund Weser heißt. | |
BREMEN taz | Gefürchtete Tatsache und narzisstische Kränkung, dass ohne | |
Rücksprache mit uns bestimmt wird, wann wir am natürlichen Ende allen | |
Seins, seinem Ziel, dem Tod angekommen sind: Wer nicht gerade | |
erlösungswillig krank oder lebensmüde alt ist, für den kommt der Moment | |
meist zu früh – wenn der Sensenmann sich als Bruder des Schlafes | |
einschmeichelt, um schnipp, schnapp das Lebensbändel durchzutrennen. Ob | |
danach alles noch schlimmer oder viel schöner als auf Erden wird – oder gar | |
nichts mehr kommt? All das ist ungewiss. Auf einem Schiffstörn zu den | |
letzten Dingen greift das Stadttheater Bremerhaven diese Fragen jetzt auf. | |
Dabei beginnt die „HadesTour“ ganz im Diesseits: Die Dokutheatermacher | |
haben recherchiert, dass ein leichtes Abschwellen der Ängste rund um den | |
Tod möglich ist, wenn zu Lebzeiten organisiert wird, was mit den leiblichen | |
Überresten geschieht: eine Heimführung in das Element zum Beispiel, aus dem | |
alles Leben einst entstieg. „Seebestattung ist inzwischen jedem | |
Bundesbürger erlaubt und boomt“, erzählt Dramaturgin Karin Nissen-Rizvani. | |
„Wir konnten daher kaum an unserem Spielort proben“, der „MS Geestemünde… | |
Denn wenn sie nicht gerade Touristen zur Dicke-Pötte-Tour auf die | |
Außenweser schippert, bietet die Maritime-Events-Agentur auf dem | |
dreißigeinhalb Meter langen Boot „einen würdigen Rahmen“ für eine | |
seemännische Beisetzung an. Mit der Flagge auf Halbmast und der | |
geschmückten Ascheamphore im Salon geht’s zum vor Wremen gelegenen | |
Beisetzungsort. Zu acht Glasen der Schiffsglocke wird dem Wasser die | |
Seeurne übergeben. Deren Salzkristalle lösen sich innerhalb weniger Stunden | |
auf, sodass die Asche ins Freie flottiert und sich unter den Nordseesand | |
mischt. | |
Die Weite des Horizonts, wellendes Meer, rauschende Ruhe und das Wissen, | |
nicht noch von Friedhofs- und Grabpflegerechnungen belästigt zu werden. | |
Eine solche öffentliche Zeremonie des Abschiednehmens helle die | |
Gemütsstimmung auf und ermögliche einen Zustand der heiteren Erleichterung, | |
sagt die Dramaturgin. Und so soll auch die „HadesTour“ wirken. „Es ist ei… | |
Einladung, sich den Tabuthemen Sterben und Tod anzunähern, offen damit | |
auseinanderzusetzen, um gelassener zu werden.“ | |
Mit Ovids Orpheus-Sage rahmen die Darsteller den Abend an Bord. Der | |
Zuschauer entrichtet als teilnehmender Beobachter erst mal dem Steuermann | |
Charon den Obolus. Dann geht es den Styx hinunter, der im Volksmund Weser | |
heißt, bis hinaus an die Grenze aller Grenzen, den Hades. Die Nordsee? | |
Schon der Ethnologe Hans Peter Duerr behauptete 2011, bei Pellworm ein | |
minoisches Siegel gefunden zu haben, und schloss daraus, die Minoer hätten | |
im späten 15., frühen 14. Jahrhundert eine „Jenseitsfahrt“ zur Nordsee | |
unternommen. Und der Objektkünstler Hannsjörg Voth identifizierte das | |
Schelfmeer mit dem Hades, flößte 1978 eine 20 Meter lange Mumie | |
rheinabwärts nach Rotterdam – und ließ sie entflammt ins Totenreich | |
hinforttreiben. | |
Für die Bremerhavener Theaterkunstaktion sitzt man nun sicher im Saal | |
„Preußen“ des Todeskutters, den Oliver Gather „mit Erinnerungsbildern als | |
Rauminstallation gestaltet hat“, so Nissen-Rizvani. Per Lautsprecher werden | |
O-Töne eines Bestatterehepaares, einer Pastorin und der Krankenschwester | |
einer Palliativstation eingespielt. Auch ein Hospizchor wird erklingen – | |
mit letzten Worten todgeweihter Patienten: „Ich bitte nur, dass es schnell | |
geht. Einem Hund gibt man die Spritze, wenn er nicht mehr zu heilen ist, | |
aber den Menschen lässt man zappeln.“ | |
Dazu gesellen sich literarische Fundstücke wie Auszüge aus Wolfgang | |
Herrndorfs Tagebuch über seine Krebserkrankung. Eine Art Plädoyer für den | |
Freitod: „Ich muß wissen, daß ich Herr im eigenen Haus bin; daß ich Herr im | |
eigenen Haus bin. Weiter nichts.“ Wütend fragt der Autor, warum die | |
Selbstmordwaffe nicht von der Krankenkasse bezahlt werde: „Globuli ja, | |
Panzerfaust nein. Schwachköpfe.“ | |
Ist die Beschäftigung mit dem Unabwendbaren deprimierend? „Nein“, sagt die | |
Theatermacherin, „sie eröffnet Möglichkeiten, das Gesagte mit eigenen | |
Erfahrungen mit dem Tod abzugleichen, die Behutsamkeit im Umgang mit dem | |
Thema wächst.“ So greift der Abend auch versöhnliche Gedanken auf. | |
Montaignes These etwa, Philosophieren bedeute, sterben zu lernen: „Euer Tod | |
ist ein Stück aus der Ordnung des Weltalls, es ist ein Stück von dem Leben | |
der Welt.“ | |
Aber wissen wir nicht mit Epikur, dass der Tod für uns auch ein Nichts ist? | |
Leben wir, ist er nicht da, „und wenn er da ist, sind wir nicht mehr“. Kann | |
man da überhaupt über ihn sprechen, Theater machen? „Nein“, sagt | |
Nissen-Rizvani. Deswegen steuere die „MS Geestemünde“ auch nicht am | |
Höllenhund Kerberos vorbei: „Das Überschreiten der Grenze umschiffen wir“, | |
sagt Nissen-Rizvani, „verzichten auf die Esoterik der Nahtoderfahrungen und | |
die kulturgeschichtliche Schau von Jenseitsvorstellungen.“ | |
Stattdessen gehe es um die Suche nach Berührungspunkten von Leben und Tod | |
bei Sterbenden und Angehörigen – und die Sinnfragen, die sich daraus | |
ergeben. Um, ganz im Sinne des guten alten Sartre-Existenzialismus, die | |
Freiheit zu eröffnen, die Lebenszeit selbstbestimmter anzunehmen. | |
## ■ Premiere: Sa, 28. 3., 19.30 Uhr, Oldenburg, „MS Geestemünde“ | |
(Westseite Neuer Hafen/Schleuse am Simon-Loschen-Leuchtturm). Weitere | |
Aufführungen: 28. 3., 21 Uhr; 2., 14. + 21. 4., 12., 19., 26. + 28. 5., je | |
19.30 Uhr | |
28 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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