# taz.de -- Essay DFB-Skandal: Das Prinzip Sommermärchen | |
> Der DFB fädelte das große Geschäft professionell ein. Beckenbauer und | |
> Platini haben ein Gespür dafür, wie sich Korruption legalisieren lässt. | |
Bild: Franz Beckenbauer steht gerade im Schatten des Skandals | |
Die Versuchung ist groß, den Skandal um die Vergabe der Weltmeisterschaft | |
an Deutschland in einem Atemzug mit der Manipulation der Abgaswerte bei | |
Volkswagen zu nennen. Werden doch in der Wahrnehmung vieler mit dem DFB und | |
VW gerade zwei Vorzeigeorganisationen deutscher Zuverlässigkeit als | |
Trickser, Täuscher und Betrüger entlarvt. | |
Doch der naheliegende Parallelfall zum Skandal beim DFB ist gar nicht | |
Volkswagen, sondern es sind die inzwischen größtenteils vergessenen | |
Versuche von Siemens und Daimler, mithilfe von Schmiergeldzahlungen | |
außerhalb Deutschlands lukrative Aufträge an Land zu ziehen. | |
Die Herausforderung sowohl für den DFB als auch für Siemens und Daimler | |
bestand darin, Deals in Gegenden der Welt zu machen, in denen man mit den | |
klassischen westlichen Geschäftspraktiken nicht besonders weit zu kommen | |
meinte. Ob man die Stadtverwaltung in Manila, die staatlichen | |
Stromversorgungskonzerne in Griechenland oder die Fifa in Zürich nimmt – | |
jede westliche Organisation, die davon ausgehen würde, dass diese | |
Organisationen so ähnlich wie sie selbst funktionierten, wäre naiv. | |
Der Erfolg des DFB bei der Einwerbung der Fußballweltmeisterschaft basierte | |
auf der Erkenntnis, dass der internationale Fußballverband Fifa – obwohl in | |
der Schweiz ansässig – in keiner Weise wie eine normale westliche | |
Organisation funktioniert. Schon vor dem offiziellen Bewerbungsprozess | |
hatte man beim DFB begriffen, dass die Entscheidungsgremien der Fifa nicht | |
mit dem Vorstand einer französischen Großbank oder der Hamburger | |
Stadtverwaltung zu vergleichen sind, sondern eher mit einem Ministerium in | |
Kenia oder einer Stadtverwaltung in Pakistan, wo Ämter immer auch dazu | |
dienen, Geldflüsse in die eigene Tasche umzuleiten und ein persönliches | |
Netzwerk zu versorgen. | |
## Die herrschende Tauschlogik | |
Bei der vorschnellen Diskriminierung dieser Praktiken als Korruption wird | |
übersehen, wie selbstverständlich solche Tauschprozesse in eng geknüpften | |
Personennetzwerken außerhalb der von Transparency International | |
aufgelisteten Vorzeigeländer sind. Das Prinzip der Bedienung und Pflege | |
persönlicher Netzwerke – die „Confianza“ in Mittel- und Lateinamerika, d… | |
„Guanxi“ in China oder das „Blat“ in Russland – ist so wirkmächtig, … | |
in diesen Ländern schwer ist, sich ihm zu entziehen. | |
Jedes Bewerbungskomitee für ein internationales Sportereignis, jede | |
internationale Entwicklungshilfeorganisation und jede Filiale eines | |
westlichen Großkonzerns weiß, wie schwer es ist, in Kenia, in Pakistan oder | |
in China Geschäfte zu machen, ohne sich wenigstens punktuell auf die in | |
diesen Ländern herrschenden Tauschlogiken einzulassen. | |
Die Leistung solcher Organisationen besteht deswegen – soziologisch | |
ausgedrückt – darin, eine Übersetzung zwischen den auf Personenvertrauen | |
basierenden Organisationskulturen ihrer Partner und den ihnen selbst | |
auferlegten, auf Systemvertrauen basierenden rechtsstaatlichen Prinzipien | |
hinzubekommen. Der Erfolg dieser „Übersetzungsorganisationen“ hängt davon | |
ab, dass auf der einen Seite Entscheidungen unter Bedingungen von | |
Confianza, Guanxi oder Blat getroffen werden können und auf der anderen | |
Seite Entscheidungen herauskommen, die auch rigiden externen Prüfungen | |
standhalten. | |
Ein Teil der Übersetzungsleistungen wird von freiberuflichen „Übersetzern“ | |
erbracht. Diese „Übersetzer“ lassen sich ihre Dienste vergüten – häufig | |
nicht in Form einer direkten Anstellung durch die westlichen Organisationen | |
oder durch eine direkte Prämierung im Erfolgsfall, sondern dadurch, dass | |
sie selbst von den zustande kommenden Geschäften profitieren. | |
## Beckenbauers persönlicher Profit | |
Franz Beckenbauer war nicht nur ein Meister in solchen | |
Übersetzungsleistungen, sondern er hat es über Jahrzehnte verstanden, davon | |
auch persönlich zu profitieren. Zur Professionalität gehörte dabei, dass er | |
sich selbstverständlich nicht kurz vor der Vergabe einer Weltmeisterschaft | |
von einem russischen Bewerbungskomitee bestechen ließ, sondern stattdessen | |
kurz nach der Abstimmung einen lukrativen Werbevertrag eines russischen | |
Staatsunternehmens annahm. | |
Der Unterschied zwischen in ihrer Gier stümperhaft agierenden | |
Fifa-Funktionären wie Jack Warner aus Trinidad & Tobago oder Eugenio | |
Figueredo aus Uruguay und Franz Beckenbauer oder auch dem Uefa-Präsidenten | |
Michel Platini besteht darin, dass Letztere ein viel genaueres Gespür dafür | |
haben, wie sich Korruption legalisieren lässt. | |
Bei aller massenmedialen Skandalisierung der Vergabe der Weltmeisterschaft | |
nach Deutschland wird übersehen, dass das Bewerbungskomitee die | |
Übersetzungsleistung sehr professionell angegangen ist. Das | |
Bewerbungskomitee stellte Freundschaftsspiele des FC Bayern München in | |
Thailand oder Trinidad in Aussicht – also in den Staaten, aus denen die | |
wichtigen Wahlmänner kommen – und erklärte sich später für die Verwendung | |
der Einnahmen aus den Freundschaftsspielen für nicht zuständig. | |
## Das Prinzip ist immer dasselbe | |
Die Sponsoren des Deutschen Fußball-Bundes unterstützten den | |
Bewerbungsprozess dadurch, dass sie lukrative Aufträge an Verwandte der | |
Wahlmänner vergaben oder größere Investitionen in den Herkunftsregionen der | |
Wahlmänner in Aussicht stellten, gleichzeitig aber bestritten, dass das | |
irgendetwas mit der Vergabe der Weltmeisterschaft zu tun habe. | |
Das Prinzip ist immer dasselbe – es gibt eine auffällige zeitliche Nähe | |
zwischen einem Abstimmungsverhalten eines Mitglieds eines Exekutivkomitees | |
und der finanziellen Belohnung dieses Mitglieds durch einen Bewerberstaat. | |
Wichtig aber ist dabei, dass auf keinen Fall eine direkte – schriftlich | |
nachweisbare – kausale Verbindung zwischen der Abstimmungsentscheidung und | |
der Geldzahlung entsteht. | |
Das Problem mit der Fifa scheint jedoch gewesen zu sein, dass einige | |
Exekutivmitglieder sich nicht mit einer nur mündlich vereinbarten und | |
zeitlich verzögerten Entschädigung für ihre Stimmabgabe zufriedengeben | |
wollten, sondern direktere Formen von finanzieller Motivation verlangten. | |
Wenn die Darstellung über die Verwendung des Darlehens über zehn Millionen | |
Schweizer Franken vom damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus stimmt, | |
dann war die Sache durch die DFB-Verantwortlichen nicht ungeschickt | |
eingefädelt worden. Die finanzielle Vorbereitung der Bewerbung bei einigen | |
als kritisch eingeschätzten Exekutivmitgliedern erfolgte nicht durch das | |
Bewerbungskomitee, sondern wurde ausgegliedert. Die finanzielle | |
Vorbereitung des Terrains erfolgte dann nicht über einen offiziell an der | |
Bewerbung Beteiligten, sondern durch jemanden, der ein starkes | |
geschäftliches Interesse an einer WM in Deutschland hatte. | |
Im Normalfall wäre dieses Verfahren nicht weiter aufgefallen. Das Problem | |
war jedoch, dass Louis-Dreyfus sein Geld vom Deutschen Fußball-Bund | |
zurückverlangte, ohne warten zu wollen, bis sich Leistungen und | |
Gegenleistungen über Adidas ausgleichen lassen würden. | |
## Der Anfang war professionell | |
Ob dies damit zusammenhing, dass es nach seinem Ausscheiden bei Adidas | |
keine Möglichkeit der zeitverzögerten Verrechnung mit dem | |
Sportartikelhersteller mehr gab oder ob es ihm darum ging, angesichts | |
seines bevorstehenden Todes noch möglichst viel für seine Familie | |
herauszuholen, weiß man bislang nicht. Jedenfalls entstand erst durch die | |
Rückforderung des Geldes die bekannte umständliche Hilfskonstruktion mit | |
einer Zahlung für ein vermeintliches Kulturprogramm der Fifa, über die | |
letztlich dann auch der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gestolpert ist. | |
Kurz: Am Anfang waren die Übersetzungsleistungen professionell eingefädelt | |
worden, am Ende wurden sie aber dilettantisch aufgelöst. | |
Die erste Reaktion auf aufgedeckte Skandale besteht immer darin, | |
Verantwortliche zu identifizieren und abzustrafen. Einer bestimmten Person | |
wird die Verantwortung zugewiesen, diese dann massenmedial wirksam entfernt | |
– so wird versucht, verlorengegangene Legitimität neu aufzubauen. | |
Weil weder Franz Beckenbauer noch Theo Zwanziger bei Bekanntwerden der | |
eingesetzten Belohnungen offizielle Ämter beim DFB bekleideten, eigneten | |
sie sich nicht mehr für einen für die Schauseite der Organisation nötigen | |
Selbstreinigungsprozess. | |
Dass der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach als letzter Funktionär aus der | |
Bewerbungszeit zurücktreten musste, war deswegen klar. Und es ist nur eine | |
Frage der Zeit, bis er auch seine Ämter bei der Uefa und der Fifa | |
niederlegen wird. | |
17 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Kühl | |
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