# taz.de -- Kolumne Macht: Die Mitte, so hohl | |
> Was Angela Merkel und Franz Beckenbauer in diesen Tagen verbindet? Sie | |
> bleibt, was sie war – er bleibt, was er war. Harmlos ist das nicht. | |
Bild: Kanzlerin und Kaiser, die jetzt so steil vom Thron der öffentlichen Wert… | |
Stürmisch ist es in diesen Tagen, sehr stürmisch. Im Wasserglas. Von dort | |
aus betrachtet, ist die Welt aus den Fugen geraten. Einst Unvorstellbares | |
ist inzwischen Realität: Innenminister und Finanzminister treiben | |
öffentlich eine Kanzlerin vor sich her, die unangreifbar zu sein schien. | |
Und dann distanziert sich auch noch die Bild-Zeitung von Franz Beckenbauer. | |
Wenn das möglich ist, dann kann alles passieren. | |
Und was wird passieren? Nichts. Gar nichts. Der eine hat keinen Posten, den | |
er verlieren könnte, die andere kann nur um einen Preis aus dem Amt gejagt | |
werden, der für ihre Gegner viel zu hoch wäre. | |
Das ganze Gerede über einen möglichen Putsch gegen Angela Merkel ist | |
absurd. Jeder Nachfolger müsste eine Mehrheit im Parlament finden, das ist | |
in Deutschland so üblich. Wenn die Kanzlerin wegen ihrer Haltung zur | |
Flüchtlingsfrage aus den eigenen Reihen heraus gestürzt würde, dann könnte | |
die SPD den Königsmörder nicht wählen. Es wäre das Ende der Koalition. So | |
einfach ist das. | |
Wer jetzt von einer rot-rot-grünen Alternative träumt, die ja rechnerisch | |
im Bundestag eine Mehrheit hätte, ist nicht von dieser Welt. Manche Grüne | |
würden einen Aspiranten Sigmar Gabriel nicht wählen, weil ihnen ein Bündnis | |
mit der Union lieber wäre. Manche Linke würden ihn nicht wählen, weil sie | |
ihn unerträglich finden. Und über die Verlässlichkeit der Sozialdemokratie, | |
wenn es um eine linke Koalition geht, kann Andrea Ypsilanti viel erzählen. | |
Die Niederlage von Gabriel wäre programmiert, Neuwahlen wären | |
unvermeidlich. | |
Schon mal einen Blick auf die letzten Meinungsumfragen geworfen? Die AfD | |
ist zweistellig, die Union im Keller. Hier geht es um viele Mandate und | |
Pfründe. Nein, niemand im Parlament wünscht sich derzeit Neuwahlen. Auch | |
und gerade die Gegner von Angela Merkel nicht. Sie wollen eine gedemütigte, | |
zahme Regierungschefin, eine „lame duck“. Und da sie den Zeitpunkt | |
verpasste, zu dem sie ihre Widersacher noch hätte kalt stellen können, | |
haben sie ihr Ziel bereits erreicht. Sie müssen gar nichts mehr tun. | |
Auf den ersten Blick scheinen die Fälle von Franz Beckenbauer und Angela | |
Merkel nichts miteinander gemein zu haben. Im einen Fall geht es um | |
schmutzige Geschäfte, im anderen Fall um Macht und Politik. Ja, das kann | |
dasselbe sein. Geschenkt. Ist es aber hier nicht. | |
Was droht Beckenbauer? Wenig. Na schön, er dürfte in den letzten Wochen | |
einige Freunde verloren haben. Ob und wie sehr ihn das schmerzt, weiß man | |
nicht. Was man hingegen weiß: In strafrechtlicher Hinsicht sind die meisten | |
Vorwürfe gegen ihn verjährt. Offizielle Ämter hat er nicht mehr. Kein | |
Wunder, dass er auf alle neuen Enthüllungen achselzuckend reagiert. | |
## Das saturierte Deutschland | |
Franz Beckenbauer und Angela Merkel: Er bleibt, was er war – sie bleibt, | |
was sie ist. Ein Sturm im Wasserglas eben. Und doch mehr. | |
Denn etwas haben die beiden gemeinsam, die jetzt so steil vom Thron der | |
öffentlichen Wertschätzung gestürzt wurden: Sie stehen für die imaginäre | |
„Mitte“, zu der so viele gerne gehören wollen. Für das saturierte, sicher… | |
bequeme Deutschland. Für die Mehrheitsgesellschaft. In der sich Urteile | |
leicht fällen lassen, und in der nichts uns ernsthaft bedroht. | |
Wenn diese Mitte aber so hohl ist, dass sie innerhalb weniger Tage krachend | |
in sich zusammenstürzen kann, dann sorgt das für Verunsicherung. Dann gerät | |
die Welt eben aus den Fugen. Das ist schlecht für Außenseiter und Fremde. | |
Und deshalb steht fest, wer für die Insiderdebatten der letzten Tage | |
bezahlen wird: die Flüchtlinge. Obwohl sie nichts, und zwar wirklich gar | |
nichts, mit Korruption im Fußball und mit dem Richtungsstreit innerhalb der | |
Unionsparteien zu tun haben. | |
13 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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