# taz.de -- Premiere bei den Nordischen Filmtagen: Von glücklichen Anfängen | |
> „Lutterbek – der Film“ erzählt von einem Sehnsuchtsort an der | |
> Ostseeküste, in dem die Karriere von Ina Müler startete. Premiere feiert | |
> er bei den Nordischen Filmtagen | |
Bild: Seit 1975 treten hier Künstler auf, die man so weit ab vom Großstadt-Sc… | |
Lübeck taz | Am Anfang ist da ein Knarzen zu hören. Wie wenn einer Schritt | |
für Schritt eine Treppe hinaufgeht oder hinunter. Nein, eher hinauf. Dann | |
öffnet sich das Bild, und wir sind in der Luft. Schauen von weit oben auf | |
ein kleines Dorf. Es muss Sommer sein, alles ist grün, die Wiesen und die | |
Weiden und die Bäume dazwischen. Sofort hat man wieder Lust auf den Sommer, | |
auf Wärme und Licht, unbändige Lust und lernt dann in den kommenden | |
anderthalb Stunden einen Ort in diesem Ort kennen: den „Lutterbeker“ in | |
Lutterbek, Kreis Plön, auf der rechten Seite der Kieler Förde, | |
nordostwärts. Die Ostsee ist nicht weit. | |
„Lutterbeker – der Film“ nennt die Fotografin und Filmemacherin Linn Marx | |
ihren Film über den Veranstaltungsort „Lutterbeker“. Kinopremiere feiert er | |
nun in der Sektion „Filmforum“ bei den „Nordischen Filmtagen“ in Lübec… | |
die im „Filmpalast Stadthalle“ an der Mühlenbrücke neue Filme aus und üb… | |
Schleswig-Holstein zeigt. | |
40 Jahre ist es her, da haben das Ehepaar Strupp und Wolfgang Marx den | |
„Lutterbeker“ eröffnet. Bis heute ist der Gasthof, Treffpunkt, | |
Theaterbühne, Konzert- und Tanzsaal. Auch Galerie, manchmal Kino und | |
mittlerweile auch Ferienort für gestresste Großstadtmenschen, nachdem die | |
beiden den alten Dorfkrug saniert haben. Begleitet von misstrauischen | |
Blicken der Dorfbewohner, für die ausgemacht war: Das wird nix. Die hauen | |
bald wieder ab! Heute sind gerade die Nachbarn sehr froh, dass sie damals | |
so unrecht hatten. | |
## 2.000 Stunden Material | |
Drei Jahre hat Linn Marx an dem Film gearbeitet, hat sich oft gemeinsam mit | |
ihrem Vater Wolfgang durch dessen Filmarchiv gewühlt, denn der hat jeden | |
Auftritt in seinem Haus dokumentiert und kann einen Fundus aus 2.000 | |
Stunden Filmmaterial vorweisen. Zugleich hat Linn Marx das Fotoarchiv ihrer | |
Mutter Strupp gesichtet, die Fotobestände der umliegenden Regionalzeitungen | |
durchforstet und die getroffen, die damals dabei waren. | |
Zwischendurch erzählt Oma Anna, die Mutter von Strupp, davon, wie 1975 | |
alles anfing und sie sich auch damit abfand, dass ihr Schwiegersohn nie | |
Beamter werden würde. Sie sagt so schöne Sätze wie: „Man denkt, die wollen | |
so leben und dann sollen sie so leben.“ | |
Als weitere Begleiter durch den Film sind da Jürgen, Manno und Fiete, die | |
an irgendeinem Nachmittag neulich am Tresen lümmelten und immer wieder sehr | |
wortkarg sehr viel erzählen: von früher, von jetzt und wie beides hier | |
ineinander fließt. Plus Gesche, die Tresenperle seit 36 Jahren. Die | |
plötzlich die Fliegenklatsche nimmt, zuschlägt: „So! Das musste sein.“ Und | |
dann redet sie weiter über ihre beiden Chefs Strupp und Wolfgang: „Die | |
ackern, die sind fleißig, die sind in Ordnung.“ Das war ihr erster | |
Eindruck, er gilt bis heute. | |
Linn Marx setzt mit leichter Hand aus Hunderten Fotos, Dutzenden | |
Live-Mitschnitten und ebenso vielen Interviews, Gedichten und Zeichnungen | |
eine eigene Welt zusammen. Und sie schlägt anders als handelsübliche | |
Dokumentationen keine streng thematischen Schneisen in ihr | |
Lutterbeker-Porträt, die oft die Atmosphäre kaputtmachen. Sie hat etwa klug | |
auf die sonst übliche und mindestens leicht belehrende Off-Stimme | |
verzichtet und lässt den Zuschauer selbst schauen. | |
Es gibt auch richtige Prominente zu sehen: Dirk Bach etwa, noch recht | |
schlank. Tim Fischer ist dabei, Georgette Dee und Kay Ray. Arnulf Rating | |
tritt auf und Gerburg Jahnke, noch mit den „Missfits“. Jahnke erzählt in | |
sehr schönen Interview-Passagen schnoddrig, was sie als Künstlerin hier im | |
Norden alles gelernt hat und wie sie sich immer noch wundert, dass ihr so | |
viele Leute auf so unbequemen Stühlen begeistert zusehen. | |
Dann ist da noch Ina Müller. Die hat im „Lutterbeker“ ihre Karriere | |
gestartet, ist hier künstlerisch groß geworden, mit ihrer Band „Queen Bee�… | |
Sie ist für den Film noch einmal zurückgekommen und erzählt von diesen | |
glücklichen Anfängen. Wie sie oben beim Ehepaar Marx in der Wohnung saß und | |
auf die Straße blickte, wo die Leute aus allen Richtungen kamen und wie sie | |
hörte, wie jeder Gast einzeln den Saal betrat und was er dann sagte – und | |
ihr Lampenfieber wuchs und wuchs. „Da ging mir die Düse“, sagt Müller. Und | |
dann folgt einer ihrer Auftritte aus den frühen 90er-Jahren, in dem zu | |
sehen ist, dass alles, was sie heute ausmacht, damals schon angelegt war – | |
nur noch nicht ganz so fernsehgerecht zurecht geschliffen. Was man ruhig | |
bedauern darf. | |
„Lutterbeker – der Film“ ist das, was man einen kleinen Dokumentarfilm | |
nennt. Er wird kein Millionenpublikum erreichen. Das ist auch nicht seine | |
Absicht. Aber er wird all die beglücken, die davon überzeugt sind, dass | |
Orte wie der „Lutterbeker“ ihrerseits Geschichten aufsaugen, die es mehr | |
als wert sind, bewahrt und weitergegeben zu werden. Und so muss sich der | |
Film auch überhaupt nicht vor den anderen 180 Filmen verstecken, die die | |
Nordischen Filmtage versammeln – darunter auch große Produktionen, getragen | |
von international bekannten Schauspielern und realisiert von namhaften | |
Regisseuren. | |
Lutterbeker – der Film“: Premiere am 7.11., 22.15 Uhr, Filmpalast | |
Stadthalle, Lübeck | |
57. Nordische Filmtage: bis zum 8. November in Lübeck. Weitere Infos: | |
www.luebeck.de/filmtage/de | |
4 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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