# taz.de -- Das war die Woche in Berlin I: Bitte keine voreiligen Schlüsse | |
> Ein Flüchtlingskind wird am Lageso entführt und ermordet. Wem darf man | |
> deswegen Schuld vorwerfen? | |
Bild: Gedenken für den ermordeten vierjährigen Mohamed vor dem Lageso in Moab… | |
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit ist ein | |
gefährlicher Ort. Tausende Menschen bewegen sich täglich völlig | |
unkontrolliert auf dem unübersichtlichen und weitläufigen Gelände. Viele | |
Flüchtlinge warten dort Stunden und Tage, frieren, kollabieren, manche | |
übernachten dort oder davor auf dem Bürgersteig. Es gab Fehlgeburten und | |
Zusammenbrüche, Raubüberfälle und Taschendiebstähle, Schlägereien aller | |
Art. Seit Wochen warnt die Hilfsorganisation „Moabit hilft“, es sei nur | |
eine Frage der Zeit, dass es den ersten Toten am Lageso gibt. | |
Nun gibt es ihn. Seit Donnerstag wissen wir: Mohamed, ein kleiner Junge, | |
der mit seiner Mutter beim Lageso war und im Gewühl verloren ging, wurde | |
von einem Mann entführt und ermordet. Doch wer nun, wie der Türkische Bund, | |
sagt, wegen der katastrophalen Zustände am Lageso trage der Senat „eine | |
Mitschuld daran, dass dieses grausame Verbrechen begangen werden konnte“, | |
macht es sich zu einfach. Auch ist zwar wahr, „dass es die chaotischen | |
Zustände am Lageso waren, die dem Täter eine Entführung so leicht gemacht | |
haben“, wie es Grünen-Chefin Bettina Jarasch formuliert: Aber das heißt | |
nicht, dass der Senat – oder die vielen Flüchtlinge – als „Verursacher�… | |
Chaos Mitverantwortung für den Tod des Jungen haben. Die hat allein der | |
Mörder. | |
Natürlich hat es das Chaos am Lageso diesem „leichter“ gemacht, ein Opfer | |
zu finden. Vielleicht ist er sogar deswegen dorthin gefahren – weil er | |
wusste, wie einfach es in dem Chaos sein würde, ein unbeaufsichtigtes Kind | |
zu finden. Aber Mohameds Mörder hat auch gestanden, vor Monaten an einem | |
ganz anderen Ort – in einem ruhigen, vielleicht zu ruhigen Wohnviertel in | |
Potsdam – ein weiteres Opfer gefunden zu haben, den sechsjährigen Elias. | |
Solche Verbrechen können überall geschehen. | |
Dazu kommt: Es gibt viele „gefährliche“ Orte, wo Tausende Menschen | |
herumwuseln, zu denen Eltern mit ihren Kindern sogar gerne gehen – Kirmes, | |
Weihnachtsmärke, Fanmeilen. Auch hier können Kinder verloren gehen, haben | |
Kindermörder theoretisch leichtes Spiel, Opfer zu finden. | |
Warum Mohameds Mutter ihren Sohn nicht mit zu dem Termin genommen, sondern | |
vor dem Haus im Gewimmel hatte warten lassen, wissen wir nicht. Sollte sich | |
herausstellen, dass der Junge auf Anweisung eines Mitarbeiters draußen | |
warten musste, wäre über die Schuldfrage neu zu diskutieren. Aber man | |
sollte nicht vorschnell den Mord an einem Kind für ansonsten berechtigte | |
Kritik am Chaos instrumentalisieren. | |
31 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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