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# taz.de -- Verfassungsreform in Italien: Senatoren gegen starken Senat
> Der italienische Senat billigt die Verfassungsreform von Regierungschef
> Renzi. Damit entmachtet sich die zweite Kammer selbst.
Bild: Neuer Film mit Mr Bean? Ach was, Matteo Renzi im Senat.
Rom taz | Mit klarer Mehrheit billigte Italiens Senat am Dienstag
Nachmittag seine weitgehende Selbstentmachtung. Denn dies ist eines der
Kernstücke der von Ministerpräsident Matteo Renzi angeschobenen
Verfassungsreform, die zur Abstimmung stand: In Zukunft wird die zweite
Kammer des Parlaments so gut wie nichts mehr zu sagen haben.
Bisher dagegen hatten beide Kammern, Senat und Abgeordnetenhaus, völlig
gleiche Rechte. Beide mussten der Regierung das Vertrauen aussprechen,
beide verabschiedeten den Staatshaushalt, beide votierten sämtliche
Gesetze, und wenn sie sich nicht einig wurden, wanderte ein Gesetz im
Ping-Pong-Verfahren solange zwischen den beiden Häusern hin und her, bis
endlich ein Kompromiss gefunden war.
Damit soll jetzt Schluss sein. Politik wird in Zukunft praktisch nur noch
im Abgeordnetenhaus gemacht. Der Senat dagegen wird nicht bloß von 315 auf
nur noch 100 Sitze zurechtgestutzt, er verliert auch so gut wie alle
Kompetenzen.
Eine „Kammer der Regionen und Kommunen“ soll er in Zukunft sein, das klingt
ein wenig nach dem deutschen Bundesrat, und auch die Tatsache, dass neben
fünf weiterhin vom Staatspräsidenten ernannten Senatoren 21 Bürgermeister
aus den 21 Regionen sowie 74 von den Regionalparlamenten entsandte
Vertreter in Zukunft die Versammlung bilden sollen, nährt diesen Eindruck.
## 30 Dissidenten in der PD-Fraktion
Doch auch bei Gesetzen, die die Regionen unmittelbar betreffen, hat der
neue Senat kein Vetorecht. Bindend ist sein Votum nur noch bei
Verfassungsänderungen und bei der Billigung internationaler Verträge.
Außerdem wählen die 100 Senatoren gemeinsam mit den 630 Abgeordneten den
Staatspräsidenten. Für den großen Rest der Gesetze wird der zweiten Kammer
dagegen nur noch ein aufschiebendes Einspruchsrecht zugestanden, doch das
Abgeordnetenhaus kann jedweden Einspruch mit Mehrheit zurückweisen.
Für Renzi ist die jetzt erfolgte Zustimmung des Senats zu dieser
Verfassungsänderung ein äußerst wichtiger politischer Etappensieg. Denn
anders als im Abgeordnetenhaus verfügt seine Regierung in der zweiten
Kammer nur über eine knappe Mehrheit, und zudem hatte Renzi mit dem
hinhaltenden Widerstand der Minderheitsflügel seiner eigenen, gemäßigt
linken Partito Democratico (PD) zu kämpfen.
Die etwa 30 Dissidenten in der PD-Fraktion nahmen vor allem daran Anstoß,
dass die Senatoren in Zukunft nicht mehr direkt gewählt werden, sondern von
den Regionalparlamenten entsandt werden sollten. Am Ende wurde der
Kompromiss gefunden, dass die Bürger in Zukunft bei den Regionalwahlen auch
für eine parallele Liste der Senatoren der von ihnen bevorzugten Partei
stimmen können.
## Bedenken auch beim neuen Wahlrecht
Damit hatte Renzi den innerparteilichen Widerstand befriedet. Zudem gelang
es ihm, ein gutes Dutzend von Senatoren aus dem Berlusconi-Lager
abzuwerben; diese schlossen sich in einer neuen Fraktion zusammen und
votierten geschlossen für die Verfassungsreform. Aber auch Silvio
Berlusconis Forza Italia übte sich eher in Pro-Forma-Opposition. Gute Teile
ihrer Fraktion blieben der Abstimmung fern und senkten so das womöglich
noch gegebene Restrisiko für Renzi.
Weiterhin sehr skeptisch gegenüber der Reform sind dagegen zahlreiche
Verfassungsrechtler. Ihre Bedenken richten sich weniger auf die Tatsache,
dass Italien nun praktisch ein Ein-Kammer-System hat (worüber sich die
Frage stellt, warum der Senat nicht gleich ganz abgeschafft wurde). Sie
stoßen sich vor allem daran, dass zugleich erst vor wenigen Monaten ein
neues Wahlrecht verabschiedet wurde.
Danach ist vorgesehen, dass die stärkste Partei automatisch 54 Prozent der
Sitze erhält, wenn sie mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen erreicht.
Bleiben alle Parteien unter dieser Hürde, so gehen die beiden stärksten
Kräfte in die Stichwahl – und erneut erhält der Sieger 54 Prozent der
Sitze. Theoretisch ist so denkbar, dass eine Partei am Ende die absolute
Mehrheit im Parlament innehat, auch wenn sie im ersten Wahlgang bloß 26
Prozent der Stimmen erreichte, und dann „durchregieren“ kann, ohne noch
nennenswerte Gegengewichte vorzufinden.
Renzi entgegnet seinen Kritikern, Italien werde nun endlich regierbar – und
am Wahlabend wüssten die Wähler, wer sie in den nächsten fünf Jahren
regieren werde. Doch bis es so weit ist, muss die Verfassungsänderung noch
einmal in zweiter Lesung durch beide Häuser des Parlaments. Nach dem Erfolg
der Regierung im Senat rechnen die politischen Beobachter jedoch nicht mehr
damit, dass das Reformwerk noch scheitern könnte.
13 Oct 2015
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Wahlen in Italien
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Verfassungsreform
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Schwerpunkt Flucht
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