# taz.de -- Turn-WM: Kalifornische Weißrussinnen | |
> Bei der Turn-Weltmeisterschaft in Glasgow starten zwei US-Amerikanerinnen | |
> für Weißrussland. Sie haben noch nie einen Fuß in das Land gesetzt. | |
Bild: Kylie Dickson am Stufenbarren (nicht im Bild). | |
GLASGOW taz | „Ich wollte einfach mein Bestes geben“, sagt Kylie Dickson | |
nach ihrem Wettkampf bei der Turnweltmeisterschaft in Glasgow. Die | |
Sechzehnjährige strahlt wie die Glitzersteinchen auf ihrem pinkfarbenen | |
Turnanzug. „Wir wollten hier Spaß haben und Erfahrungen sammeln“, meint | |
Kollegin Alaina Kwan. Sie wurde 73. Das reicht, um Weißrussland einen | |
Einzelstartplatz für die zweite Olympiaqualifikation im April 2016 zu | |
sichern. | |
Weißrussland? Kylie und Alaina kommen eigentlich aus den USA, genauer aus | |
dem sonnigen Kalifornien. Sie trainieren im „All Olympic Gymnastics | |
Center“, dem Klub von Galina Marinova und Artur Akopyan, Sprungweltmeister | |
für die Sowjetunion 1983. Er ist in den USA ein Begriff, seit Mitglied | |
McKayla Maroney in London 2012 Gold gewann. Doch mit dem US-Team haben die | |
Mädchen nichts zu tun. Auf ihren Anzügen klebte in Glasgow das Wappen | |
Weißrusslands. | |
Kurios: Dickson und Kwan haben weder weißrussische Verwandte noch sonst | |
irgendwelche Verbindungen in das Land. Sie haben noch nie einen Fuß auf | |
weißrussischen Boden gesetzt. Was sie jetzt aber haben, ist ein | |
weißrussischer Pass. „Weißrussland hat eine große Geschichte, also berühm… | |
Turner“, sagt Dickson. | |
Im Frühjahr sind die beiden angetreten, um sich für die US-Meisterschaften | |
zu qualifizieren – ohne Erfolg. „Die Frage der Eltern war, welcher der | |
nächste Schritt in der Karriere ihrer Töchter ist“, erklärt Trainerin | |
Marinova. In den USA ist das Turnen ein lukratives Geschäft, Eltern zahlen | |
Unsummen für den Traum vom großen Erfolg. Chancenlos in den Staaten, | |
machten sich die Trainer von Kwan und Dickson auf die Suche nach „anderen | |
Möglichkeiten“. | |
Weißrussland hat eine lange Turntradition. Zuletzt blieben die Erfolge | |
jedoch aus. Für Glasgow wurden zunächst Sviatlana Lifenka und Valeria | |
Tsekhmistrenko gemeldet, dann aber durch Dickson und Kwan ersetzt, obschon | |
drei Turnerinnen startberechtigt gewesen wären. „Man hat uns erklärt, dass | |
es momentan keine WM-Turnerin gibt“, behauptet Marinova. Man wolle beim | |
Wiederaufbau des weißrussischen Turnens helfen. | |
Kylie Dickson weiß, dass es in Weißrussland Turnerinnen gibt. Schlecht | |
fühlt sie sich nicht, dass sie diese vorerst verdrängt hat, im Gegenteil: | |
„Ich möchte ihnen zeigen, dass sie es auch schaffen können, wenn sie nur | |
hart arbeiten und immer ihr Bestes geben.“ Wie sie darauf kommt, dass die | |
Mädchen in Minsk, denen sie den WM-Startplatz weggenommen hat, nicht ebenso | |
hart arbeiten wie sie, kann sie nicht sagen. | |
Zentrale Person in diesem Coup ist offenbar Nellie Kim, mit fünf | |
olympischen Goldmedaillen für die Sowjetunion dekorierte Vorsitzende des | |
Technischen Komitees des Weltverbandes Fédération Internationale de | |
Gymnastique (FIG) und Vizepräsidentin des weißrussischen Verbandes. | |
Marinova und Akopyan kennen Kim, die ebenfalls in den USA lebt, aus den | |
achtziger Jahren. | |
## Beispielloser Nationalitätenwechsel | |
Kim vermittelte, Lukaschenkos Regime vergab flugs die Staatsbürgerschaft, | |
und die weißrussische Verbandspräsidentin wünschte den Mädchen beim ersten | |
Aufeinandertreffen in Glasgow viel Glück. Nellie Kim erklärte, sie helfe | |
persönlich gern, wenn sie könne, außerdem seien Nationalitätenwechsel keine | |
Seltenheit. Dieser ist beispiellos. | |
Der mediale Shitstorm auf das „BelarusGate“ ließ in den USA nicht lange auf | |
sich warten. Im Zentrum der Kritik steht der mangelnde Patriotismus der | |
US-Girls. | |
Der US-amerikanische Verband äußert sich zu dem Fall offiziell nicht, lässt | |
aber wissen, dass die beiden Mädchen aufgrund ihrer bisherigen Leistungen | |
faktisch unbekannt waren. Auch die FIG hat keine Handlungsoption, | |
international tauchten Dickson und Kwan erst auf, als Weißrussland sie vor | |
Kurzem regulär für die WM meldete – eine Win-win-Situation für die | |
Beteiligten: Dickson und Kwan hatten ihre WM und Weißrussland hat nun einen | |
Startplatz bei der zweiten Olympiaqualifikation. Wer dabei im April an den | |
Start geht, weiß angeblich noch niemand. | |
28 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Sandra Schmidt | |
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