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# taz.de -- Turnerin Pauline Schäfer bei der EM: „Ich bin wie gefangen“
> Die Turnerin Pauline Schäfer über den Schwebebalken, ihre Chancen bei der
> EM in Rumänien und ihren Kampf gegen innere Widerstände.
Bild: „Einfach weitermachen und so lange trainieren, bis es dann klappt“ �…
Ihr Spezialgerät ist der Schwebebalken. Pauline Schäfer hat an diesem Gerät
schon eine WM-Bronzemedaille gewonnen und dabei ein Turnelement kreiert,
das ihren Namen trägt – den Schäfersalto. Bei genau diesem Salto fiel sie
nun in der Qualifikation während der EM im rumänischen Cluj-Napoca runter.
Sie verpasste das Finale. Dafür steht die 20-jährige Obergefreite der
Bundeswehrsportkompanie am Sonntag im Finale der besten acht im
Bodenturnen.
taz.am wochenende: Frau Schäfer, Sie wollten unbedingt das Balkenfinale
erreichen, jetzt ist es das am Boden geworden. Sind Sie trotzdem zufrieden?
Pauline Schäfer: Ich bin froh, dass ich das Bodenfinale erreicht habe. Das
ist ein Trostpflaster, weil der Balken ja mein Paradegerät ist.
Gibt es einen Grund, warum ausgerechnet dieser von vielen ungeliebte
schmale Balken Ihr liebstes Gerät ist?
Nein, eigentlich nicht, das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Es liegt
mir. Natürlich ist es ein sehr schwieriges Gerät, vergleichbar mit dem Reck
bei den Männern, aber gerade das macht es für mich attraktiv. Es sind nur
zehn Zentimeter – im Wortsinne ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege.
War der Schäfersalto – Ihr Salto seitwärts mit zusätzlicher halber Drehung
– ein konkretes Projekt?
Nein, das war letztlich mehr ein Zufall, irgendwie kam die Idee aus einem
Trainingslager in Kanada mit nach Deutschland. Und es hat recht lange
gedauert, bis er dann geklappt hat.
Sie haben 2015 WM-Bronze gewonnen, die erste deutsche Balkenmedaille seit
Jahrzehnten – damals ohne den Schäfersalto. Hier hat Ihnen ein Sturz beim
Schäfersalto das Finale vermasselt. Wird Ihr eigenes Element zum Fluch?
Auf keinen Fall! Er ist extrem schwierig; wenn in Absprung oder Drehung
nicht alles perfekt ist, dann ist nichts zu retten. Ich hätte übrigens
damals nie gedacht, dass ich eine internationale Medaille gewinne. Warum,
weiß ich gar nicht genau, aber seitdem bin ich auf jeden Fall motivierter.
Woher nehmen Sie generell Ihre Motivation?
Das ist eine gute Frage (lacht). Ganz am Anfang, da musste mich meine Mama
ein bisschen zwingen. Sie hat gesagt: Wir machen das jetzt noch drei
Wochen, und wenn du dann sagst, du hast keinen Bock mehr, dann lassen wir
es. Aber nach den drei Wochen war ich so begeistert, dass ich nicht mehr
loslassen konnte. Turnen ist so eine wahnsinnig tolle Sportart, ich bin da
irgendwie wie gefangen. Ich hab ja mal ein Jahr lang aufgehört und es mit
Stabhochsprung probiert. Aber das war viel zu einseitig, und Spaß hat es
auch nicht gemacht.
Sie stammen aus einer Turnerfamilie?
Ich hab noch drei Brüder, die beiden älteren haben früher auch geturnt.
Meine Mama war eher aus der Leichtathletik und ist auch mal
Vizeeuropameisterin im Polizei-Fünfkampf geworden. Ja, wir sind schon eine
recht sportliche Familie.
Sie trainieren rund 25 Stunden in der Woche, schränken sich in allen
möglichen Lebensbereichen extrem ein, werden von einer breiten
Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen. Für wen tun Sie das eigentlich
alles?
Für mich! (lacht)
Nur für Sie?
Es spornt schon an; wenn viele Zuschauer da sind und gute Stimmung ist,
dann macht der Wettkampf noch mehr Spaß. Nach den Spielen in Rio habe ich
viel Feedback übers Internet bekommen, von Menschen, die sich vorher nicht
so fürs Turnen interessiert haben und dann wirklich begeistert waren. Es
ist schön zu sehen, dass junge Turnerinnen mir nacheifern. Da kommen
manchmal ganz süße Nachrichten, zum Beispiel mit Fragen, worauf sie beim
Flickflack achten sollen. Das ist auch eine Motivation für mich. Es gibt
natürlich auch andere, von Männern, die manchmal auch anstößig sind oder
einfach blöde. Die ignoriere ich einfach.
Turnen ist die klassische Randsportart, die nur alle vier Jahre bei
Olympischen Spielen etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Das ist schade. Man hat es ja nach den Olympischen Spielen gemerkt, da
haben sich viele Leute für uns interessiert. Turnen ist halt etwas
schwieriger zu verstehen, Fußball ist nicht so schwierig. Ich finde das
ungerecht. Man müsste sich mal Gedanken machen, wie man die Wettkämpfe im
Turnen attraktiver gestalten kann, das ist ja teilweise schon etwas träge
und vielleicht tatsächlich für den Zuschauer langweilig.
Sie suchen Sponsoren. War das erfolgreich?
Schwierig, da Turnen ja letztlich keine populäre Sportart ist. Die
Sponsoren wollen gesehen werden. Aber die Turnwettkämpfe werden nur selten
ausgestrahlt, die Reichweite ist nicht groß genug. Darum ist es ziemlich
schwierig, sich da zu etablieren. Ich bekomme vom Autohaus Schloz
Wöllenstein in Chemnitz ein Auto gestellt, muss nur mein Benzin bezahlen,
das ist für mich schon enorm.
Sie sind 2013 vom Saarland nach Sachsen umgezogen, um besser trainieren zu
können. Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?
Das war sehr schwierig, weil ich mir geschworen hatte, nie von zu Hause
wegzugehen. Aber die Förderung im Saarland war nicht so gut, Schule und
Training waren schwierig zu kombinieren. Ich habe dann eine Woche zur Probe
in Chemnitz gemacht, auch im Internat, das war schon ein Schock für mich.
Nach der Woche habe ich gesagt: Auf keinen Fall, da gehe ich nicht hin!
Obwohl mir das Training eigentlich ganz gut gefallen hat.
Woran lag es?
Die Internatszimmer waren damals ziemlich klein und alt, und ich war halt
von zu Hause mein Zimmer gewohnt. Aber dann hat mir meine Mama gesagt, dass
ich es irgendwann bereuen werde, wenn ich es nicht mache. Also habe ich mir
ein Herz gefasst und es nicht ein Mal bereut. Das war die beste
Entscheidung, die ich treffen konnte.
Ihre vier Jahre jüngere Schwester Helene, aktuell Deutsche Jugendmeisterin,
trainiert mittlerweile auch in Chemnitz. Geben Sie da all Ihre Erfahrung
weiter?
Es ist richtig schön, dass wir jetzt zusammen trainieren. Mein Bruder ist
jetzt auch in Chemnitz, der studiert dort. So habe ich es geschafft, mir
ein bisschen Familie herzuholen (lacht). Helene und ich sind zwei komplett
verschiedene Typen, von daher kann ich – außer dem Aussehen vielleicht –
keine wirklichen Gemeinsamkeiten feststellen. Den ein oder anderen Tipp
gebe ich schon mal ab, bin aber eher für den Motivationspart zuständig und
sie umgekehrt für mich auch.
Welches sind die härtesten Momente im Training?
Die, in denen es nicht läuft, in denen ich diesen inneren Schweinehund
überwinden muss. Bei mir ist das eigentlich zu 90 Prozent der Trainingszeit
so, dass ich mich einfach aufraffen muss und mir sagen: Hej, wofür machst
du das noch mal? Du machst das nur für dich!
Und was hilft dann weiter?
Einfach weitermachen und so lange trainieren, bis es dann klappt.
Das Frauenturnen war über Jahrzehnte von kleinen Kinderkörpern geprägt,
mittlerweile sind die Turnerinnen älter, größer und schwerer.
Ja, dieses etwas Bohnenstangenartige der Chinesinnen, das sieht man heute
seltener. Für einen anderen Trend stehen die Amis, die muskulös aussehen
und wo richtig Power dahinter ist. Grundsätzlich muss jede Turnerin mit
ihrem eigenen Körper umgehen. Jeder Typ hat seine Vor- und Nachteile.
Das Körperideal einer Turnerin deckt sich nicht gerade mit dem Ideal eines
Frauenkörpers. Sie sind Spitzenturnerin und eine 20-jährige Frau. Macht man
sich da Gedanken?
Natürlich trainiere ich meinen Körper nicht darauf, auszusehen wie ein
Model, sondern so, dass ich meine Leistungen bringen kann. Ich weiß, was
ich zu tun habe, und da gehört Disziplin dazu. Wenn ich alles essen würde,
worauf ich gerade Lust habe, dann würde ich nicht so aussehen.
Bereits in Rio de Janeiro ist Ihre Bodenübung sehr gut angekommen, jetzt
stehen Sie im EM-Finale von Cluj. Haben Sie ein Gefühl dafür, wie die Übung
auf das Publikum wirkt?
Zuletzt beim Weltcup in Stuttgart hatte ich während meiner eigenen Übung
Gänsehaut. Das ist mir noch nie passiert. Ich habe ja eher eine emotionale,
dramatische Musik, und da bin ich im Tunnel. Das war toll.
22 Apr 2017
## AUTOREN
Sandra Schmidt
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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