# taz.de -- Jordaniens erste Brauerei: Alles, was ein Bier kann | |
> Bier als Teil der arabischen Identität? Yazan Karadsheh erteilt mit | |
> seinem Carakale ein wenig Nachhilfe in Geschichte. | |
Bild: Das erste Craft Beer des Landes. | |
FUHEIS/AMMAN taz | „Sie halten meinen neuen Braumeister am Flughafen fest“, | |
stöhnt Yazan Karadsheh. Das Handy am Ohr, mit dem freien Arm rudernd und | |
gestikulierend, hatte er zuvor beschwörend auf seinen Gesprächspartner | |
eingeredet. Vergebens. „Was soll man machen?“, zuckt mit den Achseln, | |
hastet zum Auto und jagt vom Hof. Alltag für den 31-Jährigen. Wer es sich | |
zur Aufgabe macht, ein muslimisches Land wie Jordanien mit Bier zu | |
versorgen, für den wird Schikane Routine. | |
Bevor der verhängnisvolle Anruf kam, schwärmte Karadsheh noch von | |
Abfüllverfahren, Bouquets und Bierfestivals, auf denen Kenner | |
fingerhutgroße Getränkeproben gurgeln, um dann für Minuten zu fachsimpeln. | |
Jetzt gilt seine ganze Sorge dem am Queen Alia Airport festsitzenden Inder | |
und den neuen Steinen, die ihm in den Weg gelegt werden. | |
Carakale heißt das erste Craft Beer des Landes, und die Produktionshalle | |
mit den meterhohen, blitzenden Biertanks und der vollautomatischen | |
Abfüllstraße beherbergt die erste rein jordanische Brauerei. | |
Es war ein langer Weg vom Studenten, der seine Kommilitonen mit | |
Selbstgebrautem versorgte, hin zum Fabrikleiter, dessen Anlage seit | |
Eröffnung vor etwa anderthalb Jahren 300.000 Flaschen abgefüllt hat. Eine | |
Menge, die auf dem Oktoberfest innerhalb weniger Stunden durstige Kehlen | |
hinabrinnt. Doch Karadsheh misst Erfolg nicht in Litern, sondern im | |
Überwinden von Widerständen. | |
## Das Aroma reifer Bananen | |
Geboren als Sohn einer wohlhabenden christlichen Familie hat er das Glück, | |
vom Vater nach Amerika geschickt zu werden. Er geht nach Colorado, wird | |
Ingenieur und beginnt eine Karriere auf den Ölfeldern des US-Multis | |
Halliburton. Was ihm fehlt ist Erfüllung, und so wird aus dem Musterschüler | |
ein Aufwiegler, der seiner Heimat eine „Bierrevolution“ verschreibt. Er | |
kündigt wenige Wochen nach Dienstantritt und schreibt sich an der | |
kalifornischen UC Davis im Fach Braukunst ein. | |
Später lernt er von den Meistern der amerikanischen Craft-Beer-Bewegung und | |
gewinnt 2009 für die Upslope Brewery als erster Araber überhaupt eine | |
Bronzemedaille beim Great American Beer Festival. Seine Kreation: „Ein | |
Dunkelweizen“ – Karadsheh spricht es mit weichem S – „mit dem vollen Ar… | |
reifer Bananen und einem erstaunlich leichten Geschmack, den man diesem | |
dunklen Bier nicht zutraut.“ Noch im selben Jahr geht er zurück nach | |
Jordanien und gründet Carakale. | |
Es sind lange, quälende Jahre, die seine Heimat für ihn bereithält. Die | |
Behörden verweigern die nötigen Genehmigungen und Karadsheh legt sich mit | |
einer Bürokratie an, die weder von Alkohol noch von seinem Traum etwas | |
wissen will. Während er Papierkrieg führt, therapiert er sich selbst: „Ich | |
hatte nur zwei Möglichkeiten: Entweder rumsitzen oder etwas bewegen.“ Also | |
klappert er Schrottplätze, verlassene Fabrikhallen und Läden für Tierbedarf | |
ab. Besorgt Fässer, Zylinder, Wärmetauscher und Kühlaggregate. Dann | |
schweißt er alles im Hinterhof seines Elternhauses zusammen und braut. | |
Vielleicht hätte Karadsheh in dieser Zeit trotz allen Eifers aufgegeben, | |
wäre es ihm nur um wirtschaftlichen Erfolg gegangen. Doch für ihn ist Bier | |
nicht nur ein Getränk, sondern auch ein verloren gegangener Teil der | |
regionalen Identität. In Mesopotamien, was grob dem heutigen Staatsgebiet | |
des Iraks und Syriens entspricht, wurde schon vor 5.000 Jahren Bier | |
hergestellt. Die dort lebenden Sumerer gründeten nicht nur die erste | |
Hochkultur der Menschheit, sondern hielten ihre Braurezepte auch in | |
Keilschrift fest. | |
## Ein fruchtbares Gebiet | |
Einige Historiker glauben, dass die Menschen nicht wegen des Brotes | |
sesshaft wurden und Getreide anbauten, sondern um Bier zu brauen. Der | |
„Fruchtbare Halbmond“, der sich von Südanatolien über die libanesische | |
Mittelmeerküste bis zum Persischen Golf spannt und somit auch Jordanien | |
umfasst, ist dafür ideal. Von hier machte sich der Mensch auf, den Rest der | |
Welt zu erobern. Die Bierrezepte im Gepäck. „Die Jordanier müssen | |
verstehen, dass unsere Wurzeln untrennbar mit Bier verbunden sind und wir | |
einen Teil dieses kulturellen Erbes verloren haben“, erklärt Karadsheh. | |
Ein Land ist erst dann ein Land, wenn es eine Fluggesellschaft und ein | |
eigenes Bier hat, schrieb Frank Zappa in seiner Autobiografie. Dieser Logik | |
folgend ist Karadsheh so etwas wie der Gründungsvater Jordaniens, denn am | |
Ende geben die Behörden nach und erteilen die Braulizenz. Die | |
Carakale-Brauerei ist gleichzeitig auch der erste inländische Konkurrent | |
für den niederländischen Platzhirschen Amstel, der den jordanischen | |
Biermarkt dominiert. | |
Umgerechnet 2,7 Millionen Euro investiert Karadsheh mit Hilfe seiner | |
Familie in eine Anlage, die bis zu 10 Millionen Liter im Jahr brauen kann. | |
Doch sie ist nur selten ausgelastet. Gerade steht mal wieder alles still. | |
Die Hydraulik hakt, und statt auf dem Laufband landen die Flaschen auf dem | |
Boden. Einer der Mitarbeiter klettert schließlich auf die Plattform und | |
bearbeitet die Ladeplatte mit einem Schleifgerät. Funken fliegen, die | |
Anlage wackelt. | |
Die Brauerei steht in Fuheis, rund 20 Kilometer von Amman entfernt. Den | |
Eingang zur Stadt säumen Kirchen, und von vielen Gebäuden grüßen | |
Madonnenstatuen. Der Haddad-Clan, eine der größten und einflussreichsten | |
Familien Jordaniens, brennt Schnaps in Fuheis, und Alkohol gibt es in | |
vielen Läden zu kaufen. Jordanien ist hier christlicher und liberaler als | |
anderswo. Die letzten Meter führt eine Sandpiste mit scharfen Kehren am | |
Hang entlang, ehe am Fuße eines Industriegebiets die Carakale-Brauerei | |
auftaucht. Die sandfarbene Halle hebt sich kaum von der Umgebung ab. | |
Geschickt getarnt wie die Karakal-Raubkatze, der das Bier seinen Namen | |
verdankt. Kein Schild weit und breit. | |
## Der Koran und Alkoholkonsum | |
Ob er sich hier versteckt? Karadsheh wird wütend, weicht der Frage aus: „Es | |
ist so leicht, schlecht über Jordanien zu reden. Doch ich will etwas | |
verändern, und da ist es wie überall auf der Welt: Wer die Dinge anders | |
angehen will, muss mit Gegenwind rechnen.“ Er weiß, wovon er spricht. | |
Manche Handwerker weigern sich, bereits bezahlte Anlagen aufzustellen. | |
Lieferanten springen ab, wenn sie erfahren, was mit ihrer Ware produziert | |
wird. | |
Dabei ist es wie so oft eine Frage der Auslegung, ob der Koran | |
Alkoholkonsum nun verbietet oder nicht. Nur wenige Verse widmen sich dieser | |
Frage, und in ihrer Gesamtheit sind sie uneindeutig. Während ein früher | |
Vers Alkoholtrinkern „Verstand“ zuspricht, ist später von „Teufelswerk�… | |
lesen. Viele Gläubige hält das nicht vom Trinken ab. | |
In Ägypten etwa gibt es einen kräftig wachsenden Biermarkt, das | |
Marktforschungsinstitut Euromonitor International bescheinigt dem Getränk | |
sogar eine „lange Geschichte der Akzeptanz seitens vieler Ägypter“. Selbst | |
in erzkonservativen Ländern wie Saudi-Arabien wird im Privaten gebraut, | |
destilliert und getrunken, ungeachtet harscher Strafen. | |
Und in Jordanien dürften die 5 Prozent jordanischen Christen allerdings | |
kaum 11 Millionen Liter Bier im Jahr trinken – so viel wird nämlich | |
verkauft. „Die Prohibition ist im Nahen Osten genauso gescheitert wie in | |
Amerika“, fasst Mazen Hajjar, Gründer des libanesischen Craft Beers 961, | |
zusammen. Karadsheh stimmt seinem Freund zu: „Ein großer Teil der | |
Bevölkerung trinkt, auch wenn sie es nicht zugeben.“ | |
Das größte Problem von Carakale ist deshalb, dass die Jordanier das falsche | |
Bier trinken. „Die meisten Jordanier wollen billiges und starkes Bier“, | |
seufzt Karadsheh. „Viele Araber haben außerdem ein Problem mit ihrer | |
Identität. Wenn etwas aus Italien oder Deutschland kommt, halten sie es für | |
aufregend. Das gleiche Produkt aus Jordanien muss automatisch schlecht | |
sein.“ Er hat sich deshalb einen Plan zurechtgelegt, wie er seine Jordanier | |
zu Carakale locken will. | |
Das Blonde Ale hat er als Einstiegsdroge konzipiert. Als „leichtes Bier mit | |
Zitrus- und Grapefruitnoten“ soll es eine Brücke schlagen zwischen der Welt | |
von Beck’s und Co. und dem anspruchsvollen Craft Beer. Wer sich an das | |
Blonde Ale gewöhnt hat, auf den wartet ein Pale Ale – „mittlerer Körper, | |
ein Hauch von Karamell, Biskuit und deutlich herber“ – und spätestens dann | |
hat Carakale einen treuen Kunden mehr, der seinen Gästen, wie von Carakale | |
empfohlen, Whisky Ale zum Steak reicht. So weit die Theorie. | |
## Nächstes Ziel: US-Markt | |
Die Praxis zeigt, dass es vor allem die stetig wachsende Expat-Gemeinde | |
ist, die Carakale am Leben hält. Amerikaner und Europäer, die hier für | |
Botschaften und NGOs arbeiten, kennen Bier jenseits des Pilsenertyps | |
bereits aus ihren Heimatländern und haben das nötige Kleingeld. Die | |
US-Expansion ist deshalb in vollem Gange. Die Genehmigungen sind erteilt | |
und die Importeure gefunden. | |
Nur der neue Braumeister aus Indien, der Karadsheh am Braukessel ablösen | |
soll, wird noch von der Polizei am Flughafen festgehalten. Beim Ausstellen | |
des Visums wurde ein Name verwechselt. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die | |
große Pläne scheitern lassen. Doch nicht diesmal – nach stundenlangen | |
Diskussionen machen sich der Gründer und sein neuer Braumeister erschöpft | |
auf den Heimweg. | |
Wenn es so klappt, wie Karadsheh es sich vorstellt, dann kann er manchem | |
Jordanier nicht nur ein paar vergnügliche Stunden bereiten und eine | |
Geschichtslektion erteilen, sondern auch den einen oder anderen Amerikaner | |
davon überzeugen, dass aus Nahost mehr als nur Öl und Flüchtlinge kommen. | |
Viel mehr kann man von einem Bier nicht verlangen. | |
24 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Florian Guckelsberger | |
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