# taz.de -- Leichen: Städtekampf um Bremer Tote | |
> Weil er sich bei Bremens Neuordnung des Leichenwesens übergangen sieht, | |
> beschwert sich ein Hannoveraner Rechtsmediziner beim Senat. | |
Bild: Die qualifizierte Leichenschau macht Bremen attraktiv für Rechtsmediziner | |
BREMEN taz | Mit einem geharnischten Schreiben hat sich Michael Klintschar, | |
Chef der Rechtsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), bei | |
Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) beschwert. Anlass ist die | |
Neuordnung des Leichenwesens, bei der Bremen auf eine Kooperation mit dem | |
derzeit noch von Klaus Püschel geleiteten rechtsmedizinischen Institut des | |
Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) setzt. „Die Beratungen mit der | |
Gesundheitsbehörde, der Geno und der Ärztekammer in Bremen sind im vollen | |
Gange“, lässt der wenig Zweifel daran, dass ihm die Aufgabe zufällt. | |
„Darüber werden die Bremer Institutionen zu gegebener Zeit berichten.“ Bis | |
dahin aber will Püschel über diese Angelegenheit nicht mit der taz | |
sprechen. | |
Auslöser für die behördliche Betriebsamkeit war die Pensionierung des | |
bisherigen Leiters der Bremer Rechtsmedizin, Michael Birkholz, Anfang | |
August: Weil dessen Institut, bremische Besonderheit, auch die Aufgaben des | |
amtsärztlichen Leichenwesens – die Betreuung der „Sozialleichen“, also | |
Toter, für deren Bestattung keine Angehörigen Sorge tragen, und die | |
Krematoriumsleichenschau – in der Stadt Bremen übernommen hatte, ist das | |
Gesundheitsressort zuständig. Und weil Bremen plant, künftig alle Toten des | |
Landes von einem qualifizierten Leichenarzt begutachten zu lassen und damit | |
eine bundesweit beachtetes Pionierprojekt plant, ist der Job auch | |
vergleichsweise begehrt. | |
Zwar wird seitens der Behörde behauptet, man habe sich für eine Beleihung | |
der Hamburger Einrichtung „nach fachlicher Prüfung“ und im Vergleich mit | |
dem Leistungsspektrum der MHH entschieden. Worin diese bestand und nach | |
welchen Kriterien verglichen wurde, ist die Behörde jedoch auch nach | |
dringlichem Fragen nicht in der Lage zu klären. Zuvor war die Behörde der | |
Gesundheitsdeputation gegenüber die geforderte Aufklärung schuldig | |
geblieben (taz berichtete). | |
Stattdessen wurden ihren Mitgliedern die teils schon über ein halbes Jahr | |
alten, und selbst nach Auskunft der Behörde teilweise überholten Konzepte | |
als Tischvorlage präsentiert, sodass sich Kirsten Kappert-Gonther als | |
gesundheitspolitische Sprecherin der Bürgerschafts-Grünen genötigt sah, | |
„transparente und nachvollziehbare Kriterien“ einzufordern. „Ich kann die | |
Entscheidung nicht nachvollziehen“, betont auch der CDU-Deputierte Wilhelm | |
Hinners. Dennoch steht am kommenden Mittwoch eine Änderung des | |
Gesundheitsdienstgesetzes auf der Tagesordnung der Bürgerschaft, die, | |
passiert sie das Parlament, den Senat ermächtigt, freihändig eine Beleihung | |
durchzuführen: Am Fehlen dieser Rechtsgrundlage war Ende September die | |
Unterzeichnung einer Verwaltungsvereinbarung mit Hamburg noch gescheitert. | |
Auf ihn wirke der Gang des Verfahrens, heißt es nun im Schreiben | |
Klintschars, also ob der fachlich zuständige Referatsleiter Martin Götz ihn | |
und „die niedersächsische Rechtsmedizin unter allen Umständen aus Bremen | |
fernhalten möchte“. Er „akzeptiere jede Zurücksetzung aus fachlichen | |
Gründen“, so Klintschar. „In der derzeitigen Situation muss ich jedoch | |
davon ausgehen, dass der Entscheidung keine Sachgründe zugrunde liegen.“ | |
Starker Tobak, auf den die Behörde mit Empörung reagiert. „Wir weisen | |
diesen Vorwurf entschieden zurück“, so der persönliche Referent der | |
Senatorin, Jens Schmidt. Gleichwohl lässt sich anders schwer erklären, | |
wieso die Behörde sich gleich zu Beginn der Beratungen im vergangenen | |
Herbst auf eine Kooperation mit Hamburg festgelegt hatte. So arbeitet zwar | |
die Bremerhavener Ortspolizeibehörde mit Püschel zusammen, jedoch | |
kooperiert umgekehrt die Bremer Polizei mit dem privatrechtlich | |
organisierten, von Birkholz gegründeten Bremer Ärztlichen | |
Beweissicherungsdienst (ÄBD), der wiederum vertraglich mit dem MHH liiert | |
ist: Unter anderem organisieren sie die diesen Sommer eingeführte | |
qualifizierte Leichenschau im Klinikum Delmenhorst gemeinsam. | |
Politisch nicht ohne Brisanz ist, dass Klintschar ankündigt, sich gegen das | |
„Gefühl, Opfer eines Ränkespiels geworden zu sein“ mit allen ihm zu Gebote | |
stehenden Mitteln wehren und ausdrücklich „auch in der niedersächsischen | |
Politik dafür werben zu wollen, die Einhaltung des Staatsvertrages zwischen | |
unseren Bundesländern einzufordern“: Püschels Konzept sieht vor, mit der | |
von Bremen bereitgestellten Logistik auch weite Teile Niedersachsens zu | |
übernehmen. Kundschaft, die in Hannover plötzlich fehlen würde. | |
6 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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