# taz.de -- Firmen tarnen sich als Bürgerinitiativen: Kunstrasen aus der Indus… | |
> Wo „Bürgerinitiative“ draufsteht, sind nicht immer auch Bürger drin. Es | |
> können auch gut getarnte Unternehmen sein. | |
Bild: Wenn man nur will, kann man sich den auch schön lügen: Braunkohletageba… | |
BERLIN taz | Sie ist schlicht, [1][die Webseite der Initiative „Bürger für | |
Technik“]: gelb-blaues Design, kleine Schrift, viel Weißraum. Der ganze | |
Auftritt wirkt leicht unprofessionell, zeigt aber doch eine erstaunliche | |
Vielfalt an Themen. Allerdings kommen Windkraft, Solarenergie und Biogas in | |
den Beiträgen und Leserbriefen durchweg schlecht weg. | |
Und die Namen im Impressum und einige der Autoren von Leserbriefen sind | |
langjährige Mitarbeiter aus der Kerntechnik oder Chemie sowie Mitglieder | |
der Kerntechnischen Gesellschaft und des Deutschen Atomforums. | |
Immer wieder sieht es vor allem bei Auftritten im Netz nur auf den ersten | |
Blick so aus, als würden hier interessierte Bürger eine Meinung abseits des | |
doch eher grünen Mainstream vertreten. Bürgerinitiativen – oder | |
Graswurzelbewegungen, um den englischen Begriff grass root campaign zu | |
übersetzen – haben einen guten Ruf. Man unterstellt ihnen, den Willen der | |
Bevölkerung unverfälscht darzustellen. Daher werden ihre Ursprünge und | |
Motive weniger oft hinterfragt. | |
Genau das versuchen manche Unternehmen und Verbände zu nutzen. Dafür gibt | |
es sogar schon einen Begriff: Sie säen „Kunstrasen“. Eine | |
Kunstrasenbewegung, englisch Astroturf, wolle den Anschein einer „wild | |
gewachsenen, bunten Wiese erwecken, ist aber strategisch initiiert worden“, | |
erklärt Ute Bertrand von der Aktionsgemeinschaft Robin Wood. | |
Gemeinsam mit anderen Initiativen beobachtet sie diese Bewegungen genau. | |
„Astroturfing ist zwar legal, aber moralisch fragwürdig, denn hier wird | |
bewusst ein falscher Anschein erweckt“, sagt sie. Hier müsse die | |
Bevölkerung aufgeklärt werden. | |
## Das Image eines Konzerns anonym aufpolieren | |
Nicolas Wendler vom Deutschen Atomforum weist die Vorwürfe im Zusammenhang | |
mit der Website von Bürger für Technik allerdings zurück. Er sagt, ihm sei | |
deren Auftritt zwar bekannt, auch wisse er, dass es sich nicht um Laien | |
handle. Allerdings sei die Initiative deren „Privatsache“ und stehe in | |
keiner Verbindung zum Forum. | |
Nach Informationen von Robin Wood gibt es jedoch einige Beispiele für diese | |
Form von Public Relation. Die Organisation glaubt, bei verschiedenen | |
Pro-Kampagnen zum Ausbau des Frankfurter Flughafens, bei Stuttgart 21 und | |
dem Braunkohleabbau in der Lausitz die Handschrift von Politik und | |
Wirtschaft wiedergefunden zu haben. Manchmal reichten wenige Klicks im | |
Impressum, so Ute Bertrand. Oft sei jedoch eine tiefer gehende Recherche | |
notwendig, die eine Privatperson kaum leisten könne. | |
Gerade in der Zeit der sozialen Netzwerke nimmt Astroturfing zu, auch in | |
kleinerem Maßstab: Arbeiter aus der Atomenergie sollen, so die Vorwürfe von | |
Robin Wood, von ihren Arbeitgebern dazu angehalten werden, für die Branche | |
negative Berichte im Internet schlecht zu bewerten und zu kommentieren. | |
Facebook, Twitter und ähnliche Seiten bieten hierbei einfache | |
Möglichkeiten, das Image eines Konzerns anonym aufzupolieren. | |
## Den Spieß umdrehen | |
„Generell ist es das gute Recht von Wirtschaftsverbänden, ihre Interessen | |
zu vertreten“, sagt Bertrand. Problematisch werde es erst, wenn sie dies | |
verdeckt tun und so den guten Ruf von Graswurzelbewegungen ausnutzen. Dies | |
sei vor allem dann kritisch, wenn die entsprechenden Initiativen als Stimme | |
der Bevölkerung etwa bei Anhörungen mitmachen könnten. „Beim | |
Verbraucherschutz sagt man: Es muss drinstecken, was draufsteht. Das sollte | |
bei Bürgerinitiativen auch so sein.“ | |
Gegen falsche Etikettierung helfe vor allem Transparenz. Daher will Robin | |
Wood gemeinsam mit Lobbycontrol und anderen Initiativen auf die Täuschungen | |
durch Astroturfing hinweisen. Am kommenden Samstag veranstalten sie in der | |
Berliner Humboldt-Universität [2][ein offenes Forum, das sich diesem Thema | |
widmet]. | |
Ein kritisches Bewusstsein sei das beste Instrument gegen | |
Kunstrasenbewegungen. Es sei immer wichtig, sich zu fragen, wie eine | |
Initiative entstanden ist und welche Ziele sie verfolgt, so Bertrand. Den | |
Anspruch des Forums fasst sie so zusammen: „Die Lobbyverbände gucken den | |
Bürgerinitiativen auf die Finger, analysieren jeden Schritt. Jetzt wird es | |
Zeit, den Spieß umzudrehen.“ | |
25 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.buerger-fuer-technik.de/ | |
[2] http://www.konzernprotest.de | |
## AUTOREN | |
Dominik Schneider | |
Hannah Kappenberger | |
## TAGS | |
Unternehmen | |
Bürgerinitiative | |
GCHQ | |
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