# taz.de -- Stromanbieter tarnt Werbeaktion als Demo: Kunstschnee gegen den Kli… | |
> Ein Stromunternehmen will sich auf dem Berliner Markt etablieren. Und | |
> tarnt seine erste Werbeaktion als Demonstration. | |
Bild: Muss als Helfer für Energieunternehmen herhalten | |
Es ist wahrscheinlich die erste Demonstration in Berlin, bei der Besucher | |
von Hostessen empfangen werden. Die Frauen stehen am Eingang des | |
Schlossplatzes in Mitte, vor zwei laternenhohen Schneemännern mit perfekten | |
Proportionen, die ein Transparent halten: "Kommt herein und baut | |
Schneemänner." Die Hostessen lächeln und verteilen Broschüren: "Große | |
Schneemann-Demo gegen Klimaerwärmung", steht auf der ersten Seite, 33 | |
Seiten später auf der letzten: "ermöglicht von entega". | |
Entega ist ein hessischer Stromanbieter, die Schneemänner sind aus | |
Kunstschnee, und die Demonstration gegen den Klimawandel ist keine. | |
Zumindest nicht, soweit die Polizei weiß. "Habt ihr was von einer | |
Schneemann-Demo gehört?", fragt die Polizeisprecherin ihre Kollegen, als | |
die taz anruft. Gemurmel im Hintergrund. "Es ist auf jeden Fall keine | |
Demonstration angemeldet", sagt sie. | |
Was von Freitag bis Sonntag auf dem Schlossplatz in Berlin stattfindet, ist | |
eine moderne Form von Werbeveranstaltung. Eine, die ihre Kunden einbindet - | |
jeder, der kommt, kann einen Schneemann bauen, ihm einen Hut aufsetzen und | |
ein Transparent gegen den Klimawandel in die Seite stecken. Aber auch eine, | |
die unehrlich ist. "Der Demobegriff wird missbraucht, wenn Menschen denken, | |
sie gehen auf eine Protestveranstaltung und bekommen dafür ein Werbe-Event" | |
, sagt Heidi Klein, Vorstandsmitglied der Initiative Lobby Control. | |
So wie Doreen Werner. Die 23-jährige Studentin sah zuerst ein Plakat für | |
die Aktion und fand "gut, dass man mal nicht nur rumsteht, sondern | |
mitmachen kann, etwas bauen kann". Sie suchte mehr Informationen im | |
Internet, Entega warb viel über soziale Netzwerke. Erst beim zweiten oder | |
dritten Klick stellte sie fest, dass die Aktion mit einem Stromunternehmen | |
zu tun hat. "Daniel sieht das kritischer", sagt sie und zeigt auf ihren | |
Freund, der dem Schneemann gerade Haare aus Tannenzweigen aufsetzt. Er | |
wusste nichts davon, dass es sich um eine Werbeaktion handelt. "Man muss | |
erst mal nachschauen, was das für ein Konzern ist", sagt er. | |
Auf einer Infotafel auf dem Schlossplatz steht: "Wir waren Teil des | |
Problems, jetzt wollen wir Teil der Lösung sein." Entega ist ein regionaler | |
Energieanbieter, der auf den deutschen Markt bekannt werden will, als | |
Erstes in diesen Tagen in Berlin. Und die Marke soll dabei möglichst von | |
Anfang an mit dem Label "Ökostrom" verbunden sein. Doch ein Drittel des | |
Stroms kommt nach Firmenangaben aus Gas und Kohle, etwa die Hälfte der | |
800.000 Kunden beziehen keinen reinen Ökostrom. Zwar verkauft das | |
Unternehmen selbst keinen Atomstrom, doch ein Teil der Profite wandert | |
derzeit noch an den Atomenergiekonzern Eon. | |
Wenn Werbeaktionen das Image der Graswurzelbewegung benutzten, nennt man | |
das in den USA "Astroturfing", das kommt von "Kunstrasen". Entega benutzt | |
Kunstschnee. 300 Tonnen werden an diesem Wochenende mithilfe von Stickstoff | |
auf dem Schlossplatz produziert. Man hätte die Aktion auch bei 10 Grad plus | |
gemacht, sagt eine Vertreterin der verantwortlichen Werbeagentur, es gehe | |
schließlich um die Sache. Die negative CO2-Bilanz des Kunstschnees werde | |
man durch Baumpflanzungen in Kanada kompensieren. | |
Wogegen man eigentlich demonstriere? "Na ja, gegen den Klimawandel", sagt | |
Marketingleiterin Karoline Haderer, die die Aktion mit konzipiert hat. | |
Forderungen an die Politik? Habe man nicht, es gehe eher um einen | |
Bewusstseinswandel. Die Plakate zwischen den Schneemännern formulieren den | |
Dreiklang: Klimakatastrophe - Eigenverantwortung - Stromanbieterwechsel. | |
Die Idee kam von Ralf Schmerberg. Der Filmemacher, der früher Werbespots | |
gedreht hat, dann eine Dokumentation über die Proteste in Heiligendamm, | |
wird von Entega drei Jahre lang für solche Aktionen bezahlt. "Kunstaktion, | |
Demonstration oder PR - ist doch scheißegal", findet er. Findet Lobby | |
Control nicht. | |
22 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
L. Strothmann | |
L. Sander | |
## TAGS | |
Unternehmen | |
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