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# taz.de -- Die Wahrheit: Rauer Schrei nach Liebe
> Das Schlagerurgestein Gunter Gabriel fordert den Bundespräsidenten zu
> einem Duett heraus, doch Joachim Gauck ziert sich.
Bild: Gunter Gabriel schreit es frei heraus: ein Zwiegesang mit Gauck soll es s…
Nichts ist, wie es war, in dem rostigen Hausboot, das irgendwo bei Hamburg
vertäut liegt und, von den letzten Mücken des Sommers umschwirrt, sacht auf
dem Fluss schaukelt: nicht das Bett, denn es wurde schon lange nicht mehr
gemacht; nicht die Kochnische, denn sie wurde schon lange nicht mehr
benutzt; nicht die Dusche, denn sie wurde schon lange nicht mehr geputzt.
Denn der Mann, der in diesem Hausboot wohnt, hat seit zwei Wochen nicht
mehr geschlafen, geduscht oder gar gegessen – dazu ist er viel zu traurig,
enttäuscht und empört.
Seit Wochen wendet er sich nun schon an sein Staatsoberhaupt, ohne eine
befriedigende Antwort – ja, ohne überhaupt eine Antwort zu bekommen. Blöder
Affe. Dabei will er, Gunter Gabriel, Idol für Millionen von Truckfahrern,
Held der deutschen Highways, der Omar Sharif der Landstraßen, der Johnny
Cash der Rastplätze, seinem Bundespräsidenten doch eine Chance geben, die
kein Staatsoberhaupt der Welt ungenutzt verstreichen lassen sollte:
„Freiheit ist ein Abenteuer“ zu singen. Einen Hit zu haben. Ein Mann des
Volkes zu sein. Ein Zeichen zu setzen. Im Duett.
## Auswendig von Andernach bis Zehlendorf
Ungeduldig greift er sich seine Klampfe und haut ihr unsanft in die Saiten,
bis eine reißt, aber auch das ändert nichts. Warum, fragt er sich wohl zum
hundertsten Male, kommt dieser Gauck nicht endlich mit ihm auf die Bühne?
Auch Bsirske hat er schon angerufen. Wollte „Hey Boss“ mit ihm aufnehmen,
den Song, den alle Lkw-Fahrer zwischen Andernach und Zehlendorf auswendig
können, den die Gewerkschaft ÖTV damals fast zur offiziellen Hymne des
Antikapitalismus gemacht hätte.
Aber dieser Schmock hat zuerst so getan, als kenne er sich mit Musik nicht
aus, hat dann behauptet, die Anrede „Hey Boss“ sei vielleicht nicht mehr
ganz zeitgemäß, und außerdem habe er, Bsirske, andere Termine. „Ich brauch
mehr Geld“ ist immer zeitgemäß, Kumpel!, hatte Gunter geknurrt, doch am
anderen Ende der Leitung war niemand mehr, oder vielleicht war auch nur
Bsirskes Handy tot. Oder Bsirske selbst – für ihn, Gunter, ist der Typ
jedenfalls ab sofort gestorben.
## Gauck oder Merkel?
Nein, nicht sein Hausboot ist abgerockt, sondern diese Welt, die ihm so
viel zu verdanken hat. Die eine Hälfte zumindest. Die andere Hälfte, die
weibliche, hat ihn lieb. Ach, die Liebe. Die Weiber, alle wollen sie unter
seine Decke, immer noch, auch wenn er nicht mehr so volles Haar hat wie
früher – zehn, fünfzehn sind es jedenfalls immer. Wenn er nur daran denkt,
wird ihm ganz schwindlig. Und es kommt ihm Helene Fischer in den Sinn,
diese frivole kleine Schnepfe mit ihrer komischen Musik. Aber geiles Gerät.
Nur heiraten, das hat er auch denen von der Süddeutschen gesagt, heiraten
würde er sie nicht, wegen der Freiheit. Apropos.
Soll er Gauck noch eine Chance geben? Oder doch zuerst Merkel? „Sag mir, wo
die Blumen sind“ soll sie mit ihm singen, diesen tollen Song, den er bei
den Soldaten im Kosovo so berühmt gemacht hat, ganz ohne Gage. Der Song ist
ein bisschen ein Antikriegslied, es mit ihm zusammen zu singen wird auch
der Kanzlerin ein wenig von ihrer Angst nehmen in dieser schweren Zeit.
Er greift sich sein Mobiltelefon und wählt eine Nummer, aber es ist immer
besetzt. Will die Kanzlerin ihn verarschen, verdammt? Na gut, dann versucht
er es eben bei Gauck. Er tippt auf „Kontakte“, scrollt unter G bis ganz
nach unten, weil oben ganz oft „Gabriel“ eingetragen ist, und lässt die
Verbindung herstellen. „Bitte bleiben Sie am Apparat“, sagt eine Schnepfe,
„zurzeit sind alle unsere Mitarbeiter im Gespräch.“ Gunter tut, wie ihm
geheißen, und wartet, aber seine Laune wird davon nicht besser, sondern
eher schlechter, um nicht zu sagen sehr miserabel, und so schreit er, als
sich endlich „ein Mitarbeiter“ meldet, bloß „Arschloch, Arschloch,
Arschloch!“ ins Mikro.
## Wie ein Kapitän
„Diesen Song“, sagt der Mitarbeiter, „sieht der Herr Bundespräsident sich
außerstande einzusingen, lässt jedoch mitteilen, dass ihn die aktuelle
Charts-Platzierung des flotten Oldie-Titels tief beeindruckt und er eine
Verleihung des Verdienstkreuzes an den Chor in Erwägung zieht“.
Plötzlich fühlt Gunter sich wie der Kapitän in einer rostigen, nutzlosen
Badewanne, eine Sekunde lang überlegt er, ob er nicht für immer den Stöpsel
ziehen soll. Dann fällt sein Blick auf das Jackett, das ihm Cash einst
schenkte. Und er zieht eine neue Saite auf.
22 Sep 2015
## AUTOREN
Gitta List
## TAGS
Schlager
Joachim Gauck
Liebe
Gunter Gabriel
Gunter Gabriel
Gunter Gabriel
Verdi
Medizin
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