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# taz.de -- Romamor Festival in Dresden: Verlorene Schmuckstücke
> Zwischen Volksverachtung und Zuneigung: Das Festspielhaus Hellerau zeigt
> das Festival „Romamor“ zu den Kulturen der Sinti und Roma.
Bild: Die Musiker vom Bilent Saliev & Nusret Bagramov/Kocani Orkestar ziehen in…
Sechs Musiker aus Rajasthan sitzen auf der großen Wiese des Dresdner
Alaunparks und erwidern mit unnachahmlicher Freundlichkeit den Applaus von
200 spontanen Zuhörern. Die einfache Pentatonik ihrer Musik hat etwas
Archaisches, verweist auf die Gemeinsamkeiten der frühen Musik von Indien
über den arabischen Raum bis nach Europa. Von Indien sollen sie einst auch
ausgewandert sein, diese nirgendwo wohlgelittenen Leute, die man bei uns
„Zigeuner“ und erst seit knapp 40 Jahren weniger despektierlich „Sinti und
Roma“ nennt. Ein Zug, der möglicherweise schon vor unserer Zeitrechnung
begann.
Diese so sympathischen Musiker, die in ihrer Heimat wie Popstars gefeiert
werden, passen genau in den fünftägigen Prolog eines groß angelegten
Festivals am Festspielhaus Hellerau bei Dresden, das Anfang September
begann. Am 11. und 12. September werden sie mit weiteren Musikern aus
Spanien, Mazedonien und Ägypten bei den eigentlichen Eröffnungskonzerten
von „Romamor“ erneut zu hören sein.
Mindestens ein Jahrzehnt lang treibt den künstlerischen Leiter des
Festspielhauses in Hellerau, Dieter Jaenicke, schon die Idee um, die Kultur
dieser größten europäischen Minderheit zu feiern. Eher ein Fest also als
ein Festival. Vom gegenwärtigen Flüchtlingsansturm waren die seit zwei
Jahren laufenden Vorbereitungen für „Romamor“ zunächst noch nicht
beeinflusst. Der aktuelle Zustrom lässt fast vergessen, dass wir uns an den
Dauerzustand der Diskriminierung dieser Minderheit gewöhnt haben. Auch
unter den abgeschobenen Kosovaren finden sich erneut zahlreiche Roma.
Dieter Jaenicke spricht von einer „Mischung aus Hass und Bewunderung“, die
den Sinti und Roma seit dem 13. Jahrhundert entgegengebracht wird.
Hartnäckig hält sich das Bild von umherziehenden und schmarotzenden
Nomaden, obschon sie seit rund 150 Jahren weitgehend sesshaft geworden
sind.
## Hartnäckige Klischees
Die volksetymologische Deutung des Begriffes „Zigeuner“ als „ziehender
Gauner“ setzt auf dieses Klischee. Zugleich aber bewundern die biederen
Durchschnittsbürger das im Lied besungene „Lustige Zigeunerleben“, und ihre
Musikalität gilt als sprichwörtlich. Sie hatte nicht nur Einfluss auf den
spanischen Flamenco oder auf die Klezmermusik, sondern auch auf die
sogenannte klassische Musik, auf die Operette oder das Salonrepertoire des
20. Jahrhunderts.
Solchen Spuren gehen bis Ende September das Festival und sein Beiprogramm
nach. Fünf Diskussionen werden sich dem Antiziganismus, kursierenden
Klischees und europäischen Strategien widmen. Auch ein
Selbstermutigungskurs wird angeboten.
Man wolle nicht auf Carmen oder Esmeralda reduziert werden, macht eine
Installation des britischen Künstlerpaars Delaine und Damian Le Bas
deutlich, die schon in diesen Tagen Besucher vor dem Festspielhaus
empfängt. Zwei symbolische „europäische Häuser“ haben sie aufgebaut, inn…
und außen mit Collagen skurriler Bilder und historischer Dokumente wie auch
mit demonstrativen Forderungen tapeziert.
## Karg gedeckter Tisch
Lange verweilen kann man auch schon in dieser Prolog-Woche vor den
Fotografien von Annette Hauschild unter dem Titel „Hit the road Jack“. Sie
hat die Roma-Gettos in Italien, Ungarn oder in der Slowakei besucht, wo
sich das viel beschworene christliche Abendland von einer finsteren Seite
zeigt. Wie verlorene Schmuckstücke kontrastieren Menschen mit ihrer
ruinösen und abstoßenden Umgebung. Das Scheinidyll einer Familie mit acht
Kindern vor karg gedecktem Tisch, die vier alten Frauen in bunten Kleidern
oder die vier sich in die Ferne träumenden Fußballjungs vergisst man so
schnell nicht.
Aus dem Programm nach der opulenten Festivaleröffnung am 11. und 12.
September mit Jam Session bis zum Frühstück ragt der führende
Avantgarde-Flamenco-Tänzer Israel Galván heraus. Aber auch HipHop aus dem
Kosovo hat seinen Platz im Programm, ebenso die viel versprechende Truppe
des slowakischen Geigers und Sängers Marek Balog. Das Leben in einer
tschechischen Kleinstadt beleuchtet ein Dokumentarstück des Archa Theater
Prag am 20. September.
Zwei weitere Teile des Festival-Großprojektes folgen im kommenden Januar
und April. Neben den Kulturstiftungen des Bundes und des Freistaates
Sachsen fördern erfreulicherweise auch weitere öffentliche Institutionen
das Festivalprojekt. Die Schirmherrschaft hat das Europäische Parlament,
namentlich sein Präsident Martin Schulz, übernommen.
11 Sep 2015
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Roma
Sinti
Kulturkampf
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