# taz.de -- Auf dem Toten-Markt: Mehr Asche als Frieden | |
> Trotz scharfer Kritik aus der Opposition nimmt die Bremer | |
> Gesundheitsdeputation den im April noch abgeschmetterten Hamburger | |
> Leichenschau-Plan billigend zur Kenntnis. | |
Bild: Tote sterben nicht aus: Leichenschau ist in Bremen ein echter Wachstumsma… | |
BREMEN taz | Hannover geht leer aus, der Ärztliche Beweissicherungsdienst | |
des bisherigen Leiters des Bremer Instituts für Rechtsmedizin, Michael | |
Birkholz, droht aus dem Geschäft gedrängt zu werden – und Hamburgs | |
Rechtsmedizin darf sich auf Bremens Leichen freuen. Das ist der Tenor der | |
gestern von der Bremer Gesundheitsdeputation gefassten einschlägigen | |
Beschlüsse. | |
Zwar muss das Team um Rechtsmediziner Klaus Püschel vom Uni-Klinikum dann | |
auch die sogenannten herrenlosen Leichen, also jene Toten, um die sich | |
keine Angehörigen kümmern, bestatten – der zweifellos ungeliebtere Teil des | |
Geschäfts. Aber außerdem bekommt er auch Zugriff auf diejenigen, die | |
einzuäschern sind: Das ist ein lukrativer Teil des Toten-Markts. Denn die | |
müssen schon jetzt alle vor der Einäscherung von einem fachkundigen | |
Pathologen beschaut werden. Der Tarif liegt bei 72 Euro die Leiche, etwa 20 | |
schafft ein Rechtsmediziner pro Stunde. Und die Gesundheitsdeputation hat | |
gestern den Plan der Senatorin Eva Quante-Brandt (SPD) zur Kenntnis | |
genommen, dieses amtsärztliche Totenwesen nach Hamburg auszulagern. | |
Wirtschaftlich besonders attraktiv ist das aber, weil Bremen künftig alle | |
Toten einer qualifizierten Leichenschau unterziehen will: Das ist ein | |
Geschäft. | |
Vor diesem Hintergrund wäre es nicht ganz abwegig gewesen, die Abstimmung, | |
wie von Rainer Bensch (CDU) gefordert, auszusetzen – bis man sich | |
wenigstens einen Eindruck von den Unterlagen gemacht hätte. Selbst das von | |
Püschel im Februar eingereichte Exposé lag bislang nur in Auszügen vor. | |
Noch bei der April-Sitzung der Deputation war es noch durchgefallen, wegen | |
fachlicher Bedenken. Eine neue Fassung wurde aber ausweislich der | |
Ressortunterlagen weder angefordert noch erstellt. Besonders kritisiert | |
wurde damals, dass Püschel die qualifizierte Leichenschau nicht am Todes- | |
oder Fundort des Toten veranstalten wollte. | |
Für Verärgerung hatte schon im April gesorgt, dass der zuständige Referent | |
seinerzeit zwar behauptet hatte, sich auch in Hannover nach Angeboten | |
erkundigt zu haben, dort aber von einer solchen Nachfrage nichts bekannt | |
geworden war. Später hat er dann tatsächlich Michael Klintschar, Professor | |
und Leiter des rechtsmedizinischen Instituts der dortigen Medizinischen | |
Hochschule (MHH) dort besucht und ihn aufgefordert, ein Exposé | |
einzureichen. Mitte Juli lag es der Gesundheitssenatorin vor. Die | |
Deputierten bekamen es gestern als Tischvorlage hingeknallt. | |
„Das ist kein guter Stil, gleich zu Beginn der Legislaturperiode mit | |
solchen Tricks zu kommen“, erregte sich Bensch. „Wir brauchen eine | |
Gegenüberstellung beider Konzepte, eine Synopse, um zu erkennen, wo die | |
Stärken und Schwächen liegen.“ Bekamen sie nicht, und bekommen sie, nach | |
der beschlossenen Kenntnisnahme wohl auch nicht. Stattdessen müssen sie | |
sich mit der wirren Begründung der Beschlussvorlage begnügen: „Die gesamte | |
Konzeption der MHH ist über ein geplantes neues „Zentrum für Rechtsmedizin�… | |
an die erwartete Übernahme des Ärztlichen Beweissicherungsdienstes | |
gekoppelt“ – steht dort, was eigentlich gar nichts bedeutet. Dass es mit | |
dem Local Hero Birkholz eng kooperiert – erwähnt man nicht. | |
„Dahingegen überzeugt die Konzeption des UKE insbesondere in Würdigung der | |
realen Verhältnisse in Bremen“ schlägt der Verfasser plötzlich einen | |
schwärmerischeren Ton an. Hinzu komme, dass es „bereits über umfangreiche | |
rechtsmedizinische Kooperationserfahrungen im niedersächsischen Umland“ | |
verfüge. | |
Da mindestens ist was dran: Manche dieser Erfahrungen, etwa in Cuxhaven, | |
sind abgeschlossen, und manche, wie in Verden, waren eher kurz und | |
schmerzhaft: Dort hatten die Hamburger den Zuschlag gekriegt für die | |
Pflicht-Leichenschau vor der Verbrennung. Das klappte aber nicht. Nach vier | |
Wochen musste Peter Falk, Leiter des Verdener Krematoriums die | |
Ausstiegsklausel des Vertrags ziehen. Er ist dann im August zu Birkholzens | |
Beweissicherungsdienst gewechselt. „Seither läuft das wie geschnitten | |
Brot“, sagt Falk. | |
Auch in Delmenhorst hat der frühere Bremer Pathologie-Leiter die Gesamtheit | |
der Kliniktoten – ein sensibler Bereich! – zu begutachten. Und in Bremen | |
arbeitet mit ihm die Polizei weiter zusammen, auf drei Jahre hat man sich | |
an den Dienst gebunden. Allerdings, wenn sich jetzt die Gesundheitsbehörde | |
eher Hamburg als privilegiertem Partner zuwendet, dann dürfte das für | |
Birkholz mittelfristig ein Problem werden: „Die Kooperation mit | |
Niedersachsen ist dann weg“, sorgt er sich um den guten Draht zur MHH. Und | |
sein Unternehmen verliert an Attraktivität ohne dieses | |
Entwicklungspotenzial: Gerade erst hat er als medizinischen Leiter Gerhard | |
Kernbach-Weighton, Professor für Rechtsmedizin an der Bonner Uniklinik, | |
gewinnen können. Auch den lockt das Pioniervorhaben der verbindlichen | |
qualifizierten Leichenschau für jeden Toten nach Bremen: „Das ist so“, | |
bestätigt er, „ich denke, ich könnte da aus meiner Erfahrung einiges | |
beisteuern“. Schließlich hatte Kernbach-Weighton zuvor sechs Jahre an der | |
Edinburgh-University gelehrt, in Schottland, wo die fachlich profunde | |
Begutachtung sämtlicher Todesfälle schon seit langem Pflicht ist. | |
10 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Leichenschau | |
Niels Högel | |
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UKE | |
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