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# taz.de -- Zwei Theatermacherinnen in Wien: Die Saniererinnen
> Gleich zwei große Theater in Wien werden von Intendantinnen geleitet:
> Karin Bergmann und Anna Badora gehen nun ans Werk.
Bild: Anna Badora im Wiener Volkstheater.
An den Wiener Theatern gehen die Uhren jetzt anders, zumindest
geschlechterpolitisch. Zwei der drei Großbühnen in der Stadt werden mit
Beginn der neuen Saison von Intendantinnen geführt. In einer Branche, die –
was den Anteil von Frauen in Führungspositionen betrifft – bis vor wenigen
Jahren knapp vor dem Vatikan platziert war, ist das unbestritten ein
Fortschritt. Aber es war nicht nur der Atem der Geschichte, der den
österreichischen Kulturpolitikern die kluge Entscheidung für Karin Bergmann
am Burgtheater und Anna Badora am Wiener Volkstheater eingehaucht hat,
sondern die schiere Not.
Die Finanzkrise ums Burgtheater im Frühjahr 2014 hat einen akuten
Sanierungsfall zutage befördert und die Erkenntnis provoziert, dass die Ära
der Hoftheaterzampanos, die in alten Gemäuern mit fürstbischöflichem
Führungsstil residieren und repräsentieren, vorbei ist. Für die gut
vernetzten Männerbünde, die sich sonst in der rent seeking economy des
halbstaatlichen oder politiknahen Sektors tummeln, scheint das Theater
nicht mehr interessant.
So kommen Qualifikationen von KandidatInnen zum Tragen, die diese vorher
zweifellos auch schon hatten. Bei Bergmanns Berufung nach der Entlassung
von Matthias Hartmann legte die Politik besonderen Wert auf den Konsens mit
dem Ensemble.
## Neue Solidarität
Wo sonst ein Intendantenwechsel bedeutet, dass SchauspielerInnen dem Termin
entgegenbangen, an dem sie auch nach mehrjähriger Festigung ihrer
Lebensverhältnisse relativ kurzfristig gefeuert werden können, sind das
neue Töne. Auch hat Karin Bergmann in solidarischer Weise Einbußen beim
Gehalt hingenommen, was wohl nur wenige männlicher Mitbewerber erwogen
hatten.
Mit ruhiger Hand konnte sie das Haus schließlich aus den negativen
Schlagzeilen herausführen und ihm als Resultat unerwartet positive
verschaffen: Einladungen zum Theatertreffen mit „Die lächerliche
Finsternis“ von Wolfgang Lotz (Regie: Dušan David Pařízek) und Ewald
Palmetshofers „die unverheiratete“ (Regie: Robert Borgmann) und nicht
zuletzt den Ehrentitel der Branche „Theater des Jahres“. Erreicht wurde all
das mit ein paar mutigen Entscheidungen in einem durchaus noch
konventionellen Rahmen.
## Weg von der Hintertreppe
Man platziert zwei exzellente neue Theatertexte angemessen im
Akademietheater und nicht wie sonst so oft die Zeitgenossen auf der
Hintertreppe, man vertraut jungen, aber nicht unerprobten Regisseuren und
gibt nachwachsenden SchauspielerInnen den Freiraum, sich zu entfalten -
allen voran die Schauspielerin und Nachwuchsschauspielerin des Jahres
Stefanie Reinsperger
Ausgestanden ist die Krise mit ersten Erfolgen noch nicht. Reingeritten hat
das Burgtheater nicht in erster Linie Bergmanns Vorgänger, sondern die
Leugnung der vier Grundrechenarten in der Kulturpolitik. Sie hatte das
Theater zum Wirtschaftsbetrieb erklärt und als einziger Kunde den Preis –
die Subvention – diktiert und kaum erhöht. Jedenfalls nicht in dem Maß, wie
Theater als Manufakturbetrieb Jahr für Jahr teurer wird. Dieser Widerspruch
war irgendwann nicht mehr mit kreativer Buchhaltung zu verstecken.
## Wirtschaftliche Vernunft
Es bleibt die Befürchtung, dass sich die nun waltende wirtschaftliche
Vernunft irgendwann auch in einer stromlinienförmigen Ästhetik realisiert.
Die neue Bescheidenheit ist nicht nur ein gutes Zeichen. Die Burg war immer
im besten Sinne der verrückte Ort, an dem möglich war, was anderswo gar
nicht erst erwogen wurde.
Alvis Hermanis’ Inszenierung von „Der Revisor“ zur Saisoneröffnung ist
womöglich schon der erste Vorbote der neuen ökonomischen Politik am Haus.
Hermanis verlegt Nikolai Gogols Komödie der Sehnsüchte in den ostalgischen
Grind einer abgewickelten Kolchosenkantine, lässt sie aber dort als ihr
eigenes Ausstellungsstück zurück. Schickes Ambiente für ein Theater, das
die Auseinandersetzung seines Stoffes mit seiner eigenen Praxis und mit der
Gesellschaft, für die es arbeitet, gar nicht erst sucht.
Eine erstrangige Besetzung mit Michael Maertens, Maria Happel, Dörte
Lyssewski und vielen anderen, die es ihnen gleichtun, ist dazu verdammt,
auf den Silikonglatzen ihrer Masken viereinhalb Stunden Locken zu drehen.
Theater zelebriert die Sehnsucht nach der eigenen, verflossenen Bedeutung.
## Leiden der Nachgeborenen
Maja Haderlaps Roman „Engel des Vergessens“ gehört zu den wichtigsten
Büchern, die in und über Österreich in den vergangenen Jahren geschrieben
wurden. Es erzählt von den Leiden und dem Widerstand der Kärntner Slowenen
im Nationalsozialismus und davon, wie ihre Geschichte vom Mehrheits- und
Nachkriegsösterreich jahrzehntelang ignoriert wurde. Aber es handelt auch
davon, wie noch die Nachgeborenen leiden unter dem, was ihre Eltern und
Großeltern nicht vergessen können. Können sie doch nicht so einfach
revoltieren gegen die, die doch Helden und Opfer sind, so, wie es andere
gegen ihre Täter- und Verdrängereltern tun.
Davon bekommt man in Georg Schmiedleitners Aufführung am Akademietheater
(Burg) allerdings wenig mit. Stattdessen inszeniert er eine mit Licht,
Musik und Donner multimedial aufmunitionierte Geschichtsstunde, die
nachholen will, was der Schulunterricht jahrzehntelang mit Kaiser Franz
Joseph endend versäumt hat.
## Kluge Ensemblepolitik
Anna Badora hat schon vor der ersten Aufführung ihrer Spielzeit am
Volkstheater einige Marken gesetzt. Sie hat den roten Stern vom Dach des
Hauses geholt, der ein Jahrzehnt lang als gebautes Missverständnis dort
aufgepflanzt war, sie hat eine neue Tribüne durchgesetzt, die im
Zuschauerraum erstmals seit über 100 Jahren nutzbare Sichtverhältnisse
schafft.
Und sie hat – das Haus ist ungefähr so groß wie das von denselben
Architekten erbaute Hamburger Schauspielhaus, dennoch steht nur gut ein
Viertel des Burgtheaterbudgets zur Verfügung – eine kluge Ensemblepolitik
begonnen. Die Schauspielerin des Jahres Stefanie Reinsperger etwa ist ihrem
bevorzugten Regisseur ans Volkstheater gefolgt. Die Burg ist für
SchauspielerInnen in Wien nicht mehr das Maß aller Dinge.
Badoras Eröffnungsinszenierung versucht sich ebenso wie die Burg an der
Aufarbeitung der defizitären Aufarbeitung des Nationalsozialismus in
Österreich. Wieder ist es eine Romanbearbeitung: „Fasching“ von Gerhard
Fritsch, 1967 publiziert, im reaktionären Klima seinerzeit untergegangen
und kürzlich wiederentdeckt. Der Held des Romans Felix Golub (Nils
Rovira-Muñoz) hatte sich in einer österreichischen Kleinstadt als Deserteur
in Frauenkleider versteckt, die Stadt vor der Zerstörung bewahrt und war
doch in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten.
Nach seiner Rückkehr geht der Terror der Ewiggestrigen weiter, die Täter
können ihren Opfern ihre Taten nicht verzeihen. Aber auch die Aufführung
des Volkstheaters weiß ihrer Vorlage keine weitere Erkenntnis hinzuzufügen.
Gleich zweimal hintereinander hat Theater es verfehlt, seiner Gegenwart als
künstlerische Praxis und nicht nur als Transporteur von Inhalten etwas zu
sagen.
Von Badora wird man als Theaterleiterin noch manchen klugen Schritt
erwarten können. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob mit dem Neuanfang
nicht auch Chancen verpasst wurden. Wäre dem Volkstheater nicht besser
gedient gewesen, hätte man es mit dem vorhandenen Budget als
Koproduktionshaus mit internationaler Perspektive positioniert, das eine
Praxis freien Produzierens jenseits von Prekariat ermöglicht und die Kunst
des Theaters zukunftsfähig macht für die Zeit nach dem Repertoiretheater?
10 Sep 2015
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Burgtheater Wien
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Burgtheater Wien
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