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# taz.de -- Tag des Offenen Denkmals in Berlin: „Vorurteile widerlegen“
> Die Berliner Kastendoppelfenster sind berühmt, bedeutend und
> energiesparend. Doch durch Sanierungen werden es immer weniger. Was tun?
Bild: Berlin ist voller Denkmäler: Viele davon haben am Wochenende offen.
taz: Herr Timm, das Kastendoppelfenster ist einer der Helden beim
diesjährigen Tag des offenen Denkmals. Warum?
Detlef Timm: Kastenfenster kann man als die ersten und somit ältesten
Energiesparfenster in Deutschland und Nordeuropa bezeichnen. Zuvor kannte
man nur einfachverglaste Holzfenster. Die alten Baumeister kamen um 1650
auf die Idee, zwei Einfachfenster zu verbinden und voreinander zu bauen.
Die Luftschicht zwischen den Fenstern sorgt für die Wärmedämmung.
Worin genau besteht das Kastendoppelfenster?
Ein Kastendoppelfenster Altberliner Art besteht aus zwei Einfachfenstern,
die über ein Futter miteinander verbunden sind. Beide Flügel lassen sich
separat öffnen, erst die innere Ebene, dann die äußere. Durch diese Art des
konstruktiven Aufbaus, der seit über 250 Jahren in Europa verbreitet ist,
hat man ein Energiesparfenster gebaut, das auch ohne die erst viel später
erfundene Thermopenscheibe im Winter nicht mehr so viel Wärme nach außen
abgab.
Nun prägt das Kastendoppelfenster gerade auch in Berlin das Stadtbild. Noch
sind eine Million solcher Fenster vorhanden.
Das Kastenfenster ist in Berlin – neben Wien und anderen Städten in
Osteuropa – besonders verbreitet. In Berlin kommt dazu, dass das
Kastenfenster durch besonders schmale Profilansichten und eine tiefe
Staffelung gekennzeichnet ist …
… die berühmten stehenden Fenster.
Wenn man vor dem Haus steht, sieht man quer die zweite Ebene und damit eine
Plastizität, die dieses Fenster optisch ansprechend und kulturhistorisch
bedeutend macht. Für jeden von uns sind die Fenster die Augen eines Hauses.
Wenn ich diese schmalen, tiefgestaffelten Fenster rausnehme und ein etwas
breiter profiliertes Kunststofffenster einbaue …
… dann möchte man dem Haus nicht mehr in die Augen sehen.
Genau. Deshalb beklagen wir diesen neu geschaffenen Zustand als einen
Verlust der Vergangenheit. Deshalb versuchen wir seit Jahren, das
Kastenfenster zu retten.
Wie?
Indem wir den Kunden sagen, was man aus dem alten Fenster machen kann. Und
indem wir die gängigen Vorurteile widerlegen.
Welche sind das?
Viele Leute denken, die alten Kastenfenster ziehen, zwischen den beiden
Fensterscheiben schwitzt es, es ist nicht so warm wie die
Isolierglasfenster. Da haben wir uns gefragt: Was kann man dem
Kastenfenster Gutes tun, damit es die Leute behalten wollen.
Was kann man ihm Gutes tun?
Indem man auf seine Fähigkeiten schaut. Das alte Kastenfenster hat einen
Wärmedämmwert von 3,0. Das heißt 3,0 Watt pro Quadratmeter Fenster gehen
durch diese Fläche verloren. Wenn man die Energiesparverordnung beachtet,
die ja Gesetzeskraft hat, müssen wir beim Austausch des Kastenfensters
gegen ein Isolierglasfenster einen Wert von 1,3 schaffen. Durch das, was
wir im Forschungsvorhaben zur Runderneuerung von Kastenfenstern erfunden
haben, können wir auch durch eine Umverglasung die Vorschriften der
Energiesparverordnung erreichen und sogar den Wert von 0,8 unterschreiten.
Und damit das Berliner Stadtbild erhalten.
So ist es. Sie können es an unseren Referenzprojekten wie dem Schloss
Charlottenburg oder am Naturkundemuseum, aber auch an normalen Mietshäusern
sehen.
Wie viel teurer ist diese Runderneuerung im Vergleich zu einem Austausch
gegen Kunststofffenster?
Die Kosten der Runderneuerung inklusive der energetischen Ertüchtigung
liegen etwa 300 Euro pro Quadratmeter über dem Kunststofffenster.
Das ist für viele Eigentümer ein Argument.
Aber nur, wenn man außer Acht lässt, dass ein Austausch der Fenster
erhebliche Verputzarbeiten auf der Innenseite nachzieht. Das alte
Kastenfenster hat eine Bautiefe von 25 Zentimetern – das Kunststofffenster
nur 8 Zentimeter. Das sind 17 Zentimeter Verputzarbeiten plus Tapete.
Rechnen Sie das mit, ist es nur noch eine Differenz von 100 Euro pro
Quadratmeter. Dafür haben Sie ein komplett neues Kastenfenster mit neuer
Verglasung, wir holen alle Farben runter bis aufs rohe Holz. Und dann
streichen wir alles neu. Damit können Sie wieder mindestens hundert Jahre
leben.
Ihre Firma hat für die Runderneuerung und die neuen technischen Lösungen
den Denkmalschutzpreis bekommen. Fühlen Sie sich von der Politik
ausreichend unterstützt?
Den Denkmalschutzpreis haben wir nicht von der Politik, sondern vom
Denkmalschutz bekommen. Die Politik ist an der Stelle leider etwas
zögerlich.
Berlin hat inzwischen fast 300.000 landeseigene Wohnungen. Aber die sechs
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften tauschen bei Modernisierung die
Kastenfenster zu Tausenden aus. Muss das Land Berlin als Eigentümer der
Gesellschaften da eingreifen?
Eindeutig ja. Deswegen arbeiten wir mit dem Denkmalschutz an einer Vorlage
für die Bauverwaltung, die genau das zum Thema hat. Der Bausenator soll
etwas in der Hand haben, damit die Wohnungsbaugesellschaften nicht länger
mit fiktiven Kosten, sondern mit echten Zahlen arbeiten. Dann können sie
nicht immer mit dem Argument kommen, der Erhalt der Kastenfenster sei
unwirtschaftlich.
Haben Sie den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Gesellschaften den
kulturhistorischen Wert ihrer Häuser gar nicht kennen, sondern nur
wohnungswirtschaftlich denken?
Den kulturhistorischen Wert achten sie bislang nur, wenn es ihnen der
Denkmalschutz abverlangt.
12 Sep 2015
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Denkmal
Ausstellung
Castor
Denkmalschutz
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