# taz.de -- Fernsehsender und Internet-TV: „Cheap, fast and dirty“ | |
> ARD-Korrespondentin Dittert testet, wie Internet-TV funktioniert. Ihr | |
> Fazit: eine Bereicherung – die nicht von den Sendern ausgenutzt werden | |
> darf. | |
Bild: „Mir fehlt oft die Distanz, wenn ich selbst drehe und schneide“: Stan… | |
London taz | Nein, das ist nicht nur etwas für kanalverliebte Romantiker. | |
In London leben immer mehr Menschen auf Hausbooten. Dass die horrenden | |
Mieten diese alternative Lebensform befördern, hat das ARD-Studio in London | |
neulich in einem kleinen Film verarbeitet. Die Reporterin hat dafür eine | |
junge Lehrerin besucht. Genauso gut hätte sie allerdings bei ihrer Kollegin | |
vorbeischauen können: Annette Dittert, die in ihren Beiträgen bisweilen | |
erschreckend gute Laune verbreitet, lebt auf „Emilia“ – ihrem eigenen | |
Hausboot. | |
„Ich wollte nach 16 Jahren Auslandskorrespondentin endlich mal das Gefühl | |
haben, zu Hause zu sein“, sagt Dittert. Sie hat aus den Studios Moskau, | |
Warschau und New York berichtet und zuletzt aus London. Als nach ein paar | |
Jahren der nächste Wechsel anstand, war für sie klar: Die Journalistin | |
Annette Dittert zieht weiter, die Privatfrau Annette Dittert aber bleibt in | |
London. Also ließ sich die 52-Jährige auf ein Experiment ein: Sie nahm sich | |
eine Auszeit, entwarf ein eigenes Hausboot und ließ es im Norden Englands | |
bauen. | |
Dittert hat sich gegen das „Constant Cruising“ entschieden, sie hat also | |
einen festen Anlegeplatz – gegen Gebühr. Ihr Areal liegt abgeschirmt hinter | |
einem Zaun – wie eine kleine Berliner Schrebergartenkolonie. Wenn Dittert | |
nach draußen schaut, dann blickt sie auf der einen Seite auf den Kanal mit | |
weiteren Hausbooten. Auf der anderen Seite stehen die Villen der Prominenz. | |
Das mit den Hausbooten sei eigentlich „eine Form des Social Hacks“, sagt | |
Dittert und erzählt: Wenn ihre Post mal wieder falsch zugestellt wurde, | |
„dann bringt mir schon mal die Haushälterin des U2-Gitarristen Briefe | |
vorbei“. | |
Internet, warmes Wasser, Gas – „Emilia“ bietet maximalen Komfort auf | |
minimalem Platz. Der rote Karren, der es nur auf fünf Stundenkilometer | |
bringt und deshalb nicht für eine ausgiebige Kanalfahrt oder gar eine | |
Rundreise auf dem Wasser geeignet wäre, ist vielmehr ein kleines | |
Produktionsstudio. Denn Dittert hat ihre Auszeit, die in diesen Tagen | |
auslief, für ein weiteres Experiment genutzt. Ihre Frage: Wie geht das | |
eigentlich – Fernsehmachen in der „Generation YouTube“? | |
Als sie Korrespondentin war, also bis Ende 2014, bestückte Dittert noch | |
ihre eher kurzweilige Reihe London Calling mit ihren Anekdoten und schrägen | |
Beobachtungen aus der britischen Metropole – schon das war meist ein | |
Hingucker. Für die Filme, die nach wie vor auf tagesschau.de stehen, hatte | |
die Reporterin allerdings Zugriff auf ein Kamerateam und einen Cutter, der | |
aus dem Material einen Film bastelt. Ihr Projekt London Calling Unplugged | |
ist hingegen komplett selbstgemacht. | |
Dittert spricht dann auch von ihrem Wunsch, „mal raus aus dem Apparat zu | |
gehen und das Pippi-Langstrumpf-mäßig selbst zu probieren“. Das Ergebnis | |
sei „cheap, fast and dirty“, sagt sie, nachdem sie ihre Technik | |
hervorgekramt hat – aus dem Backofen, dort war noch Platz. Ihr Smartphone | |
hat sie ja ohnehin immer dabei, dazu kommen noch kleine Stative und eine | |
handgroße LED-Leuchte. Den Schnitt erledigt sie auf ihrem Laptop, der auch | |
ihr Fernseher ist. Sie muss Platz sparen, wo sie kann. Bis auf ein größeres | |
Stativ passt alles in ihre Handtasche. Die „One-Woman-Show“ ist mobil. | |
## Verlorenes Technikmonopol | |
„Das Aufnehmen, das Drehen, das kannte ich als Autorin“, berichtet die | |
Journalistin, die 1984 beim Sender Freies Berlin mit dem „großen“ Fernsehen | |
begann. „Das Schwierigste war das Schneiden.“ Sie flucht ein wenig über | |
„Final Cut“, ihr Schnittprogramm. Dieser Teil, die sogenannte | |
Postproduktion nach den Dreharbeiten, sei ihr selbst besonders | |
schwergefallen. „Hier habe ich erst mal eine Weile fummeln und Tricks | |
lernen müssen.“ | |
Zehn Folgen London Calling Unplugged hat Dittert in ihrer Auszeit | |
produziert, auf YouTube sowie einem eigenen Blog platziert. Sie hat ihre | |
Netz-Zuschauer unter anderem auf einen vergessenen Friedhof und in einen | |
Tea-Room mitgenommen. Ein richtiger YouTube-Star ist sie damit zwar nicht | |
gleich geworden. Ihre Konsequenz hat ihr aber im Sabbatical ein paar | |
Vorträge eingebracht für London-Besucher, die auf Geheimtipps stehen. Vor | |
allem aber hat die Journalistin so einen Einblick in die neue Videowelt | |
gewonnen: Die Technik ist inzwischen derart beherrschbar und nicht zuletzt | |
auch bezahlbar, dass die Sender ihr Technikmonopol verloren haben, auch für | |
vergleichsweise aufwändigere Produktionen. | |
Etablierte FilmemacherInnen versuchen deshalb – mal mehr, mal weniger | |
verkrampft – den Anschluss zu finden. Die Akademien der Sender haben dafür | |
Seminare mit Titeln wie „Smartphone statt Reportagegerät: Technik, | |
Einsatzmöglichkeiten, Qualität“ in ihr Programm aufgenommen. Erste Sender | |
gehen mit dem Smartphone zudem sogar live auf Sendung. Die „Tagesschau“-App | |
bietet dafür für Korrespondenten in einer internen Version eine spezielle | |
Funktion: Drücken ReporterInnen den entsprechenden Knopf der erweiterten | |
App, baut das Smartphone eine „Leitung“ zum Schaltraum in Hamburg auf. | |
So weit ist Dittert nicht gegangen. Aber sie weiß nun ziemlich genau, was | |
mit dem Smartphone alles möglich ist – und was nicht. Das | |
Do-it-yourself-Fernsehen sei nämlich kein Patentrezept: So dauere etwa | |
alles deutlich länger, wenn eine Person den Job vieler KollegInnen machen | |
müsse. Dazu kommt, dass die Technik manchmal unberechenbar sei, etwa die | |
Speicher- und Rechenzeiten beim TV-Schnitt. Das wiederum hat auch | |
YouTube-Profi LeFloid neulich gemerkt: Sein Exklusivinterview mit der | |
Bundeskanzlerin konnte er erst fast zwei Stunden später hochladen – sein | |
Schnittprogramm rechnete länger als gedacht. | |
## Fehlende Distanz | |
„Mir fehlt etwa außerdem oft die Distanz, wenn ich selbst drehe und | |
schneide“, berichtet Dittert. Ein Kamera-Profi schaffe hingegen Abstand zu | |
den Gesprächspartnern und ProgatonistInnen. Und auch ohne CutterInnen gehe | |
„ein Stück weit der kreative Input verloren“. Das TV-Geschäft verarme | |
damit. | |
Die Korrespondentin ist heute der Meinung: Wenn es um Persönliches geht, | |
wenn Nähe dem Format hilft, dann sei das handliche Equipment Gold wert – | |
„vielleicht bei einer Reportage, die einen Sterbenden begleitet“. Dittert | |
sagt aber auch klar: „Ich hoffe, dass das nicht aus Spargründen irgendwann | |
für alles verordnet wird.“ Immerhin wolle sie ja auch selbst noch opulente | |
Filme produzieren, mit einem klassischen TV-Team. | |
Tatsächlich hat Dittert in der zehnten Folge ihrer hausgemachten Reihe | |
bye-bye gesagt – „vorerst“. Neuerdings pendelt sie zwischen London und | |
Hamburg. Dort arbeitet sie künftig für den NDR an Reportagen aus aller Welt | |
– ganz klassisch, ohne Smartphone. | |
7 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
## TAGS | |
Internet-TV | |
Youtube | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
LeFloid | |
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