# taz.de -- Transfergebaren im Fußball: Wunderbare Mondpreise | |
> Beweist der 75-Millionen-Wechsel von Kevin De Bruyne den grassierenden | |
> „Wahnsinn“ der globalisierten Fußballbranche? Eine Gegenrede. | |
Bild: Alles bestens, wie Julian Draxler hier signalisiert, oder geht unser sch�… | |
Dienstag, 10 Uhr, sind Julian Draxler und Dante auf den Trainingsplatz | |
neben der VW-Arena gelaufen. Kevin De Bruyne – am Freitag noch als | |
überlebensgroßes Bildnis vor dem Stadion verehrt – posierte derweil im | |
hellblauen Trikot von Manchester City. Die Bundesliga hat nach drei | |
Spieltagen ihren besten Offensivspieler an die Premier League verloren, und | |
Vizemeister VfL versucht das mit dem Kauf des besten Schalkers und eines | |
Innenverteidigers von der Bank des FC Bayern zu kompensieren. | |
75 Millionen Euro soll City gezahlt haben, die Hälfte soll an Schalke | |
weitergegeben worden sein. Insgesamt hat die Premier League über 200 | |
Millionen Euro für ein gutes Dutzend Bundesligaspieler ausgegeben. | |
„Wahnsinn“, stöhnt die Süddeutsche, und der FAZ wird ganz | |
kapitalismuskritisch zumute. Geht unser schöner Fußball vor die Hunde? | |
Spitzenfußball wird allen romantischen oder kalkulierten Lügen zum Trotz | |
längst nicht mehr primär für Stadionbesucher und identitär-räumlich damit | |
verknüpfte Menschen gespielt. (Speziell in England hat man die Leute mit | |
teuren Eintrittskarten vor die Fernseher getrieben.) | |
Er ist eine globale Unterhaltungsindustrie mit vielen angeschlossenen | |
Geschäftsbereichen, die primär Sendezeit zu füllen hat, Geschichten zu | |
produzieren und Sehnsüchte zu stimulieren, die das Geschäft derjenigen | |
ankurbeln, die bezahlen. Der „Wahnsinn“, also der Gigantismus, ist Teil der | |
Geschäftsgrundlage. | |
## Tendenziell solidarischer Ansatz der Bundesliga | |
Das ist die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit ist, dass er seinen Wert – | |
und damit auch sein Kapitalisierungspotenzial – zu einem großen Teil aus | |
der kulturellen Verankerung einer Fußballmannschaft und ihrer Bedeutung für | |
die Identitätsstiftung eines lokal-regionalen Milieus schöpft. Das ist auch | |
in Wolfsburg so, wo Maximilian Arnold als „eigener“ Spieler den Leuten | |
näher ist, als es Kevin De Bruyne war. | |
Der tendenziell solidarische Ansatz der Bundesliga führt dazu, dass sie | |
derzeit auf dem nationalen Unterhaltungsmarkt gut funktioniert wie nie, | |
auch wenn die Zeiten vorbei sind, wo der Zufallsfaktor des Spiels | |
verlässlich auch (Heim-)Siege gegen die Bayern möglich machte. | |
Der „Weltmarkt“ allerdings gehört der Premier League, deren Klubs ab dem | |
nächsten Jahr viermal so viel Fernsehgeld (3,2 Milliarden Euro) wie die | |
Bundesliga (835 Millionen) kassieren und bis zu viermal so hohe Löhne an | |
ihre Spieler zahlen. Selbst der FC Bayern habe bei De Bruyne nicht | |
mithalten können, sagte VW-Chef und Bayern-Aufsichtsrat Martin Winterkorn. | |
VW offenbar auch nicht. Der groß denkende VfL-Besitzer Volkswagen sieht | |
sein global orientiertes Marketingtool zum Farmteam der Scheich-Liga | |
degradiert. Man kann aber auch sagen, dass VfL-Chef Klaus Allofs einen | |
sensationellen Transferrekord aufgestellt hat. | |
## Irrsinn versus Vernunft | |
Wie es weitergeht, wird man sehen. Hochsymbolisch ist vor allem der Wechsel | |
von Julian Draxler: Wolfsburg verliert den Besten und holt für die Hälfte | |
des Geldes von einem Ligakonkurrenten dessen Besten. Das ist die zentrale | |
Entwicklung in der Bundesliga: Die besten Spieler werden auf wenige Klubs | |
konzentriert und teilweise dem Publikum entzogen. Weil bei Bayern und | |
Wolfsburg nicht alle spielen können, sondern Götze (WM-Siegtorschütze) oder | |
Schürrle (WM-Siegtorvorbereiter) Ergänzungsspieler sind. | |
Aber noch hat die Bundesliga mitnichten ihre Stars verloren. De Bruyne ist | |
grandioses Spektakel, keine Frage. Aber schon bei Schweinsteiger, 31, | |
handelt es sich um einen Spätphasen-Schritt. Spieler wie Firmino oder Son | |
sind allenfalls erweiterte Spitze. Und Klubs wie Augsburg (20 Millionen für | |
Baba) oder zumindest Mainz (11 Millionen für Okazaki) könnten sogar richtig | |
profitieren. | |
Die „Mondpreise“ seien doch „wunderbar“, sagte der Mainzer Manager Heid… | |
dem Spiegel. Weil man das viele Geld in Jugendarbeit investieren könne. | |
Oder in Neuverpflichtungen auf den der Liga unterlegenen Märkten des | |
globalisierten Fußballs. | |
## Identitätsbedürfnisse befriedigen | |
Mit 10 Millionen kann man sich keine Stars mehr kaufen, das war jedoch für | |
Kleine noch nie eine gute Idee. Aber ein kompetenter Ausbildungsklub kann | |
damit Nachwuchsarbeit auf hohem Niveau für zwei Jahre finanzieren. Ein | |
Regionalklub, der verlässlich eigene Spieler hervorbringt, kann also sein | |
Geschäftsmodell damit stabilisieren, Identitätsbedürfnisse befriedigen und | |
sozialen und kulturellen Mehrwert schaffen. | |
Auch im Fußball kann man die Gegenwart nicht mehr mit einer Theorie, etwa | |
Kapitalismuskritik, beschreiben. Dafür ist sie zu vielschichtig. Es gibt | |
den Irrsinn. Aber daneben gibt es auch Orte, an denen dieser Irrsinn in | |
Vernunft und Zukunft verwandelt wird. | |
1 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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