| # taz.de -- STRASSENKUNST: Blaue Grenzen interessieren nicht | |
| > Ray de la Cruz bringt in Hamburg Jugendlichen, die aus ihrer Heimat | |
| > fliehen mussten, das Sprayen bei. Für ihn ist das mehr als nur sinnvolle | |
| > Freizeit. | |
| Bild: Sprühen bedeutet Freiheit. | |
| HAMBURG taz | Alfred hat den Namen seiner Freundin gesprüht: Sibel. Daneben | |
| die irakische Flagge und das Wort Allah. Alfreds Freundin ist im Irak, er | |
| kommt auch dort her – eigentlich heißt er Alefat, aber Alfred ist | |
| einfacher, deshalb nennen ihn hier alle so. | |
| Zusammen mit fünf anderen Jugendlichen steht der 18-Jährige vor einer Wand | |
| im Hamburger Stadtteil St. Pauli, die sie bemalen dürfen. Malen sagt man | |
| unter Sprayern zum Sprayen. Professionelle MalerInnen sind sie nicht, aber | |
| ihr Mentor ist einer: Ray de la Cruz. Im Stadtteil kennt man ihn – oder | |
| zumindest seine Bilder. | |
| Ray heißt Roberto und trifft sich ein Mal in der Woche mit Kindern und | |
| Jugendlichen aus einer Flüchtlingsunterkunft, um mit ihnen zu sprayen. „Um | |
| ihrem grauen Alltag ein bisschen Farbe zu geben“, wie er sagt. „100 Farben, | |
| eine Stadt“, heißt das Projekt dann auch. | |
| Es ist eine Kooperation mit dem Roten Kreuz (DRK). Das DRK sponsert die | |
| Dosen, Ray seine Zeit. Er habe sich gefragt, wie er den Flüchtlingen helfen | |
| könne, sagt er. Die Antwort war einfach: „Ich kann ja nur sprühen.“ | |
| ## Verbindung über Facebook | |
| Die Jugendlichen, die gerade ihren zweiten Sprühversuch an der Wand machen, | |
| wohnen in einer Schule in Wilhelmsburg, die das Rote Kreuz betreibt. Die | |
| Verbindung zu Ray entstand über Facebook: Vor ein paar Wochen fragte Ray im | |
| sozialen Netzwerk, ob jemand eine freie Wand für eineN seiner SchülerInnen | |
| hätte. | |
| Eine Sozialarbeiterin aus der Unterkunft sah das und lud ihn ein. Ray | |
| suchte einige Jugendlichen aus. „Du kannst dich nicht mit 20 Kindern an | |
| eine Wand stellen“, sagt er. Er ließ er sie erst etwas zeichnen, bis er | |
| vier von ihnen eine Dose in die Hand gab: zwei Mädels, zwei Jungs, alle aus | |
| Albanien, zwischen 13 und 15 Jahre alt. Später kam noch Alfred dazu. | |
| In der Unterkunft zu sprühen, war dann aber zu nervig. Die Behörden wollten | |
| sich absichern, wollten, dass die Wand hinterher wieder aussieht wie | |
| vorher, falls es nichts wird oder falls die Aktion abgebrochen wird – beige | |
| also. „Das geht nicht, nachdem du da einmal bunt drauf gemalt hast“, sagt | |
| Ray. So sind sie eben nach St. Pauli gegangen. Die Unterkunft malen sie | |
| irgendwann an, das ist schließlich Teil der Kooperation. Außerdem soll die | |
| Schule bunt werden: Jede Wand soll mit einem anderen Bild besprüht werden. | |
| Zaghaft sprüht Resilda olivgrüne Farbe in das Innere des Buchstaben F, | |
| dessen Umrisse einer von Rays SchülerInnen an die Wand in St. Pauli | |
| gesprüht hat. Den Regenschirm, den sie mitgebracht hat, legt Resilda dabei | |
| nicht aus der Hand. Die 15-Jährige geht systematisch vor: Vertikal laufen | |
| ihre grünen Linien durch das Innere des Buchstaben, bis die Fläche gefüllt | |
| ist. | |
| Wenn kaum noch Farbe aus der Dose kommt, schüttelt sie sie sanft und sprüht | |
| weiter. Keine Kleckse, keine Tropfen, ihre beige-weiße Bauwolljacke bleibt | |
| unversehrt. Ob sie zufrieden mit ihrem Werk ist? Resilda begutachtet das F, | |
| wiegt kritisch den Kopf hin und her. „Yes“, sagt sie schließlich. | |
| ## Kurze Aufmerksamkeitsspanne | |
| Ray hat noch andere Projekte mit Flüchtlingskindern. Da ist zum Beispiel | |
| das Junior Team DLC, das sind Flüchtlingskinder zwischen sechs und 14 | |
| Jahren, mit denen Ray Wände in St. Pauli ansprüht. „Die sind noch so jung, | |
| die haben eine Aufmerksamkeitsspanne von 15, 20 Minuten“, erzählt er. „Dann | |
| lassen sie alles fallen und fragen dich: Ey, hast du das Tor von Messi | |
| neulich gesehen? Und du sagst: Hä, wir arbeiten doch gerade an einer Wand. | |
| Aber das interessiert die dann nicht mehr.“ Er zuckt die Schultern. „Sind | |
| halt Kinder.“ Man sieht ihm an, dass er stolz ist. | |
| Drei bis vier Mal pro Woche zieht Roberto mit seinem Junior-Team los. Wenn | |
| jemand eine gute Note aus der Schule bringt, feiern sie den Tag. Ray ruft | |
| dann zum Beispiel beim FC St. Pauli an und fragt, ob sie beim nächsten | |
| Heimspiel umsonst ins Stadion dürfen. „Ehrenloge“, sagt er, „manchmal | |
| klappt das.“ | |
| Aber nicht alle finden gut, dass er mit den Flüchtlingen sprühen geht. | |
| Manche fragen auch: Warum hilfst du solchen Leuten überhaupt? „Die checken | |
| das nicht“, sagt er. Andere, auch aus der Sprayerszene, hätten Hilfe | |
| angekündigt und seien dann nicht gekommen. „Die, die was geben, sind | |
| meistens die, die selber nicht viel haben“, sagt er. Neulich kam ein | |
| Nachbar, der sonst immer nur meckert. „Hartz-IV-Empfänger, hat sein Leben | |
| lang gesoffen.“ Ray solle den Kindern ein paar Sprühdosen kaufen, sagte der | |
| Mann zu ihm und steckte ihm einen Fünfziger zu. | |
| Oder Pastor Sieghard Wilms von der St. Pauli Kirche: Als sie „Embassy of | |
| Hope“ an die Mauern des Kirchgartens sprühten, in dessen Räumen vor | |
| zweieinhalb Jahren Flüchtlinge der so genannten Lampedusa-Gruppe | |
| überwintert haben, gab er Ray Geld für die Kinder. „Da sind die nach Hause | |
| gelaufen und haben zu ihren Eltern gesagt: ‚Wir haben Geld mit Sprayen | |
| verdient!‘“ Ray weiß, warum er das macht. | |
| ## „100 Farben“ | |
| Nicht alle Jugendlichen stehen mit Ray de la Cruz das erste Mal mit einer | |
| Sprühdose an einer Wand. Bevor Alfred nach Deutschland kam, hat er schon in | |
| Bulgarien und in Schweden gesprüht, erzählt er. Außerdem kann er Beatboxen, | |
| Breakdancen und Skateboarden. Er trägt Skinny-Jeans und eine schwarze | |
| Lederjacke, im Ohr funkelt ein Brilli. | |
| Seine Haare und sein Bart sind akkurat getrimmt. Neben den Namen seiner | |
| Freundin, der irakischen Flagge und dem Wort Allah malt er jetzt mit blau | |
| über die Umrandung der „100“ in „100 Farben“. Eigentlich sollte er nur… | |
| Innere ausfüllen. Aber die blauen Grenzen interessieren ihn nicht. „Ich | |
| male einen Elefanten!“, sagt Alfred. Ray lässt ihn. „Was soll ich ihn davon | |
| abhalten“, fragt der Sprayer, „ist doch albern.“ | |
| 2 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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