# taz.de -- Saddams Exoffiziere in der IS-Führung: Erbe der Diktatur | |
> Unter den Anführern des IS finden sich viele Offiziere des alten | |
> irakischen Regimes. Ihnen verdankt die Terrormiliz viele ihrer Erfolge. | |
Bild: IS-Unterstützer demonstrieren vor dem Provinzregierungsgeäude in Mosul.… | |
Bagdad ap | Während seiner Ausbildung an der irakischen | |
Heeresartillerieschule vor fast 20 Jahren fiel Ali Omran ein bestimmter | |
Major besonders auf. Der islamische Hardliner rügte Omran, weil dieser beim | |
Gang auf die Toilette eine Anstecknadel mit der irakischen Flagge und den | |
Worten „Gott ist groß“ trug. Die Religion verbiete es, den Namen des | |
Allmächtigen an einen solchen Ort zu bringen, habe Major Taha Taher al-Ani | |
gesagt, erinnert sich Omran. Erst Jahre später, 2003, sah er Al-Ani wieder. | |
Die US-Streitkräfte waren im Irak einmarschiert, der Sturz von Machthaber | |
Saddam Hussein stand kurz bevor. | |
Auf einem Militärstützpunkt nördlich von Bagdad befehligte Al-Ani das | |
Beladen von Lastwagen mit Waffen und Munition, um sie verschwinden zu | |
lassen. Er nahm diese Waffen mit, als er sich Tauhid wa‘l-Dschihad | |
anschloss, einem Vorläufer von Al-Kaida im Irak. Heute sei Al-Ani ein | |
Kommandeur der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), sagt Omran, der | |
inzwischen ein Generalmajor des irakischen Heeres ist und als Kommandeur | |
der Fünften Division gegen den IS kämpft. Der Werdegang seines früheren | |
Kameraden ist bei weitem kein Einzelfall. | |
Die oberste Führungsebene des IS unter ihrem irakischen Anführer Abu Bakr | |
al-Bagdadi werde von früheren Offizieren der Streitkräfte und der | |
Geheimdienste von Saddam Hussein dominiert, sagen ranghohe irakische | |
Offiziere und Vertreter der Geheimdienste. Ihre Erfahrung sei ein | |
wesentlicher Grund für die Erfolge des IS in großen Teilen des Iraks und | |
Syriens. Sie hätten dem IS die Organisation und Disziplin vermittelt, die | |
nötig seien, um Kämpfer aus aller Welt zu vereinen und Terrortaktiken wie | |
Selbstmordanschläge mit Militäroperationen zu verbinden. Sie leiteten das | |
Sammeln geheimer Informationen, das Ausspionieren der irakischen | |
Streitkräfte und die Instandhaltung der Waffen. Zudem versuchten sie, ein | |
Chemiewaffenprogramm zu entwickeln. | |
Mehrere Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre führten dazu, dass Offiziere | |
von Saddam Husseins überwiegend säkularem Regime eine der radikalsten | |
islamistischen Gruppierungen weltweit durchdrangen. Dazu zählt unter | |
anderem eine staatliche „Glaubenskampagne“ zur Islamisierung der | |
Gesellschaft Mitte der 90er Jahre. Islamistische Hardliner in den | |
Streitkräften wurden fortan geduldet, wenngleich sie keine | |
Kommandopositionen einnehmen durften. Der Schritt wurde damals als Versuch | |
des Regimes gewertet, nach der Niederlage des Iraks gegen Kuwait im | |
Golfkrieg 1991 und den folgenden Aufständen von Kurden und Schiiten | |
politische Unterstützung vom religiösen Establishment zu erhalten. | |
Im Vorfeld der US-Invasion 2003 lud Saddam Hussein öffentlich Mudschahedin | |
aus dem Ausland in den Irak ein, um gegen die Invasoren zu kämpfen. | |
Tausende kamen und wurden von irakischen Ausbildern geschult. Nach dem | |
Zusammenbruch des Regimes schlossen sich Hunderte Offiziere aus Empörung | |
über die US-Entscheidung, das irakische Heer aufzulösen, einem Aufstand von | |
Sunniten gegen die Herrschaft der inzwischen an die Macht gekommenen | |
Mehrheit der Schiiten an. Zunächst waren die Aufständischen überwiegend | |
säkular geprägt, doch später nahm unter ihnen die Bedeutung militanter | |
Islamisten zu, insbesondere nach der Gründung von Al-Kaida im Irak. | |
## Mindestens vier Exoffiziere im IS-Militärrat | |
Al-Bagdadis Stellvertreter ist der ehemalige Heeresmajor Saud Mohsen | |
Hassan, der auch diverse Pseudonyme nutzt, wie der Leiter einer | |
Terrorabwehreinheit des Geheimdienstes sagt. Während der 2000er Jahre war | |
Hassan im US-geführten Gefangenenlager Bucca inhaftiert, dem Hauptgefängnis | |
für Mitglieder des sunnitischen Aufstands. Dieses war auch eine bedeutende | |
Keimzelle des IS. Dort kamen Islamisten wie Al-Bagdadi in Kontakt mit | |
früheren Offizieren von Saddam Hussein, darunter Mitglieder von | |
Spezialkräften wie der Republikanischen Garde. Al-Bagdadi hielt Predigten, | |
und Hassan tat sich laut dem Geheimdienstleiter als effizienter Organisator | |
hervor, der Häftlingsstreiks anführte, um von den Amerikanern | |
Zugeständnisse zu erreichen. | |
Frühere Häftlinge aus Bucca finden sich nun in der IS-Führung wieder. Unter | |
ihnen ist Abu Alaa al-Afari, der früher bei Al-Kaida war und jetzt | |
Finanzchef beim IS ist. Dies geht aus einem Schaubild hervor, das der | |
Geheimdienstchef, der anonym bleiben möchte, der Nachrichtenagentur ap | |
vorlegte. Es soll die Hierarchie der Terrormiliz darstellen. Al-Bagdadi | |
habe zudem eine Reihe dieser Vertrauten in den Militärrat berufen, der | |
sieben bis neun Mitglieder haben soll. Mindestens vier von ihnen sind | |
ehemalige Offiziere von Saddam Hussein. Andere frühere Bucca-Insassen nahm | |
er in seinen inneren Zirkel auf. Veteranen aus der Saddam-Hussein-Ära | |
fungierten als „Gouverneure“ von sieben der zwölf „Provinzen“, die der… | |
in dem von ihm beherrschten Gebiet im Irak einrichtete. | |
Offizielle irakische Stellen räumen allerdings ein, dass es schwierig sei, | |
die Führung des IS und dessen Hierarchien zu durchschauen. Die Terrormiliz | |
selbst gibt so gut wie nie Namen oder Pseudonyme ihrer Führungsmitglieder | |
bekannt. Wird eines getötet, ist oft nicht bekannt, wer dessen Platz | |
einnimmt. Mehrere von ihnen wurden mehrfach für tot erklärt, tauchten | |
später aber lebend wieder auf. Manche nehmen einfach ein neues Pseudonym | |
an. „Wir wissen oft nicht, wer wen in der Führung ersetzt“, sagt ein | |
Brigadegeneral des militärischen Geheimdienstes. „Es ist uns nicht möglich, | |
die Gruppierung zu infiltrieren. Es ist erschreckend.“ | |
## Unterstützung von Stammesführern | |
Schätzungen über die Zahl der Veteranen aus der Saddam-Ära im IS reichen | |
von 100 bis 160, überwiegend in mittleren und ranghohen Positionen. Viele | |
von ihnen haben enge Stammesverbindungen oder sind die Söhne von | |
Stammesführern in ihren Regionen, was dem IS ein wichtiges Netzwerk der | |
Unterstützung verschafft und bei der Anwerbung neuer Kämpfer hilft. Dies | |
soll dem IS auch bei der Einnahme der Stadt Ramadi im Mai geholfen haben. | |
Mehrere Offiziere sagen, sie glaubten, IS-Kommandeure hätten | |
Stammesgenossen unter den Sicherheitskräften überredet, ihre Positionen | |
kampflos zu verlassen. | |
Die Kenntnisse der Offiziere aus der Saddam-Ära seien jetzt Teil der DNA | |
des IS, sagt Michael Ryan, ein früherer ranghoher Beamter der | |
US-Ministerien des Äußeren und der Verteidigung. „Dieses Verschmelzen der | |
irakischen Erfahrung und dessen, was wir die afghanisch-arabische Erfahrung | |
nennen können“, sei zum einzigartigen IS-Markenzeichen geworden. „Dieses | |
Markenzeichen wurde letztlich im Irak erfolgreicher als Al-Kaida im Irak | |
und, zumindest vorerst, in Syrien stärker als Al-Kaida.“ | |
11 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Hamza Hendawi | |
Qassim Abdul-Zahra | |
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