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# taz.de -- Schnelle Hilfe bei Schlaganfall: Herr Appelt kommt zurück
> Norbert Appelt ist einer von 270.000 Deutschen, die pro Jahr einen
> Schlaganfall erleiden. Dank moderner Medizin überleben die meisten.
Bild: Bei einem Schlaganfall kann es auf jede Sekunde ankommen.
Hamburg taz | Norbert Appelt ist kodderig, den ganzen Sonntag schon. „Du
wirst alt und es ist warm“, schiebt er die Sorgen beiseite. Seine Zunge
fühlt sich an wie ein Rollmops, ihm ist schwindelig. Dem Geschehen auf dem
Bildschirm kann der 72-Jährige kaum folgen. Doch mehr als nur schwüles
Wetter?
Den Vorschlag seiner Frau in die Notaufnahme zu fahren, lehnt er
kopfschüttelnd ab. Etwas beunruhigt geht er ins Bett. Als seine Frau später
an der Tür lauscht, hört sie rhythmisches Atmen. Beruhigt geht sie
schlafen.
Montagmorgen, der Kaffee steht schon auf dem Tisch, als Appelt um Hilfe
ruft. Hilflos liegt er im Bett. Der rechte Arm und das Bein sind taub, sein
Gesicht ist verzehrt. Seine Frau reagiert schnell, wählt 112. Wenig später
hält ein Rettungswagen vor dem Haus. „Wie heißen Sie? Welcher Tag ist
heute?“, wollen die Sanitäter wissen.
Die Antworten kommen schleppend. Der Notarzt meldet den Verdacht auf
Schlaganfall an die Asklepios Klinik Wandsbek in Hamburg.
270.000 Deutsche erleiden pro Jahr einen Schlaganfall. Die meisten sind
über 70 Jahre alt. Die Risikofaktoren sind Alterserkrankungen wie
Bluthochdruck, Herzrhythmus-Störungen oder Typ-2-Diabetes. Dazu kommen
Bewegungsmangel oder Rauchen. Dank moderner Medizin überleben Zweidrittel
der Patienten. Doch ihr Weg zurück ins Leben ist beschwerlich. Der
Schlaganfall ist die häufigste Ursache für Behinderungen im Alter. In der
Notaufnahme wird es hektisch, bei der Schlaganfall-Behandlung zählt jede
Minute.
„Gleich weiter in die Bildgebung. Wir müssen die Ursache finden und mit der
Therapie beginnen“, erklärt Lars Marquardt, Chefarzt der Neurologie. Mit
jeder unbehandelten Minute gehen mehr Nervenzellen im Gehirn kaputt.
Auslöser dafür ist eine Unterbrechung der Blutversorgung, die zu einem
Zusammenbruch der Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr im Hirn führt. Die
Ursache ist in 80 Prozent aller Fälle die plötzlich auftretende Verstopfung
einer Ader durch ein Blutgerinnsel.
Seltener ist ein Schlaganfall durch Hirnblutungen. Die Folgen sind
Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen und Sprachprobleme. Innerhalb der ersten
Stunden nach Auftreten der Symptome sind die Ausfallerscheinungen am besten
zu behandeln.
Bei der Lysetherapie wird den Patienten ein Medikament gespritzt, welches
das Blut verdünnt und das Gerinnsel auflösen soll. Im Idealfall sind die
Symptome bald verschwunden. Doch nur ein Drittel aller Patienten kommt in
den ersten Stunden in die Klinik. Die Dramatik wird oft verkannt, der
Hirnschlag verursacht keine Schmerzen.
Auch Appelt kam zu spät ins Krankenhaus, ein Teil seines Gehirns ist
bereits abgestorben. Die Schichtaufnahme der Computertomographie zeigt
einen dunkelgrauen Fleck links im Stammhirn – eine Durchblutungsstörung.
„Das ist ein Schlaganfall. Jetzt müssen wir die Herkunft des Blutgerinnsels
finden“, sagt Marquardt.
Im anschließenden Ultraschall sind Kalkablagerungen in der Hauptschlagader
zu sehen. An diesen Hügeln blieben Blutplättchen hängen und verklumpten.
Eins der Gerinnsel wurde bis ins Gehirn geschwemmt. Auf der
Schlaganfall-Station, Stroke Unit genannt, beginnt die Akutbehandlung.
Mit Medikamenten werden die Gefäßwände stabilisiert und die Ablagerungen
geglättet. Um weitere Schlaganfälle zu verhindern, wird das Blut mit
sogenannten Thrombozytenaggregationshemmern verdünnt. Auf dem Monitor neben
dem Bett ziehen regelmäßige Herzlinien vorbei. Ein Schlauch in der Nase
versorgt Appelt zusätzlich mit Sauerstoff. Er fühlt sich hilflos. Die
Hälfte seines Körpers ist immer noch taub. Wegen Schluckproblemen darf er
nur angedickten Saft trinken.
Zeit mit dem Schicksal zu hadern, bleibt ihm kaum. Schon zwei Stunden nach
der Einlieferung kommt Physiotherapeutin Kerstin Fischer ins Zimmer. Um die
Folgeschäden gering zu halten, beginnt bereits auf der Stroke Unit die
Rehabilitation. Mit Hilfe der Krankengymnastin kann sich Appelt an die
Bettkante setzen. „Das ist gut für den Kreislauf und hilft die Kontrolle
über Ihren Körper wiederzuerlangen“, sagt sie.
## In andere Hirnregionen verlagert
Hintergrund ist eine faszinierende Fähigkeit unseres Gehirns. Die Aufgaben
der abgestorbenen Areale übernehmen benachbarte Hirnregionen. Dank dieser
Plastizität gehen einige der Ausfallerscheinungen zurück. Voraussetzung
dafür ist ein intensives Training der vormals alltäglichen
Bewegungsabläufe. Die Therapeuten arbeiten vor allem mit der gelähmten
Körperseite.
„Schont man die betroffenen Körperteile und nutzt nur die gesunden, führt
das zu einer Verfestigung der Ausfälle“, erklärt Fischer. Gerade am Anfang
ist das anstrengend. Nur mit Mühe kann Appelt eine Faust ballen, an
Aufstehen ist nicht zu denken. Beim Sitzen an der Bettkante stützt ihn der
Arm der Therapeutin.
Doch er hat Glück, sein Gehirn erholt sich stetig. Nach zwei Tagen kann er
die Stroke Unit verlassen. Mit etwas mehr Gefühl in den Armen und Beinen
startet ein Stockwerk tiefer die neurologische Rehabilitation. Gangtraining
mit der Physiotherapeutin, Feinmotorik mit dem Ergotherapeuten, Aussprache
mit der Logopädin. Vier Stunden täglich.
Der nahtlose Übergang zwischen Stroke Unit und Rehabilitation innerhalb
einer Klinik ist in Deutschland ein noch junger Ansatz, kaum eine Handvoll
Krankenhäuser setzen ihn um. Die Idee: Es gibt keine Unterbrechungen in der
Behandlung und die Patienten erholen sich schneller. Therapeuten und Ärzte
begleiten sie von der Stroke Unit über die Rehabilitation bis zur
Entlassung. Schon umgesetzt wird dieses Konzept vor allem in den
skandinavischen Ländern.
## Therapieunterbrechung vermeiden
Hierzulande werden die Patienten dagegen im Krankenhaus zwar akut
behandelt. Die Rehabilitation findet meist in einer Einrichtung außerhalb
statt. In Zeiten von knappen Kassen im Gesundheitssystem sind Reha-Plätze
rar. „Häufig kommt es zu tagelangen Therapieunterbrechungen und damit
verbunden zur Verschlechterung des Zustandes“, erklärt Marquardt.
Doch das Interesse an dem Modell wachst. Politik und Krankenkassen haben
erkannt, dass effektive Therapie die Folgekosten für Pflege oder
Hilfsmittel senkt. Durch bessere Rehabilitation werden die Patienten
selbständiger entlassen.
Bei Appelt greift das Modell. Zehn Tage nach seinem Schlaganfall ist er auf
dem Weg der Besserung. Mit kleinen Schritten schiebt er seinen Rollator
über den Flur, die Physiotherapeutin im Schlepptau. Freundlich grüßt er
eine vorbeieilende Schwester.
„Ich kann mein Brot schneiden, mich rasieren und muss mein Geschäft nicht
mehr auf der Blumenvase verrichten“, verkündet er lachend. Auch das
Gangtraining klappt immer besser, nur das Treppensteigen muss er noch üben.
Sein Haus hat immerhin 14 Stufen.
In der wöchentlichen Patientenbesprechung ist sein Fall schnell besprochen.
Transfer aus Bett und Körperpflege selbstständig, nächstes Therapieziel
Treppensteigen, dazu Ergotherapie für die Feinmotorik. Logopädie für
deutliche Aussprache.
## Zurück nach Hause
„Entlassungsziel sind die nächsten zwei Wochen“, sagt Marquardt.
Zustimmendes Nicken, weiter zum nächsten Fall. Eine Frau ist zwei Wochen
nach dem Hirnschlag noch bettlägerig, dazu eine leichte Demenz,
alleinstehend. Die Gesichter werden ernster. Die 81-Jährige muss ihre
Wohnung aufgeben und in ein Pflegeheim ziehen.
Appelt kann dagegen in seine gewohnte Umgebung zurückkehren. Auf Rollator
und Gehstock wird er angewiesen bleiben, genau wie auf Blutverdünner. Das
Rauchen muss der 72-Jährige aufgeben. Einige Monate bekommt er noch
ambulante Therapie. Die Versorgungsanträge für den Behindertenausweis und
die Hilfsmittel sowie die Überweisungen werden noch in der Klinik
geschrieben. Dazu gibt es Nachsorgegespräche mit den Angehörigen und dem
Hausarzt.
„Wir überlassen die Patienten nicht ihrem Schicksal, sondern unterstützen
den Weg zurück ins Lebens mit allen Mitteln“, erklärt Marquardt.
Für seine Rückkehr hat Appelt schon große Pläne: „Im August möchte ich m…
meiner Frau nach Südtirol reisen. Ist das möglich, Herr Doktor?“
Marquardt nickt. „Wenn Sie auf sich aufpassen, spricht nichts dagegen.“
Appelt stützt sich auf seinen Rollator. „Dann klettere ich wohl keine
Steilwände hoch.“
23 Aug 2015
## AUTOREN
Birk Grüling
## TAGS
Therapie
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