Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Glaubensstreit: Kampf um ein Menschenopfer
> Kurz bevor er ein hohes Amt antritt, fordern Evangelikale, der Hamburger
> Theologe Horst Gorski solle Aussagen aus dem Jahr 2006 widerrufen.
Bild: Umstrittener Amtsträger: Horst Gorski
HAMBURG taz | Es geht ums Widerrufen, und es geht um Dinge des Glaubens.
Wer jetzt glaubt, er sei im Mittelalter angekommen, liegt gar nicht so
falsch: Galileo Galilei fällt einem ein, von dem die Kirchenoberen im 16.
Jahrhundert forderten, er solle widerrufen, dass sich die Erde um die Sonne
dreht. Denn dass die göttliche Erde nicht das Zentrum des Universums sei,
missfiel dem Papst.
Von Galileo zu Gorski: Horst Gorski ist derzeit Propst im Nordkirchenkreis
Hamburg-West/Südholstein, tritt aber im September gleich zwei hohe Ämter
an: Er wird Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche
Deutschlands (EKD) sowie Leiter des Amts der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Diese Position bedeutet eine
große Machtfülle, Gorski dürfte sowohl die Zusammenarbeit der kirchlichen
Gremien als auch die theologische Linie der EKD entscheidend prägen.
Wenn es nach einigen seiner evangelischen Glaubensbrüder geht, dann hat
auch dieser bald so einflussreiche Mann sich von etwas Gesagtem zu
distanzieren: [1][In einem offenen Brief] haben Ulrich Rüß, ehemaliger
Pastor aus Hamburg, Lübecks Alt-Bischof Ulrich Wilckens und andere
Amtsträger konservativ-evangelikaler Bekennender Gemeinschaften gefordert,
Gorski möge Teile einer Karfreitagspredigt widerrufen – gehalten im Jahr
2006.
## Gorski: Kreuzestod Jesu wäre nicht nötig gewesen
Damals hatte Gorski, der den Vorgang derzeit nicht kommentieren möchte,
gesagt, dass der Kreuzestod Jesu Christi nicht nötig gewesen sei, damit
Gott den Menschen vergebe. „Die Behauptung einer solchen Notwendigkeit ist
eins der größten Missverständnisse der christlichen Geschichte“, heißt es
[2][in der Predigt]. Man dürfe Jesu Ankunft in der Welt schlicht als
Erlösung deuten und sich lösen von der Idee eines Blut-, ja:
Menschenopfers.
In dieser Predigt könne er keine Gotteslästerung erkennen, sagt der
Hamburger Hauptpastor und Propst Johann Hinrich Claussen, der selbst mit
einer liberalen Jesus-Deutung promovierte. „Die mittelalterliche
Vorstellung eines Gottes, der durch die Sünde der Menschen so in seiner
Ehre verletzt ist, dass er gar nicht anders kann, als seinen Sohn wie einen
Sündenbock zu opfern, um sich von seinen eigenen Rachegelüsten zu befreien,
ist schon lange umstritten.“
Zwar ist im biblischen Brief des Apostels Paulus an die Korinther, einem
der frühesten christlichen Glaubenszeugnisse, die Rede von genau diesem
Sündenbock. Aber das später verfasste Johannes-Evangelium, auf das sich
Gorski in jener Predigt bezieht, schwächt das ab: Es bezeichnet Jesus ganz
allgemein als Erlöser.
Für fundamentalistische Christen ist das ein Dilemma: Die Bibel – laut
Claussen keine starre Wahrheitsdoktrin, sondern eine über Jahrhunderte
entstandene Bibliothek verschiedener Autoren, die darin ihre
Gotteserfahrungen bezeugen – legt sich nicht fest. Zudem läuft Gorskis
Deutung auf eine Solidarisierung mit dem leidenden Jesus hinaus, die jeder
Gläubige erreichen kann.
Mit handfesten Konsequenzen: Wenn das christliche Abendmahl die rituelle
Wiederholung des Opfertodes Jesu ist, hat der Priester mehr Macht, als wenn
sich jeder Gläubige unmittelbar mit Jesus verbinden und vom Priester
emanzipieren kann, wie die Mystiker aller Zeiten es taten: Dann rührt das
an der Institution Kirche, an ihren Ritualen und Hierarchien.
## „Entfernt vom Zeugnis der Bibel“
Wenig erstaunlich also, dass vor allem konservative, auf den Erhalt
bestehender Strukturen bedachte Theologen Gorskis Ansatz nicht schätzen,
den übrigens auch eine [3][neue Broschüre der EKD] stützt. Es sei nicht
akzeptabel, dass sich Gorski vom Zeugnis der Bibel entferne, heißt es nun –
„insbesondere von der Kernaussage des ersten Briefs an die Korinther, wo
der Apostel Paulus schreibt: ,Als erster habe ich euch weitergeben, was ich
auch empfangen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden.‘“
Diesen Bibeltext betrachtet Rüß als nicht auslegbar, das liberalere
Johannes-Evangelium dagegen als geprägt vom Zeitgeist.
Es sei unerträglich, „dass ein Amtsträger der EKD in leitender Funktion das
Zentrum biblischer und lutherischer Theologie ablehnt“, schreiben nun die
Verfasser in dem Brief der Bekennenden Gemeinschaften. Gorski wird
aufgefordert, sich vor Amtsantritt „öffentlich von der Leugnung des
Sühnetodes Jesu zu distanzieren“. Zwar habe die evangelische Kirche keinen
Oberhirten wie den Papst, der über die Einhaltung der „reinen Lehre“ wache.
Aber jeder Christ habe eine Wächterfunktion und darauf zu achten, dass
Kirchenbedienstete im Einklang mit dem Glaubensbekenntnis und der Bibel
agierten, finden die Unterzeichner.
„Die Forderung nach einem Widerruf entspricht nicht der Art, wie die
evangelische Kirche heute den theologischen Diskurs führt“, erwidert Propst
Claussen. Von „öffentlichen Beschämungsattacken“ verspreche er sich nicht…
## Evangelikale kritisierten Gorskis Homosexualität
Die sind im Übrigen nicht neu: Schon 2008, als Gorski Bischof von Schleswig
werden wollte, hatte die konservative Kirchliche Sammlung, der gleichfalls
Rüß vorsteht, Gorski kritisiert. Damals allerdings nicht nur wegen jener
Karfreitagspredigt, sondern auch wegen Gorskis offenem Bekenntnis zu seiner
Homosexualität, die Gottes Willen widerspreche.
Bei der Schleswiger Bischofswahl unterlag Gorski knapp, was seinen
Kritikern sicherlich zupass kam. Jetzt macht er doch noch Karriere. Dass
auch der aktuelle Streit eigentlich mit Gorskis Homosexualität zu tun habe,
bestreitet Altpastor Rüß der taz gegenüber allerdings ganz entschieden.
18 Aug 2015
## LINKS
[1] http://www.gemeindenetzwerk.de/?p=12558#more-12558
[2] http://www.predigten.de/predigt.php3?predigt=5778
[3] https://www.ekd.de/download/fuer_uns_gestorben2015.pdf
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Jesus
Theologie
Evangelische Kirche
Homosexualität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Nordkirche wird ein bisschen offener: Homosexuelle Liebe im Pfarrhaus
Die Landessynode der Nordkirche gibt schwulen und lesbischen PastorInnen
dieselben Rechte wie Hetero-Pfarrern. Nicht verpartnerte Paare sind nicht
erlaubt.
Schwuler Theologe unterliegt bei Bischofswahl: Hetero wird Bischof in Nordelbien
Der schwule Theologe Horst Gorski erreicht bei der Bischofswahl in der
nordelbischen Kirche nur einen Achtungserfolg. Gorski sagt: "Die Kandidatur
hat ihren Sinn gehabt".
Homosexuelle und Kirche: Habemus Homo
Horst Gorski hat gute Aussichten, als erster bekennender Homosexueller zum
Bischof gewählt zu werden. Doch innerhalb der evangelisch-lutheranischen
Kirche regt sich Widerstand.
Umstrittene Bischofswahl in Kiel: Bruder Gorski
Horst Gorski könnte am Samstag Kirchengeschichte schreiben. Der bekennende
schwule Geistliche scheut keine Konflikte - weder gesellschaftliche noch
theologische.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.