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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Reinschmeißer
> Schurken, die noch immer die Welt beherrschen wollen. Heute: Christian
> „Nosferatu“ Wulff (Altbuprä reloaded and repacked).
Bild: Er ist zurück: Christian Wulff kriegt sich gar nicht mehr ein.
Zufriedenheit, ja Glück nistet bis über beide Ohren in seinem Gesicht, als
Christian Wulff neben das Pult tritt, sich sanft verbeugt und den Applaus
der gut 35 Zuhörer entgegennimmt. „Die Auswirkungen von Niedrigzinspolitik
und Geburtenrückgang auf den Einzelhandel in Dagebüll-Nord“ war sein Thema,
und jetzt hat er sich redlich ein pralles Stück Kuchen und eine gute Tasse
Kaffee verdient. Herr Jacobsen von „Jacobsen & Jacobsen“ hebt bedauernd die
eigenen Achseln: „Tut uns leid, Herr Wulff, aber der Kuchen … wenn Sie
vielleicht einen schönen Keks wollen … Milch ist auch alle … aber ein prima
Vortrag! Fast wie früher!“
„Danke, vielen Dank“, hört sich Wulff sagen, während sein Lächeln zügig
versickert. Genau genommen lässt allein die Hoffnung auf die 150 Euro Gage
ihn weiterhin aufrecht stehen, während er innerlich vollständig
zerbröckelt. Aber immerhin hatte er wieder das Licht der Öffentlichkeit
geschmeckt! Der Dagebüller Kreisbote hatte sogar seinen Hilfsvolontär
geschickt. Und würde morgen bestimmt 15 Zeilen über den Auftritt des
Altpräsidenten Gerhart Wulf bringen!
Als Wulff in sein Auto steigt und sich vom Steuerzahler nach Hause fahren
lässt, atmet er erst einmal von oben bis unten durch. Zwei Jahre ist es
her, dass ihn die Pressemeute aus dem Amt geblasen hat. Aber er hat sich
nicht unterbuttern lassen! Ist nicht wie von und zu Guttenberg weit von
Deutschland weg über den großen Teich getanzt, um sich gleich wieder mit
Kissinger und anderen wohlfeilen Namen dickezutun und sein Ich mit neuen
Luftschlössern zu füttern! Nein, er, Wulff, muss verfickte Scheiße die
Ochsentour ableiern …
Letzte Woche die Einweihung der Kinderrutsche im Naturschwimmbad mit
Erdbeergeschmack in Hodenbach, davor die Eröffnung des neuen
Öko-Müllplatzes inklusive Haustierrecyclinganlage in Nordenstedt,
übermorgen die Festrede auf der Betriebsfeier von Gummi-Meyer in
Dödelbergen (bei der Anrede nicht mit Reifen-Müller in Bergdödeln
verwechseln!), danach Grußwort zum zweiten Jubiläum des Schlammrennens in
Niedermoor – da muss er mit Vollgas durch!
Irgendwann aber würde er wieder durch die große Welt segeln, Vorträge in
internationaler Sprache halten, ins Wackeln geratene Staaten im Auftrag der
Vereinten Nationen reparieren, Kriege zum Erlöschen bringen … genau wie
Jimmy Carter, sein Vorbild für die nächsten dreißig Jahre! Klar, er,
Christian Wulff, war kein Erdnussfarmer. Aber als Präsident war er ähnlich
tief gebeutelt worden!
Auch Carter war danach für einige Zeit von der Bildfläche verschluckt
worden, nun aber ist er seit immer mehr Jahrzehnten auf dem Erdball
unterwegs, ist gefragt wie geschnitten Brot und vermittelt mit Händen und
Füßen in internationalen Konflikten. Genau wie Christian Wulff! Am besten,
er kauft sich schon mal einen Atlas!
Na gut, noch schmeckt sein Leben, als hätte es ein Loch. Aber Bettina, die
wenige Stunden nach seinem Rücktritt die Scheidung einreichte, um ihre
steile Karriere nicht an der Seite dieses Versagers verwelken zu lassen,
war ernüchtert und als kleine Nummer zu ihm zurückgekehrt. Es hatte ihr
imponiert, dass er sich nicht kleinhacken ließ und mit seinem besenstarken
Willen keine Mühe scheute, um nach seinem Absturz neu anzufangen und wieder
Anerkennung einzusammeln.
Als Möbelpacker hatte er sich versucht, in einer Garküche nächtelang
Kartoffeln bis auf die Knochen geschält, als Reinschmeißer auf Sankt Pauli
gearbeitet, Wäsche nackt gebügelt, nur um den Argusaugen der Allgemeinheit
zu beweisen, dass er nicht auf die Gunst Carsten Maschmeyers und seiner
anderen Auftraggeber angewiesen war. Danach hatte er ein Diplom als
Flussschiffer erworben, einen Studiengang in Dieselgetriebener Linguistik
begonnen und wollte sich schon als Austragungsort für die Olympischen
Spiele 2024 bewerben, als ihn die Einladung aus Nordenstedt überwältigte,
siehe oben!
In Nordenstedt hatte er endlich den Eindruck, dass die Menschen, wie sie
auch hier genannt werden wollten, seinen Rücktritt vom Amt des
Bundespräsidenten und Herrn über Sein oder Nichtsein gern ungeschehen
sähen. Auch Dagebüll-Nord konnte er alles in allem als Pluspunkt abhaken,
auch wenn die 150 Euro erst noch bei seinem Konto andocken mussten.
Und wenn er nach dem Auftritt in Niedermoor, wo ihm der Schlamm während
seiner Rede bis zur Oberlippe reichen würde, anderntags auch das
„Festessen“ zum 50-jährigen Bestehen des Nasenpopelvereins in Ottensen
überlebt hatte, dann, ja dann …
7 Aug 2015
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Christian Wulff
Bettina Wulff
Bundespräsident
Sprache
Zeugnisse
Christian Wulff
Franz Josef Wagner
Bettina Wulff
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