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# taz.de -- Überversorgung in der Schwangerschaft: Routine statt Risiko
> Viele Untersuchungen werdender Mütter sind nicht bloß unnötig, warnt die
> Bertelsmann Stiftung: Sie machen Schwangere zur Patientin.
Bild: Mehr ist nicht immer besser: Ultraschalluntersuchung bei einer Schwangere…
BERLIN taz | Schwangere in Deutschland sind medizinisch überversorgt. Sie
lassen mehr ärztliche Untersuchungen über sich ergehen als nötig und
bezahlen dafür auch aus eigener Tasche – ohne dass sich durch die
erweiterten Angebote ein zusätzlicher gesundheitlicher Nutzen für sie oder
ihr ungeborenes Kind ergäbe. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der
Bertelsmann Stiftung, die am Montag in Gütersloh vorgelegt wurde.
Danach sind zahlreiche Ultraschall- und Herztonmessungen, die nach den
medizinischen Richtlinien nur Frauen mit einer Risikoschwangerschaft zuteil
werden sollten, mittlerweile die Regel. „Mehr ist nicht zwingend besser“,
warnte der Gesundheitsexperte der Stiftung, Uwe Schenk.
Per Zufallsstichprobe hatte die Stiftung 1.293 Frauen befragt, die zwischen
November 2013 und Oktober 2014 ein Kind geboren haben und bei der
Krankenkasse Barmer GEK versichert sind. Nahezu alle Frauen (99 Prozent)
erhielten mehr Untersuchungen, als die Mutterschaftsrichtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses vorsehen.
Zu den zusätzlichen Untersuchungen gehörte etwa die so genannte
Kardiotokographie (CTG), die die Herztöne des Kindes und die Wehen der
Mutter dokumentiert. 95 Prozent der Befragten glaubten, dass CTG Routine
sei und ließen sie durchführen – im Schnitt sogar öfter als viermal.
Tatsächlich soll die CTG nur bei drohenden Frühgeburten eingesetzt werden.
## Vier von fünf Frauen zahlen extra
Bald jede zweite Frau mit normaler Schwangerschaft erhielt mehr als fünf
Ultraschalluntersuchungen; standardmäßig sollen es drei sein. Weder Alter
noch Einkommen noch Bildungsabschluss hatten Einfluss auf die Anzahl. Und:
80 Prozent der Frauen gaben an, für die Vorsorge zugezahlt zu haben – in
welcher Höhe und wofür genau, lässt die Studie offen.
Auffällig sei, dass ein Drittel der Frauen, die trotz normalen
Schwangerschaftsverlaufs Zusatzuntersuchungen in Anspruch nahm, dies
offenbar auf Anraten ihres Arztes tat, sagte Jan Böcken, Senior Project
Manager bei Bertelsmann. Ein weiteres Drittel gab an, diesen Wunsch selbst
gehabt zu haben; der Rest handelte im Glauben, die zusätzlichen
Ultraschalls seien Teil der Routine.
Klar sei, dass ein derartiges Überangebot die Angst der Frauen vor der
Geburt schüren könne, warnte die Studienautorin Rainhild Schäfers von der
Hochschule für Gesundheit in Bochum: „Es kann auch ihren Wunsch nach einer
vermeintlich sicheren Kaiserschnitt-Entbindung wecken.“
Unterdessen sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für die
Schwangerenvorsorge zwischen 2010 und 2014 gestiegen – von 1,03 Milliarden
Euro auf 1,22 Milliarden Euro. Zusatzangebote seien kritisch zu
hinterfragen, empfahl ein GKV-Sprecher: „Eine Arztpraxis ist keine
Verkaufsveranstaltung.“ Das Bundesgesundheitsministerium wollte die Studie
am Montag nicht kommentieren.
27 Jul 2015
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Schwangerschaft
Geburt
Krankenkassen
Barmer GEK
Vorsorge
Frauen
Geburt
Paraguay
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