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# taz.de -- Bregenzer Festspiele: Das Puccini-Ding am See
> Terrakottakrieger am Alpengrund: Die 70. Bregenzer Festspiele eröffnen
> mit einer präzisen „Turandot“-Inszenierung.
Bild: Die Seebühne in Bregenz Regisseur Marco Arturo Marelli schuf auch das ma…
Kommt er oder kommt er nicht? Doch, er wird kommen, der Regen, an diesem
heißen Mittwochabend in Bregenz. Pünktlich zur Eröffnung der 70. Bregenzer
Festspiele fegt ein warmer Platzregen über die Vorarlberger
Landeshauptstadt und die Seebühne hinweg. Bodensee und Alpen bieten die
eindrucksvolle Naturkulisse des erfolgreichen Freiluftfestivals im Herzen
Europas, am westlichen Rande Österreichs. Zu dem Ereignis gehört naturgemäß
die klimatische Unberechenbarkeit.
Der Blick zum Himmel kann also mitunter spannend sein. Zumindest in Bregenz
im Sommer. Und so waren auch die 7.000 Premierenbesucher, die zur Eröffnung
der diesjährigen Freiluftsaison unter Leitung der neuen Intendantin
Elisabeth Sobotka in die Seebühne strömten, ziemlich aufgeregt, wie es
weitergehen würde, mit der Puccini-Oper und diesem Regen-Ding. Einige
schützten ihre Abendgarderobe gleich von Beginn weg mit durchsichtigen
Einweg-Plastikhüllen.
Doch die kurzen Schauer die nach 21 Uhr noch folgten, dienten eher der
Unterhaltung, als dass sie störten. Die Notizblöcke der Journalisten
blieben während der zwei Stunden bei Marco Arturo Marellis
Premieren-Inszenierung der Puccini-Oper „Turandot“ jedenfalls weitgehend
trocken.
## Chinesische Mauer
Der in Zürich geborene Regisseur Marelli hat Giacomo Puccinis Oper
„Turandot“ bereits in Graz und Stockholm inszeniert, in geschlossenen
Häusern versteht sich. Eine Herausforderung, nun Puccinis letzte Oper mit
der weltberühmten Arie „Nessun dorma“ auf der Seebühne neu aufzusetzen. V…
den Dimensionen ging Marelli beim Bühnenbild gleich einmal aufs Ganze, um
sich gegen „schwäbisches Meer“ und Alpenausläufer am Ufer zu behaupten. D…
Opernregisseur hat das Bühnenbild selbst entworfen.
Ziemlich zu Beginn der Vorstellung fährt die 72 Meter lange und bis zu 27
Meter hohe „Chinesische Mauer“ im Rückraum der Drehbühne auf. Sie gibt so
mit der Lücke in der Mitte den Blick auf eine Armee von nachempfundenen
Terrakottakriegern frei. Die 144 Figuren schweben in Reih und Glied,
aufgestellt über dem See, bewachen streng und stumm das Geschehen vor
ihnen.
Zwischen den vorderen Bühnenspielflächen und den Zuschauerrängen hat
Marelli eine weitere aus dem Wasser aufsteigende Gruppe von
Terrakottakriegern verankern lassen. Sie gehen ins Spiel des schlammfarben
kostümierten Mao-Volks auf der Bühne über.
## Gewaltige Ausmaße
Bei den gewaltigen Ausmaßen der Arena braucht es eine klare und kräftige
Handschrift. Die orange „Chinesische Mauer“ weckt Assoziationen an einen
Drachen, ist bespielbar und mit ihren zwei Türmen Teil des Geschehens. Ein
Jahr lang wurde an ihr sowie der ausgefeilten Drehbühnenkonstruktion mit
ausklappbaren Zylinder, riesigen Leuchtbildschirmen, Licht- und
Soundkonzept gewerkelt und getüftelt. Und, darüber ist man in Bregenz immer
besonders stolz, dieses kleine künstlerische und technische Wunder wurde
fast ausschließlich von Betrieben und Handwerkern aus der Region
erschaffen.
In die Chinesische Mauer – und optisch für den Betrachter nicht sichtbar –
hat Marelli einen Teil der Lautsprecher des Soundsystems packen lassen. Die
Akustik ist bei der Open-Air-Premiere derart perfekt, dass kein Windchen
oder Lüftchen die Brillanz der aufgebotenen Chöre, Sänger und Sängerinnen,
des Orchesters der Wiener Symphoniker unter Leitung von Paolo Carignani
beeinträchtigen konnte.
Wenn etwas knisterte, dann war es nicht das Mikrofon eines Tenors oder
einer berühmten Sopranistin, sondern der sich an- und ausziehende Mensch
mit seinem Regenumhang nebenan. Aber das ist in Bregenz fester Bestandteil
der Inszenierung, genau wie das hin und wieder vernehmbare Gekrächze einer
Seemöwe.
## Unvollendete Oper aus den 1920er Jahren
Puccini ließ bei seiner Bearbeitung in den 1920er Jahren das alte Märchen
von der Kaisertochter Turandot von Persien ins alte China verlegen. Das
Libretto schrieben Giuseppe Adami und Renato Simoni nach dem gleichnamigen
Theaterstück von Carlo Gozzi. Es sollte Puccinis letzte Oper werden, bevor
er 1924 starb. Kurz nach dem Tod des Komponisten wurde „Turandot“ 1926 in
der Mailänder Scala uraufgeführt.
Da der Schluss unvollendet blieb, gibt es vom Ausgang unterschiedliche
Fassungen. Die Probleme mit dem Schluss rühren aber auch daher, dass
Puccini und seine Librettisten der Geschichte eine merkwürdige Drehung
gaben.
So schufen sie zu der ursprünglichen Liebesgeschichte von der eiskalten
Prinzessin Turandot und des um sie werbenden pathetischen Prinzen Calaf
auch noch die Gegenfigur der aufopferungsvollen Sklavin Liù. Diese verehrt
in reiner Liebe den um Turandot werbenden Prinzen Calaf. Die Sklavin Liù
opfert sich aus Liebe für Calaf. Ihr Beispiel der absoluten Hingabe lässt
auch bei ihrer Mörderin, Turandot, schließlich das Eis schmelzen, so dass
sich diese am Ende tatsächlich mit dem pathetisch verwirrten,
liebesergebenen Calaf vereint.
Durch das Opfer wird bei Puccini die Liebe geschaffen und im Opfer soll
sich auch die Größe der wahren Liebe zeigen. Ein Bild, das eher schlicht
als romantisch ist und von Marelli sehr dezent, aber dezidiert infrage
gestellt wird.
## Puccini schwärmte für den Duce
Marellis „Turandot“ auf der Seebühne ist eine Parabel auf Pathos, Liebe und
Grausamkeit, aber auch eine der intensiven Gefühle im Widerstreit mit
totalitärem Denken. Puccinis Figur der eiskalten Prinzessin Turandot ist
der persischen Märchensammlung „Tausendundein Tag“ entliehen. Prinzessin
Turandot lässt jeden Freier köpfen, der ihr Rätsel nicht lösen kann.
Aus Furcht vor männlicher Fremdbestimmung, Dominanz und Missbrauch will sie
sich nicht binden. Liebe scheint ihr ein Synonym für weibliche
Unterwerfung. Das Volk schaudert und frohlockt gleichermaßen, bis eben der
pathetisch und absolut liebende Calaf erscheint.
Schon in der allerersten Szene markiert Marelli den autobiografischen
Hintergrund von Puccinis „Turandot“-Erzählung. Er lässt den
Calaf-Interpreten (Riccardo Massi) zunächst in die Rolle Puccinis
schlüpfen. Auf der blauen Nebenbühne im Komponistenzimmer entlockt er einer
Spieluhr fernöstliche Klänge. Puccini befand sich nach einem Verkehrsunfall
selber im Dreieck von Ehefrau und junger Pflegerin, die ihn verehrte und
sich schließlich selbst umbrachte.
## Absolute Liebe
Marellis Bregenzer „Turandot“-Inszenierung bringt viele der Hintergründe
und Ambivalenzen von Puccinis Oper unaufdringlich, doch sehr genau und
zeitgemäß auf die Bühne. Puccini schwärmte für den Duce. Und so komplex
Puccini die Oper musikalisch auch komponierte – in manchem Kompositionen
nimmt er spätere Filmmusiken bereits vorweg – sein heroisches Verständnis
von Liebe, Pathos, von Männlich- und Weiblichkeit sowie der Hang zum
Exotismus waren für italienische Schwarzhemden wie andere Totalitäre
anschlussfähig.
Bei all dem verzichtet Marellis „Turandot“ jedoch auf das vordergründig
Phrasenhafte, vertraut vielmehr auf das Spielerische, das elegante
Zusammenwirken genau interpretierender Künste, die seiner Inszenierung
Kraft, Sinn, Virtuosität und Rhythmus verleihen.
Und natürlich bevölkern auch Narren, die Minister Ping, Pang, Pong,
akrobatische Feuer- und Säbeltänzer die Bühne. Und am Ende regnet es Wasser
von den Türmen. Das Puccini-Ding auf dem See, es bleibt ein wenig irre, so
wie manch menschlich allzu menschliche Überlegung dieses großen
italienischen Komponisten.
Doch wer sich nie in den Regen begibt, wird die Sonne nicht zu schätzen
wissen.
24 Jul 2015
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Bayreuther Festspiele
taz.gazete
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