Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reisezeit ist Pannenzeit: Abschleppen als Job
> Seit der Wende sind gestrandete Autos das Betätigungsfeld von Harald
> Peithmann. Jetzt rollt die Reisewelle wieder. Gut für‘s Geschäft.
Bild: Ein Familienbetrieb: Harald Peithmann und seine Schwester Anke Voß.
Abschlepp-Harry steht da, als könnte er bis an die Grenzen seines Reiches
spähen, dabei verstellen Schrottcontainer, Lkws und Reifenstapel den Blick.
Der Hof ist betoniert, hinter der Mauer ragen Birken auf. Und dann ist da
noch dieses Gelb, eine Mischung aus Zitronenschale und Goldbarren, darauf
die vier Majuskeln ADAC. Buchstaben wie aus Stahl. Der Lkw dort ist in
dieses Gelb getaucht, und es tropft von Abschlepp-Harrys Hemd, als käme er
selbst aus einem goldfarbenen Geschlecht.
Zigarillo in der einen, Kaffeetasse in der anderen Hand, steht er da,
deutet mit der Tasse auf seinen Besitz, will von der Gegenwart reden und
taucht bald ein in die Vergangenheit. Da drüben war der Schweinestall,
nebenan der Bullenstall, Futterküche, Scheune, und in der Mitte türmte sich
der Mist – kein ADAC-Ableger, ein mecklenburgischer Bauernhof, Großvaters
Stolz, gegenüber der Kirche.
Heute stehen auf dem Hof Autos – intakte, reparaturbedürftige und
Schrotthaufen. Der größte ist ein Schlitten aus Hamburg, allradgetrieben
und so zerledert, dass das Fabrikat nur noch zu erahnen ist. Airbags hängen
wie weiße Fahnen an den Fenstern herunter. „Das ist ja auch so etwas wie
Mist“, sagt Abschlepp-Harry knapp und lässt den Kaffeepott weiter kreisen.
Da, wo die Scheune war, ist heute die Karosseriewerkstatt. Gegenüber in der
Futterküche thronen Autos auf den Hebebühnen. Kopfdichtungen, Keilriemen,
Auspuffe – solche Sachen, zählt Abschlepp-Harry auf, lässt er hier
behandeln. Der Hof in Bentwisch bei Rostock ist Residenz und Autoklinik des
48-Jährigen in einem. Abschlepp-Harrys Revier entlang der Autobahnen A 20
und A 19 nimmt so schnell kein Ende.
Auf einer der Betonpisten soll gerade ein Citroën liegen geblieben sein,
eine Familie aus Dänemark wartet am Rand. Abschlepp-Harry winkt seinen
Adlatus Silvio heran, der klettert auf den Lkw und brettert davon. Seit
Jahren ist Abschlepp-Harry nicht mehr selbst unterwegs, erzählt er, und so
sind Abschlepp-Harry und er, Harald Peithmann, nicht mehr ganz identisch.
Abschlepp-Harry – das ist jetzt eher eine Marke, oder eine Werbefigur.
Sollen die Leute ruhig glauben, dass Abschlepp-Harry ein knuffiger Typ mit
Bart und Bauch ist. Ganz anders als dieser durchtrainierte Harald
Peithmann. Deswegen wird er auch nur schwer zu bewegen sein, sich ablichten
zu lassen. Höchstens mit der Schwester, die im Büro arbeitet.
Abschlepp-Harry ist schließlich ein Familienbetrieb.
## Autos gehen immer
Peithmann strafft die Brust. Schon erstaunlich, was aus dem Bauernhof
geworden ist. Mit 23 Jahren hat er 1990 die Bullen fortgetrieben. Die DDR
war am Absaufen. Mit Rindfleisch könnte es schwierig werden, ahnte er,
Autos aber, das wusste der gelernte Mechaniker, gehen immer.
Gebrauchtwagenhändler fluteten mit Westwagen den Osten, meist frisch
lackierter Schrott – ein Albtraum für Fahrer, ein Fest für jede Werkstatt.
„Ich hatte einen Trecker mit Haken, um auf dem Hof Autos zu rangieren“,
erzählt Peithmann. Warum nicht hinausfahren und selbst abschleppen?
Immerhin führt die A 19 von Berlin zur Ostsee an Bentwisch vorbei. Und so
verwandelte sich Harald Peithmann in Abschlepp-Harry.
Eine Metamorphose mit Wirkung. 1991 bekam der ADAC Wind von dem
Jungunternehmer. Noch im selben Jahr wurde der Hof in Goldgelb getunkt.
„Das war wie ’ne Heiligsprechung!“ Peithmann schwärmt noch heute. Hier i…
einer in den automobilen Adelsstand erhoben worden. Seit 24 Jahren ist
Abschlepp-Harry mit seinen Lkws unterwegs, und die Farbe hat nie ihre Kraft
verloren – jedenfalls fast nie.
Und mit jedem Tag führt sie ihm neue Kundschaft zu. Peithmann hat die
Sonnenbrille hochgeschoben. NDR 1 beschwört die „Ferienreisewelle“: große
Ferien, großes Geschäft. Die Skandinavier zieht es in den Süden. Zum
Balaton wollen sie, erzählt der Familienvater aus Dänemark im Fahrerhaus
von Silvio Broszinski, vielleicht 10 Kilometer Luftlinie von
Abschlepp-Harrys Zentrale entfernt. Der Motor lief nur noch auf drei
Töpfen. Der Injektor, weiß Broszinski. Die Familie hockt hinter dem Fahrer,
Broszinski hat die Familienkutsche huckepack genommen und bringt das Auto
in die nächste Werkstatt. Kein Auftrag für Harrys Mechaniker. Doch anderswo
wird zur selben Zeit ein Ausflug der Caritas abrupt unterbrochen. Ein
knappes Dutzend Reiselustiger steht verloren an der Autobahn. Broszinski
senkt seine Rampe, zieht den Kleinbus hinauf und schafft ihn nach Rostock.
30 bis 50 Aufträge kommen täglich herein, sagt Peithmann. In der Regel
hellt sich die Laune erheblich auf, wenn die Abschleppwagen heranrollen –
außer wenn er Parksünder abschleppt. Nur im vorigen Jahr war vieles anders.
Der ADAC-Skandal hat das Geschäft belastet, räumt er ein. Die
Manipulationen beim Autopreis Gelber Engel, die Flüge des Präsidenten mit
dem Rettungshubschrauber, die ganzen Extravaganzen haben Spuren
hinterlassen. Präsident, Geschäftsführer und Kommunikationschef traten ab.
Das Imperium mit seinen knapp 19 Millionen Mitgliedern, mit Pannenhilfe,
Versicherungen, Autovermietung, die ganze verflochtene und verfilzte
Herrschaft soll entwirrt und umgebaut werden.
Es gab Diskussionen mit den Kunden, erzählt Peithmann. Versicherungen und
Hersteller seien auf Distanz zum ADAC gegangen. Am Ende stand eine
Vertrauenskrise „für uns als letztes Glied in der Nahrungskette“. Anders
als die ADAC-Straßenwacht ist Abschlepp-Harry eigenständiger Unternehmer
„im Auftrag des ADAC“. Das Beben in der ADAC-Zentrale hat auch
Abschlepp-Harry besorgt. Der Pakt mit dem Automobilclub ist seine
Arbeitsgrundlage.
## Florierender Betrieb
„Der ADAC verhilft nicht zu Reichtum“, beteuert Peithmann, „aber zu einer
Grundauslastung.“ Diese muss Jahr um Jahr gestiegen sein. Das Unternehmen
ist seit 25 Jahren gewachsen. Inzwischen hat Abschlepp-Harry drei
Betriebsteile und eine Autoverwertung, in denen er 45 Mitarbeiter
beschäftigt, darunter ein Schweißer aus dem Irak, einer aus Polen und ein
Lehrling aus Italien. Einheimische Fachkräfte seien kaum noch zu finden.
Dass es so floriert, hat auch mit Faktoren zu tun, die längst nicht allen
Freude bereiten. Umweltschützer, Anwohner und Grüne protestierten, als
Landschaft und Vogelschutzgebiete mit einem Betonband versiegelt wurden.
Aus Sicht eines Abschleppunternehmers ist der Bau der Ostseeautobahn
hingegen ein Segen. Es ist auch völlig bescheuert, intakte Autos in die
Schrottpresse zu stecken. Aber wenn der Bundestag 2009 eine Abwrackprämie
beschließt? Peithmann hat Tausende Autos abgewrackt.
Doch nicht immer ist ein Abschleppunternehmer Profiteur der großen Politik.
Auf welcher Route seine Gebrauchtwagen den Weg gen Osten fanden, darüber
kann er nur Vermutungen anstellen. Mit der Fähre? Über die Ostseeautobahn?
Tatsache ist, dass sein Gebrauchtwagengeschäft zusammenbrach, als 2014 in
der Ostukraine der Krieg ausbrach. Krieg, Abwertung, Wirtschaftskrise –
Ukrainern, Balten, Russen machen sich rar. Und auch das Wetter ist unsicher
geworden. Eigentlich hat ein Abschlepper zweimal Saison – im Sommer und im
Winter. Doch was, wenn im Januar die Batterien durchhalten und die Motoren
anspringen, weil es zu warm ist? Nein, der letzte Winter war nicht gut.
Umso schöner, dass jetzt Sommer ist. Silvio Broszinski kommt hereingerollt,
der 39-Jährige will endlich etwas essen. Doch ein Motorradfahrer steckt
fest. Der Mann in der signalfarbenen Latzhose rollt wieder los. „Sommer ist
stressig“, sagt Broszinski. Seit zwei Jahren ist er bei Abschlepp-Harry.
Nach einem Intermezzo als Mechaniker in Berlin zog es ihn wieder in den
Norden. „Wir sitzen alle in einem Boot“, beschreibt er das Arbeitsklima.
## Ab nach Hause
Der Motorradfahrer steht verloren neben seiner Maschine. Der Kolben habe
plötzlich geklappert, erzählt er. Will sich Broszinski jetzt den Motor
vorknöpfen? „Ach was!“ Motorradfahrer sind Selbstschrauber. Wenn die den
Abschleppdienst rufen, ist finito. Also ab nach Hause. Sehr genau verfolgt
der Besitzer das Vertäuen des Gefährts. Die Reise geht über das Kreuz
Rostock. In Sichtweite zieht ein gelber Schornstein vorbei:
„Abschleppharry“ ist draufgemalt. Wie der Obelisk für einen Herzog. Nur das
Gelb scheint etwas blass.
Als Broszinski endlich zu seiner Mahlzeit eilt, hockt Harald Peithmann in
seinem Büro und zeigt Luftaufnahmen von seinem Betrieb, der ein Bauernhof
war. Ein Hof, der in der DDR heruntergewirtschaftet wurde. Der Vater, in
die LPG gepresst, hat das nie verwunden. Ein Gehirnschlag machte ihn, kaum
60, zum Pflegefall. Peithmann deutet über die Straße. Das Grab liegt drüben
auf dem Friedhof.
Kirche, Friedhof und Hof – „das ist wie ein Kraftfeld!“, fasst Peithmann
zusammen. Dann zückt er Fotos – Bilder vom Erfolg. Doch zwei gescheiterte
Ehen gehören auch dazu, räumt er ein. Die zwei halbwüchsigen Söhne kommen
gerade zum Tor herein. Junge Abschleppharrys? Peithmann winkt ab. Jede
Generation soll frei sein in der Entscheidung. Er hat den Hof 1990
aufgegeben und Abschlepp-Harry erfunden. Eine gute Entscheidung. Doch dann
überlegt er kurz, ob es 1990 nicht besser gewesen wäre, Landwirt zu
bleiben. „Tausend Hektar hätten wir heute“, sagt er bestimmt. „Mindesten…
1 Aug 2015
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
ADAC-Affäre
Autobahn
ADAC
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Pressschlag: Die FC Bayern-Finte
Ist der FC Bayern in Gefahr? Droht dem Club die Streichung aus dem
Vereinsregister? Nein, die Attacke ist nur gut gemachte Werbung.
Hauptversammlung beschließt Aufteilung: Radikalumbau soll ADAC retten
Ab sofort soll beim ADAC das Mitglied im Mittelpunkt stehen, nicht der
Profit. Die Hauptversammlung zieht damit Konsequenzen aus diversen
Skandalen.
U-Turn in der grünen Verkehrspolitik: Der Asphalt kommt
Schleswig-Holsteins Grüne wollen den Weiterbau der Autobahn 20 nicht länger
verhindern – falls der Bund die Elbquerung nach Niedersachsen finanziert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.