# taz.de -- Die Wahrheit: Der große Bombini | |
> Der Mann mit dem gelben Eierhelm ist ein Prinz, der zum Mond will und | |
> sich auch von seinem gespreizten Namen nicht davon abhalten lässt. | |
Wir hatten immer geahnt, dass Knattermax ein spektakuläres Vorleben besaß. | |
Wir nannten ihn so, weil er Tag für Tag mit seinem altertümlichen Motorrad | |
durch die Stadt knatterte und dabei eine abgewetzte Lederkluft und einen | |
gelben Eierhelm trug. | |
Als er eines Abends im Café Gum auftauchte, erfuhren wir, dass er der | |
leibhaftige Prinz Rigobert vom Drosselplütz war, aber schon lange nach | |
einem weniger gespreizten Namen suchte. „Knattermax“ gefiel ihm. Er gab | |
eine Runde aus, dann noch und noch eine, und wir wurden Freunde. „Kommt | |
übermorgen vorbei, ich zeige euch mein albernes Familienschloss“, kicherte | |
er. Er ließ sich ein Taxi rufen, setzte sich den Eierhelm auf und wies den | |
Fahrer an, mit offenen Fenstern zu fahren, weil er sich sonst wie ein | |
eingesperrtes Vögelchen fühle. | |
Zwei Tage später taperten wir in den Schlosshof. „Willkommen!“, rief er. | |
Dann sagte er „Das sind sie, Häschen!“ zu einer Frau neben ihm. „Du soll… | |
vor den Leuten nicht Häschen sagen“, wies sie ihn zurecht, ehe sie sich uns | |
zuwandte und uns mit den Worten „Sie dürfen mich Hoheit nennen“ die Hand | |
zum Kuss entgegenstreckte. | |
Knattermax schob uns eine Treppe hinauf, und wir gelangten in einen Saal | |
von der Größe einer Bahnhofshalle. „Bitte schön“, seufzte er, „überall | |
nichts als Zeugnisse des Drosselplütz’schen Größenwahns.“ Er wies auf die | |
Bilder einer Ahnengalerie: „Bringfried vom Drosselplütz – wollte das | |
sagenhafte El Dorado in Familienbesitz bringen und versank mit seiner | |
lächerlichen Nussschale noch in der Nordsee. Eckbert vom Drosselplütz – | |
wurde von drei Kammerdienern verjagt, als er mit einer Truppe von billigen | |
Söldnern in den Zarenpalast eindrang, um Russland dem Fürstentum | |
Drosselplütz einzuverleiben.“ | |
„Und das da?“, fragte Raimund und zeigte auf einen spärlich beleuchteten | |
Erker. „Das?!“, rief Knattermax strahlend, „das ist meine Geschichte!“ | |
„Rigobert, nicht doch!“, rief die Prinzessin, aber er hatte schon Licht | |
gemacht. Wir standen vor zahllosen Plakaten, auf denen unter dem Schriftzug | |
„Der große Bombini – die lebende Kanonenkugel“ Knattermax mit Eierhelm u… | |
Lederkluft abgebildet war. „Der große Bombini?“, staunte Raimund. | |
„Jawohl!“, kicherte Knattermax und in seinen Augen flackerte es: „Ich habe | |
mich über den Ärmelkanal schießen lassen, von Ischia nach Neapel, und immer | |
habe ich davon geträumt, die Reise zum Mond zu wagen!“ | |
„Zum Mond?!“, keuchte Raimund, und die Prinzessin rief: „Rigobert, bitte!… | |
doch Knattermax war völlig außer sich. „Ja, zum Mond!“, kreischte er und | |
rannte zur Treppe. Schon schob er unten im Hof die Bombinikanone aus einem | |
Schuppen. „Du lieber Himmel, tun Sie was!“, japste die Prinzessin – doch | |
bevor wir unten ankamen, schallte ein dumpfes „Wump!“ herauf. | |
Seitdem fehlt von Knattermax jede Spur. Aber mindestens Raimund glaubt, | |
dass die Astronauten der nächsten Mondmission auf der Rückreise einen | |
unerwarteten Passagier an Bord haben werden. | |
23 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
## TAGS | |
Freundschaft | |
Senioren | |
Kiosk | |
Nordsee | |
Ängste | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Des Teufels tollkühner Tiefbautrupp | |
Wenn es nach 50 Jahren unvermutet zu klappern beginnt, sind nicht immer | |
natürliche Alterungsprozesse dafür verantwortlich. | |
Die Wahrheit: Junior und die weisse Frau | |
Die Kundin sollte immer Königin sein, auch wenn sie irgendwo in Deutschland | |
nach dem Weg zum Empire State Building fragt. | |
Die Wahrheit: Der goldene Drachen | |
Manchmal kann der Diebstahl eines simplen Feuerzeugs die Welt retten und | |
ein paar Knirpse um einen Berg Lakritzschnecken reicher machen. | |
Die Wahrheit: Das Leben eines heiligen Punks | |
Der Oberpunk, der einst Hollandfahrrad-Schluffi war und später Chirurg | |
wurde: An der Nordseeküste gibt es durchaus interessante Biografien. | |
Die Wahrheit: Wie ich den Morbus S. entdeckte | |
Es gibt so viele Ängste. Aber warum muss ich ausgerechnet an einer | |
unerklärlichen Phobie gegen Sitzmöbel leiden und deshalb überall stehen? |