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# taz.de -- Die Wahrheit: Der goldene Drachen
> Manchmal kann der Diebstahl eines simplen Feuerzeugs die Welt retten und
> ein paar Knirpse um einen Berg Lakritzschnecken reicher machen.
Unvermittelt trat Raimund und mir ein Haufen Jungs in den Weg. „Mann!“,
zischte der Boss der Bande und fixierte Raimund: „Wir warten und warten,
und du vertrödelst hier die Zeit!“ – „Was wollen die Knirpse von dir?“,
fragte ich. „Na ja … ich …“, murmelte er, und es war offenkundig, dass …
nicht den blassesten Schimmer hatte. Der Boss aber zischte: „Los jetzt,
wenn wir nichts unternehmen, geht die Welt unter!“ – und Raimund schaute
mich strahlend an und sagte: „Ich wollte es dir ja längst erzählen: Ich
gehe neuerdings einem Job als Weltenretter nach.“
Er eilte den Jungs hinterher, und mir schien es ratsam zu sein, ihn nicht
allein zu lassen. Wir liefen die Adalbertstraße hinunter und blieben am
Holzmarkt stehen. Die Knirpse spähten hinüber zu Hökerhugos Kiosk, wo Hugo
wie üblich auf seinem Tresen lehnte, rauchte und mit seinem Feuerzeug
spielte. Hökerhugo war ein mit riesigen Muskelpaketen bepackter Bär. Er war
dreißig Jahre lang zur See gefahren, und seinen Spitznamen hatte er
bekommen, weil er von überall geheimnisvolle Kunstgegenstände mitbrachte
und in dem Kiosk, der damals noch seinem Vater gehörte, verkaufte. Als der
Vater starb, übernahm Hökerhugo die Bude, beschränkte sich fortan auf den
Handel mit Zigaretten und Lakritzschnecken, erzählte aber jedem Kunden eine
atemberaubende Geschichte von einem seiner Deals mit den Schamanen im
Dschungel von Sumatra oder der chinesischen Porzellanmafia.
„Los jetzt“, knurrte der Boss, „du musst den Schlüssel vernichten!“ Ra…
schaute ratlos zu Hökerhugo hinüber – doch plötzlich schien er zu
begreifen. „Der Schlüssel, natürlich“, hauchte er, „es ist der Goldene
Drache!“ – „Raimund“, beschwor ich ihn, „mach keinen Blödsinn!“ Er…
mich hinter sich her. „Ich muss den Goldenen Drachen vernichten“, sagte er,
„und du musst Hugo ablenken!“
Der Goldene Drache war das Messingfeuerzeug, mit dem Hugo immer spielte. Es
war das einzige Objekt, das er niemals zu verscherbeln versucht hatte, denn
es war ihm von einem Shaolinmönch geschenkt worden, dem er bei einem
Schiffbruch auf dem Jangtse das Leben gerettet hatte.
„Los!“, flüsterte Raimund, als wir vor dem Kiosk standen, und ich
stotterte: „Äh …, hallo Hugo, einmal Camel ohne, bitte!“ – „Du rauch…
wieder? Sehr gut!“, schnaufte Hugo, und als er sich umdrehte, schnappte
Raimund sich das Feuerzeug. „He!“, brüllte Hugo: „Ihr Kanalratten! Gebt …
den Goldenen Drachen zurück!“
Wir rannten hinunter zum Fluss. Schon hörte ich Hugo hinter uns hecheln.
Ich blickte mich um und sah die Knirpse Berge von Lakritzschnecken aus dem
Kiosk mopsen, während Hugo näher kam. „Kanalratten!“, brüllte er nochmals
und stürzte sich auf uns – doch da warf Raimund den Goldenen Drachen
bereits in den Fluss, und als ich später im Krankenhaus erwachte, saß
Raimund auf dem Bettrand und hielt mir – da er wegen einer bösen
Kieferprellung nicht sprechen konnte – einen Zettel hin, auf dem zu lesen
war: „Die Sonne scheint, die Erde dreht sich weiter – wir haben es
geschafft!“
21 Apr 2015
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Kiosk
Bankraub
Nordsee
Ängste
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