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# taz.de -- Die Wahrheit: Hände, äh, hoch!
> Einem Galloway-Stier von einem Kerl ein paar einfache Sätze auf Deutsch
> beizubringen, ist manchmal alles andere als leicht.
Don schnaubte unwirsch, so dass er aussah wie einer der wütenden
Galloway-Stiere, mit denen er angeblich früher einmal trainiert hatte, als
er schottischer Juniorenchampion im Freistilringen war. Auch Raimund
guckte höchst missmutig aus der Wäsche. Seit sechs Wochen war Don in der
Stadt und ebenso lange versuchte Raimund, ihm abends im „Café Gum“ Deutsch
beizubringen. Noch immer aber konnte Don nur „Hallo, ich heiße Don!“ und
„Heute ist schönes Wetter!“ sagen. Wollte er sich hingegen an einem
Regentag zum Wetter äußern, musste er auf sein Rateglück vertrauen, was in
aller Regel zu Sätzen wie „Heute ist flüssiges Wetter!“ führte. Er war e…
hoffnungsloser Fall.
Als er jedoch einige Tage später ins Gum hereinstiefelte, grinste er breit.
„I’ve got good news!“, sagte er und erzählte, dass er einen echten Job
gefunden habe. Er werde schon am nächsten Tag anfangen und könne sich mit
seinem Boss ganz hervorragend auf Englisch verständigen. Fünf deutsche
Sätze aber, das war die einzige Bedingung, musste er kennen; sein Boss
hatte sie ihm fein säuberlich aufgeschrieben, und so zogen er und Raimund
sich zum Intensivkurs zurück.
Bis Mitternacht saßen sie mit rauchenden Köpfen in ihrer Ecke, und diesmal
hatten sie tatsächlich Erfolg. Als Don das Gum verließ, grinste er noch
immer, und Raimund schnaufte erschöpft, aber glücklich: „Mein Gott, er hat
es!“ – „Sehr schön“, sagte ich und lächelte gleichfalls.
Als ich indes einen Blick auf den kleinen Zettel warf, den er auf die Theke
legte, verflog meine gute Laune schlagartig. „Sind das die Sätze, die ihr
gelernt habt?!“, keuchte ich, um Fassung ringend. „Klar“, nickte Raimund.
„Und was ist das für ein Job, für den er diese Sätze braucht? Soll er
‚Butch Cassidy and the Sundance Kid‘ neu synchronisieren?“ Raimund zuckte
die Schultern.
„Also ich meine, dass ein Satz wie ‚Hände hoch, dies ist ein Überfall!‘…
für einen Bankräuber von integraler Bedeutung ist“, sagte ich – und wenn
Raimund auch meinte, dass es gewiss eine harmlose Erklärung für die Liste
gab, ließ er sich schließlich doch dazu überreden, Don zumindest zu
beobachten und gegebenenfalls vom Schlimmsten abzuhalten.
Wir passten ihn am nächsten Morgen ab, als er das Haus verließ, und folgten
ihm unauffällig. Wir wussten nicht, wie wir den ehemaligen Champ
überwältigen sollten, waren aber entschlossen, uns mit vereinten Kräften
auf ihn zu stürzen, wenn er Kurs auf eine Bank nahm. Plötzlich aber betrat
er den indischen Supermarkt, der wenige Tage vorher eröffnet hatte.
„Himmel!“, japste ich: „Es geht gar nicht um eine Bank, schnell!“ Wir
rannten los und stürzten in den Laden. Der indische Besitzer wurde
kalkweiß, als wir hereinpolterten. „Don!“, kreischte er: „Help!“
Schon wurden wir von hinten gepackt und zu Boden geworfen, doch bevor er
uns die Schultern auskugelte, erkannte uns unser schottischer Freund, und
so konnte er uns bei einer Tasse Tee erklären, dass Rachid, sein Boss, eine
vielleicht etwas übertriebene Angst vor Überfällen hatte, die ihm, dem
ehemaligen Champion, freilich einen ziemlich guten Job bescherte.
16 Jun 2015
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Bankraub
Überfall
Kiosk
Nordsee
Ängste
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