| # taz.de -- Wie Musliminnen zum IS kommen: Der anziehende Staat | |
| > Was macht den Islamischen Staat für Frauen attraktiv? Das versuchen eine | |
| > britische Studie und eine deutsche Untersuchung zu klären. | |
| Bild: Hunderte Frauen aus Europa sind nach Syrien und in den Irak gegangen, um … | |
| Berlin taz | „Sind Nasenpiercings im Islam erlaubt?“ Das ist eine der | |
| drängenden Twitter-Fragen von Amira, 15, an ihre Freundinnen. Oder auch | |
| „Soll ich diese Schuhe kaufen?“, mit einem Foto neuer Sneakers. Amira ist | |
| gut in der Schule, ein Sportcrack. Voll integriert in ihrer englischen | |
| Heimat. Und doch verabschiedet sie sich eines Tages mit der Bitte, für sie | |
| zu beten: „Ich brauche es wirklich.“ Tage später ist sie in Syrien. | |
| Amira ist eine der Frauen, die die Sozialwissenschaftlerinnen Erin Marie | |
| Saltman und Melanie Smith vom britischen Institute for Strategic Dialoge | |
| (ISD) in ihrer [1][gerade erschienenen Studie] „Till Martyrdom do us part“ | |
| vorstellen. Etwa 550 Frauen sind unter den etwa 4.000 WesteuropäerInnen, | |
| die bisher nach Syrien zogen. Die Autorinnen stellen nicht eine Motivation | |
| fest, sondern ein Bündel von treibenden und ziehenden Momenten. | |
| Das Gefühl, dass Muslime in vielen Teilen der westlichen Welt diskriminiert | |
| werden, gesellt sich zu konkreten Erfahrungen wie der, dass Frauen mit | |
| Kopftuch kaum eine Arbeitsstelle finden und eine Menge verächtlicher Blicke | |
| und Kommentare ernten. Und wenn Pegida demonstriert, kommt sogar ein Gefühl | |
| der Bedrohung auf. Die Tatsache, dass Teile der Bevölkerung den Islam für | |
| rückständig und gefährlich halten, treibt die Jugendlichen geradewegs in | |
| den Extremismus. | |
| Was sie hingegen anzieht: Ein islamischer Staat entsteht. Die virtuelle | |
| Gemeinde, in die sich einige der benachteiligten Muslime zurückgezogen | |
| haben, die „Umma“ bekommt ein Zuhause. Die Jugendlichen empfinden es als | |
| religiöse Pflicht, beim Aufbau zu helfen. „Allah hat uns ein Kalifat | |
| geschenkt, da gibt es keine Entschuldigung mehr“, twittert eine laut der | |
| Studie von Saltman und Smith, eine andere ergänzt: „Hidschra, just do it!“ | |
| Die Hidschra war die legendäre Auswanderung Mohammeds von Mekka nach | |
| Medina. | |
| Eines der Rekrutierungswerkzeuge erscheint diese Woche im Verlag Herder auf | |
| Deutsch in kommentierter Fassung: Es heißt [2][“Frauen für den Dschihad“] | |
| und behauptet, ein „Manifest“ zu sein. Geschrieben haben es Frauen der | |
| Al-Khansa-Brigaden, einer Art weiblicher Schariapolizei im Islamischen | |
| Staat, tätig vor allem im syrischen Raqqa. Benannt sind sie nach al-Khansa, | |
| einer Poetin, die zu Mohammeds Zeiten gelebt haben soll. | |
| „Der Muslim ist eine besondere Person“, schreiben die Frauen der | |
| Al-Khansa-Brigaden. Er „unterscheidet sich von anderen Personen, die | |
| falsche Gedanken hegen, denn er hat das Ziel, die Gotteseinzigkeit auf | |
| Erden zu verwirklichen, ohne dass ihn das weltliche, vergängliche Leben | |
| davon abhält“. Mit anderen Worten: Wir sind einzigartig und gut, die | |
| anderen sind schlecht. Wie schön für jemanden, der bisher in seinem Leben | |
| das Gegenteil gehört hat. | |
| ## Ein sehr spezieller Islam | |
| Einzige Aufgabe der MuslimInnen: „die Scharia zu festigen und den Islam auf | |
| Erden zu verbreiten“. Dieser Islam ist speziell: Die Schiiten gehören nicht | |
| dazu, aber auch nicht die Sunniten auf der Arabischen Halbinsel. Dort | |
| nämlich regieren die Apostaten, die Abtrünnigen, die, die „Anständigkeit | |
| und Reinheit der Frau zerstören“, weil Frauen und Männer gemeinsam | |
| studieren und man sogar in den Westen reisen darf. | |
| Angriffe, Folter, Vergewaltigung, das Abschlachten von Menschen, nichts | |
| davon kommt in diesem Manifest vor. Auch eine andere Szenerie fehlt: | |
| Mädchen wie Amira, die in kleinen Zimmern in Raqqa oder Mossul sitzen und | |
| nichts zu tun haben, als auf ihren Kämpfer-Ehemann, auf eine | |
| Schwangerschaft oder auf ihre Verwitwung zu warten – und zu chatten, so sie | |
| denn ein Netz finden. | |
| Die Rolle, die der IS für die Frau vorsieht, ist schnell beschrieben: Sie | |
| haben außer den religiösen Pflichten „keine andere großartigere Aufgabe, | |
| als ihrem Ehemann zur Seite zu stehen“. Heiratsfähig sind sie schon mit | |
| neun Jahren. Sie sollen vor allem religiös und in Hauswirtschaft | |
| unterrichtet werden. Wissenschaftliche Bildung ist weitgehend unerwünscht. | |
| Die Frau „hat es nicht nötig, hin und her zu springen, um Zeugnisse und | |
| Auszeichnungen zu bekommen, denn sie braucht nicht zu beweisen, dass ihre | |
| Klugheit die des Mannes übertrifft“. | |
| Sie hat wunderbare Rechte im IS: So darf sie einen Schleier tragen, wo | |
| immer sie will. Niemand kann sie zwingen, sich für das Bild auf dem | |
| Personalausweis zu entschleiern, sie hat nämlich gar keinen Ausweis. | |
| ## Sie muss nicht arbeiten gehen | |
| Das zweite der großzügigen Rechte: Sie kann im Haus verweilen, sie muss | |
| nicht arbeiten gehen wie die armen verwirrten Frauen im Westen. „Sie haben | |
| die Töchter Adams aus dem Innern ihres Heimes und aus den Armen ihres | |
| Ehemannes herausgerissen, um sei in die Flammen eines anstrengenden und | |
| mühevollen Arbeitens zu schicken.“ Die Muslimin des IS dagegen kann sich | |
| den verantwortungsvollen Erziehungsaufgaben widmen. Im Widerspruch dazu | |
| steht, dass sie Ärztin oder Lehrerin werden darf, denn die braucht der IS | |
| für seine geschlechtergetrennte Welt. Und: Wenn nicht genügend männliche | |
| Kämpfer vorhanden sind, soll sie auch zur Waffe greifen. | |
| In der ungläubigen Welt müssen die Frauen arbeiten, weil die Männer ihrer | |
| Aufgabe, die Familie zu versorgen, nicht ordentlich nachkommen. „Wenn | |
| Männer Männer wären, dann wären Frauen ebenso Frauen.“ Es schließt sich | |
| diesen Erörterungen ein längerer Diskurs darüber an, wie gut die Frauen im | |
| Gebiet des IS leben. Die Gesundheitsversorgung sei hervorragend, Witwen und | |
| alleinstehende Frauen werden vom Kalifat alimentiert, alle Gruppen und | |
| Herkünfte verschmelzen zur Einheit richtiger Muslime. Der Schluss-Hymnus | |
| ans Kalifat: „Ihr habt die Frau emporgehoben, nachdem die Säkularen sie | |
| erniedrigt haben“. | |
| Und die jungen Frauen aus Saltman und Smith’ Studie stimmen ein: Mit vier | |
| anderen schwarz verhangenen Frauen posiert die vierzehnjährige Zeyneb in | |
| Syrien mit der Fahne des IS und verschickt die Fotos an ihre Freundinnen. | |
| Der zugehörige Text: „Chillin in the Kalifah, lovin life“, chillen im | |
| Kalifat, das Leben lieben. | |
| ## Theologisch eingeordnet | |
| Hamideh Mohagheghi, wissenschaftliche Mitarbeiterin für islamische | |
| Theologie an der Universität Paderborn und Herausgeberin des Buches, hat | |
| die Ergüsse der IS-Frauen auf 144 Seiten theologisch und soziologisch | |
| eingeordnet und mit einer aufgeklärten Version des Islam kontrastiert. Der | |
| arabische Text füllt etwa ein Drittel des Buches, dann folgt die | |
| Übersetzung. | |
| Mohagheghis Einordnung kommt zum Schluss: Es beginnt schon damit, dass der | |
| Koran überhaupt kein Kalifat kennt, wie es der IS sein möchte. Dann werden | |
| sämtliche koranische Aufrufe zu Frieden und Gerechtigkeit und gegen | |
| Grausamkeiten und Gewalt ignoriert – wie auch Barmherzigkeit, die | |
| Haupteigenschaft Allahs, in dieser Ideologie keine Rolle spielt. | |
| Vor allem aber ist das Manifest von den Taten des IS, seiner | |
| Auslöschungsideologie oder der Tatsache, dass jesidische Frauen und Mädchen | |
| als Sexsklavinnen gehalten und gehandelt werden, merkwürdig losgelöst. Sie | |
| finden einfach keine Erwähnung und werden dadurch in einen gewissen Nebel | |
| des Hörensagens gehüllt. | |
| ## Der sexistische Westen | |
| Mohaghegis Analyse: Die Rolle der Frau im Westen kann von den jungen | |
| Musliminnen „als kompliziert, vielfältig und als zwanghafte | |
| Selbstbehauptung wahrgenommen werden. Dazu kommen Bilder, die aus der Sicht | |
| anderer Kulturen von einer sexistischen Gesellschaft sprechen, die Frauen | |
| auf ihre Körper reduziert und sie brutal vermarktet.“ Das Manifest stelle | |
| dem ein „ideales“ Leben gegenüber, in dem man sich zu verhalten weiß und | |
| versorgt wird. | |
| Was kann man diesem Bild entgegenstellen? Die Realität, von der | |
| zurückgekehrte Frauen berichten. Die Grausamkeiten und das harte Leben im | |
| Kalifat wieder aus dem Nebel holen. Theologisch dagegen halten, wie | |
| Mohagheghi es tut. Gegen die immer wieder Aggressionen erzeugenden | |
| Diskriminierungen vorgehen. | |
| Und das tun, was Aussteiger- oder Präventionsprogramme in mühevoller | |
| Einzelarbeit bewirken: Die Mitarbeiter gehen mit den Jugendlichen auf | |
| Jobsuche, versuchen mit ihnen realistische Ziele zu entwickeln, die sie | |
| auch zu Hause erreichen können. Je eher man sie ansprechen kann, desto eher | |
| orientieren sich Jugendliche um, ist etwa die Erfahrung vom | |
| Präventionsprojekt „Wegweiser“ in Düsseldorf, geleitet vom | |
| Kriminalhauptkommissar Dirk Sauerborn: „Die Jugendlichen ziehen in den | |
| Dschihad, um etwas Besonderes zu sein, die Speerspitze. Wir versuchen ihnen | |
| zu zeigen, dass sie auch in Deutschland etwas Besonderes werden können – | |
| ohne Gewalt“. | |
| 22 Jul 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://icsr.info/2015/06/icsr-report-till-martyrdom-us-part-gender-isis-phe… | |
| [2] http://www.herder.de/buecher/religion_spiritualitaet/detailseiten/Frauen-fu… | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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