# taz.de -- Neuanfänge: Leben ohne Schwimmbecken | |
> Die eine studiert, der andere betreibt ein Eiscafé. Silke Lippok und | |
> Markus Deibler haben ihre Profikarriere beendet - mit gerade Anfang 20. | |
Bild: „Ich bereue nichts“: EM-Goldmedaillen-Gewinnern Silke Lippok ist nun … | |
HAMBURG taz | Am Ende war nichts mehr geblieben von der Faszination von | |
einst. Dieses endlose Hin und Her, das Bahnenziehen im Hallenbad. Armzüge, | |
Atmen, Anschlagen, alles auf Anfang – ein Hamsterrad. Immer wieder, beim | |
Durchpflügen des Wassers, der Blick zum Beckenboden. Das stetig gleiche | |
Muster. Kachelzählen nennen die Schwimmer ihr Training. | |
Nun sitzt Markus Deibler, der noch im Dezember bei der Kurzbahn-WM in Doha | |
Weltmeister mit Weltrekord wurde, in seiner kleinen Eisdiele im Hamburger | |
Stadtteil St. Pauli und beklebt Eisbecher mit Banderolen. Hinter seinem | |
Rücken brummt die Eismaschine. Er sieht kurz neben sich, verschafft sich | |
einen Überblick über die gestapelten Becher und sagt: „300.“ So viele sei… | |
es wohl, die mit dem Schriftzug der Eisdiele beklebt werden müssten. Becher | |
zählen statt Kacheln zählen. „Gut, das ist jetzt nicht so die prickelndste | |
Tätigkeit, aber insgesamt macht es sehr viel Spaß. Ich habe die | |
Entscheidung zu keinem Zeitpunkt bereut“, sagt Deibler, der zusammen mit | |
Luisa Mentele das Eiscafé betreibt. | |
Diese Entscheidung, von welcher der gebürtige Baden-Württemberger spricht, | |
reifte über einen längeren Zeitraum. Bekannt gab er sie am 16. Dezember, | |
nur neun Tage nach seinem größten Triumph als Profisportler. Als er am 7. | |
Dezember in Doha nach dem Endlauf über 100 Meter Lagen (je 25 Meter | |
Schmetterling, Brust, Rücken und Freistil) nach 50,66 Minuten am Beckenrand | |
anschlug, leuchtete auf der Anzeigetafel hinter der Nummer eins sein Name | |
auf. Dahinter blinkte das „WR“. Gold bei einer WM, noch dazu mit | |
Weltrekord. Davon träumt jeder Schwimmer. Und dann beendete Deibler nur | |
wenige Tage später seine Karriere. Da ist er 24 Jahre alt. | |
Es gelte da genau zu unterscheiden zwischen dem Alltag und den | |
Glanzpunkten, sagt Deibler. In Doha war es Letzteres, ohne jeden Zweifel. | |
„Ich habe im Finale herausgehauen, was ging. Das war cool. Da dachte ich: | |
,Alter, bist du schnell!‘“ Und plötzlich war da der Weltrekord. „Es ist | |
noch nie jemand irgendwo so schnell geschwommen auf der ganzen Welt, kein | |
Michael Phelps, niemand. Das kann mir auch niemand mehr nehmen. Einen | |
besseren Abgang hätte es nicht geben können.“ | |
Dieser 7. Dezember 2014 war für Deibler ein Tag wie Champagner und Lachs | |
mit Kaviar. „Wenn ich nur Wettkämpfe schwimmen könnte, würde ich | |
weitermachen. Es ist witzig, Erfolg zu haben – alles cool. Aber es gehört | |
ja auch noch das Training dazu“, sagt Deibler, der im Oktober 2009 von | |
seinem Heimatverein TG Biberach zum Hamburger Schwimm-Club wechselte. „Die | |
Freizeit ist nicht Freizeit, sondern immer verordnete Ruhezeit. Man muss an | |
sieben Tagen 24 Stunden lang ein Leistungssportler sein, sich richtig | |
ernähren, keinen Alkohol trinken, immer früh schlafen gehen, auf | |
Regeneration achten.“ | |
Er konnte vom Schwimmen leben, die Sporthilfe unterstützte ihn, das Team | |
Hamburg, der Verein, dazu noch der ein oder andere Sponsor. „Aber für den | |
Aufwand, den man betreibt ..., und im Vergleich zu anderen Sportarten, gibt | |
es kein Geld zu verdienen. Anerkennung gibt es auch nicht. Mich kennt in | |
Hamburg keine Sau. Man wird nicht berühmt und nicht reich, und man muss | |
tierisch viel trainieren“, sagt Deibler. | |
Nach dem Weltrekord in Doha gab es nicht nur Bewunderung, sondern auch | |
Zweifel. Schnell wurde getuschelt, ob da nicht Doping im Spiel gewesen ist. | |
„Es gibt bestimmt ein paar, die das denken. Das ist natürlich ein bisschen | |
schade. Ich hatte als sauberer Athlet aber eine Chance und das habe ich | |
gezeigt“, sagt er. Hätte er nicht aufgehört, würde er sich nun auf die WM | |
im russischen Kazan vorbereiten, die vom 25. Juli bis zum 9. August | |
stattfindet. So wie es sein älterer Bruder Steffen, der deutsche Schwimmer | |
des Jahres 2010, es gerade macht. | |
Genauso wäre es auch bei Silke Lippok, wenn sie ihre Karriere nicht beendet | |
hätte. Die gebürtige Pforzheimerin lebt seit Oktober 2012 in Hamburg. Sie | |
hat 2010 und 2012 EM-Silber über 200 Meter Freistil geholt und zweimal | |
EM-Gold mit der 4 x 100 Meter-Freistil-Staffel. Lippock beendete vier | |
Monate nach Markus Deibler ihre Profikarriere – im Alter von nur 21 Jahren. | |
Sie konzentriert sich jetzt ganz auf ihr Psychologiestudium an der | |
Hamburger Universität. „Ich habe nichts bereut, die Entscheidung war total | |
richtig. Es war einfach nicht mehr ganz das, was ich möchte“, sagt sie. | |
Kurz nach ihrem Umzug nach Hamburg erlitt sie einen Kreuzbandriss. Nach | |
ihrer Genesung wurde sie mehrmals von Infektionskrankheiten zurückgeworfen. | |
Irgendwann zog sie einen Schlussstrich: „Ich habe viele schöne Momente | |
erleben dürfen, es gab Erfolge und auch Misserfolge. Das sind wichtige | |
Erfahrungen. Ich habe etwas aus eigener Kraft erreicht“, sagt sie. Nun eben | |
das Studentenleben, ohne das enge Trainingskorsett. Statt Sporthilfe | |
Kellnern in einem Restaurant. „Man hat aber mehr Zeit für sich, für das | |
Studium. Und ich kellnere, weil ich Bock darauf habe“, sagt Lippok über ihr | |
neues Leben nach der Sportlerkarriere. | |
Ingrid Unkelbach, die Leiterin des Olympia-Stützpunktes Hamburg, bedauert | |
die Rücktritte der beiden Schwimmer. „Markus ist klar und konsequent. Er | |
ist der Wettkampftyp. Sein Bruder Steffen zieht eine Befriedigung daraus, | |
dass er sich im Training verbessert. Da ist Markus anders“, sagt sie. „Und | |
bei Silke ist es so, dass ihr Körper den Belastungen Tribut zollen musste | |
und sie deswegen ihre Laufbahn beendete.“ Das sei schade, aber so sei das | |
Leben. „Es kommen andere junge Schwimmer, Maxine Wolters etwa oder Jacob | |
Heidtmann“, sagt Unkelbach. | |
Markus Deibler denkt nun seit einem halben Jahr an ganz andere Dinge. An | |
das Auskratzen von Vanilleschoten etwa, den Kauf von Mangos zur Herstellung | |
des Eises oder das Kreieren neuer Sorten wie Zitrone-Basilikum. „Wir machen | |
alles selbst von Hand, das sind alte Maschinen hier. Wir verkaufen jetzt | |
auch an Cafés, die kein Kugeleis haben. Das ist unser Baby hier. Es macht | |
Spaß, es wachsen zu sehen“, sagt er. Der Slogan des Eiscafés lautet: „Eine | |
Kugel Lebensfreude.“ | |
19 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Görtzen | |
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Kasan | |
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