# taz.de -- Erinnerungskultur in Russland: Skandal um Kriegsdenkmal | |
> Dumm gelaufen: Vaterlandsverteidiger in Tobolsk ist ein deutscher Soldat | |
> und trägt einen Helm der Wehrmacht. Nun wurde die Skulptur abmontiert. | |
Bild: Die Idylle in Tobolsk wurde durch die Skulptur kurzzeitig gestört. | |
MOSKAU taz | Die Abgeordneten der Kreml-Partei Einiges Russland aus dem | |
westsibirischen Tobolsk, Wladimir Maier und Nikolai Baryschnikow, wollten | |
Gutes tun. Zum Tag des „Gedenkens und der Trauer“ stifteten sie der Stadt | |
einen dem „ewigen Gedenken der Vaterlandsverteidiger“ gewidmeten Obelisken. | |
Russland begeht diesen Tag am 22. Juni, der den Angriff Nazideutschlands | |
auf die Sowjetunion 1941 markierte. | |
Erst Tage nach der Einweihungsfeier offenbarte sich der Skandal. Weder | |
Auftraggebern, Designern noch der Steinmetzfirma war es aufgefallen, und | |
selbst bei der Einweihung hatte niemand etwas bemerkt: Der | |
Vaterlandsverteidiger trug nicht den topfähnlichen sowjetischen Stahlhelm | |
der Roten Armee, sondern einen Helm der deutschen Wehrmacht, wenn auch ohne | |
Hoheitsabzeichen. | |
Der Kopf unter dem Helm gehörte einem Landser, den die Wehrmacht Ende der | |
dreißiger Jahre als „idealen deutschen Soldaten“ dargestellt hatte. Sein | |
martialisches Porträt erschien zunächst im „Berliner Tageblatt“ und spät… | |
auf Plakaten. Werner Goldberg hieß dieser „ideale Germane“. Doch schon die | |
Nazis waren unaufmerksam gewesen. Laut nazistischer Rassenlehre hätte der | |
Sohn eines jüdischen Vaters nach Verschärfung der Rassengesetze als | |
„Mischling“ gelten müssen. 1940 entließ die Wehrmacht Goldberg deshalb | |
unehrenhaft. | |
Das Tobolsker Denkmal wurde diese Woche überstürzt umgestaltet. Heraus kam | |
ein „Verteidiger“, der nun den richtigen Stahlhelm trägt. Seine | |
überarbeiteten Gesichtszüge verwiesen jedoch auf eine | |
„mongolisch-chinesisch-asiatische“ Herkunft, erregten sich Einheimische in | |
den sozialen Netzwerken. „Aus Fritz wurde ein Chinese“, titelte ein | |
Lokalblatt. | |
## „Kein Mensch, kein Problem“ | |
„Fritz“ ist der russische Sammelbegriff für alle Deutschen. Der | |
Stadtpräsident setzte inzwischen eine Untersuchungskommission ein, die der | |
Entstehungsgeschichte des Geschenks nachgehen soll. Doch damit nicht genug. | |
Nach einem weiteren nächtlichen Eingriff verschwand auch der asiatische | |
Kopf von der Stele. Dort erinnert nun die Gravur des populären | |
Sankt-Georgs-Bandes an den Großen Vaterländischen Krieg. Es symbolisiert | |
neben militärischer Tapferkeit in den letzten Jahren auch den Stolz über | |
den Sieg über Hitlerdeutschland. „Kein Mensch, kein Problem“, hätte | |
Diktator Stalin wohl dazu gesagt. | |
Die Designerin, die die Verwechslung zu verantworten hatte, zeigte sich | |
unterdessen geständig. Stress sei der Grund gewesen; doch woher solle sie | |
auch wissen, wie ein deutscher Stahlhelm aussieht...meinte sie. Das hätte | |
sie lieber nicht sagen sollen. Offensichtlich schaut sie kein staatliches | |
Fernsehen mehr, wo Fritz zu den Dauerdarstellern gehört. | |
Jetzt, so scherzten Beobachter, könnte Uniformkunde seit Iwan dem | |
Schrecklichen oder gar dem Heiligen Wladimir noch zu einem schulischen | |
Pflichtfach werden. Patriotische Erziehung und permanente chauvinistische | |
Berieselung in den letzten Jahren haben sich als nicht nachhaltig erwiesen. | |
10 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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