Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Radeln mit Schläger und Tunnelblick: „Wir nennen es Hipster-Hock…
> Einst olympische Disziplin, heute rauer Straßensport: Bikepolo erobert
> die Metropolen. In Hamburg trainieren die Spieler mit Bier.
Bild: Ohne Pferdeäpfel und Elite: Bikepolo-Spieler kämpfen auf Fahrrädern um…
Hamburg taz | Andy schnallt die Knieschoner noch ein wenig fester ums Bein.
„Legen wir los?“, fragt er in die Runde. Ein letzter prüfender Blick aufs
Fahrrad, dann rasen sechs junge Männer durch die Radarena Stellingen. Die
linke Hand umfasst den Lenker, die Rechte den Schläger, Tunnelblick. Ziel
ist der kleine Hockeyball in der Mitte. Der soll ins gegnerische Tor. Das
Spiel ist schnell, allein das Zuschauen erfordert Konzentration. Reifen
quietschen, Räder blockieren, Schläger klacken gegeneinander. Aus einer
Musikanlage neben dem Spielfeld dröhnt Hip-Hop. So schnell wie es begann,
ist das Bikepolo-Spiel wieder vorbei, nach einer Viertelstunde ertönt der
Abpfiff.
Polo? Das erinnert an adlige Reiter auf edlen Pferden, Tradition und den
Hauch des Exklusiven. Auch Bikepolo ist kein Breitensport, die Szene in
Deutschland ist überschaubar. Mit Gutsherren-Dünkel hat die
Radsportvariante nichts zu tun. Im Gegenteil: Wenn klassisches Polo ein
Elitesport ist, dann ist Bikepolo so etwas wie dessen Antithese.
Auf Etikette legen die Spieler vom Verein „Bikepolo Hamburg“ jedenfalls
keinen Wert. Vor dem Training wird erst einmal ein Sechserpack Bier
ausgeteilt und geklönt, während einige Spieler noch an ihren Fahrrädern
schrauben, die mit bunten Stickern beklebt sind. Bikepolo sei dem Hockey
ohnehin viel näher als dem Pferdesport, findet Andy, der seit vier Jahren
beim Verein dabei ist. „'Hipster-Hockey‘ nennen wir‘s auch“, sagt er und
schmunzelt. Ein Seitenhieb auf das trendige Image des Sports: Bikepolo gilt
als szenig und alternativ, Tattoos und Bärte als Grundausstattung der
Spieler.
Andy gibt nicht viel auf Stereotype. Für ihn steht der Spaß im Vordergrund.
„Wir sind offen für alle. Hier spielen Ärzte, Studenten, Schauspieler
zusammen“, sagt er. „Wichtig ist uns nur Fair Play und Respekt im Umgang.“
15 aktive Mitglieder zählt der Verein, eine Trennung nach Alter oder
Geschlecht gibt es nicht. 20-Jährige spielen gegen 50-Jährige, auch zwei
Frauen sind in den Hamburger Teams vertreten.
Die Regeln beim Bikepolo variieren je nach Region, das Grundprinzip ist
schnell erklärt: Zwei Teams mit je drei Spielern treten gegeneinander an,
die Tore sind etwa eine Fahrradlänge breit. Gewonnen hat, wer zuerst fünf
Tore schießt oder nach Ablauf der Zeit, meist 15 Minuten, führt. Wenn
Spieler stürzen oder ineinander krachen, sieht der Sport zuweilen brutal
aus: Doch wer hier wen berühren darf, wird im Regelset klar definiert.
Körper gegen Körper, Rad an Rad, Schläger gegen Schläger ist erlaubt. Dem
Gegner den Schläger zwischen die Speichen zu schieben, ist verboten.
## Schläger zwischen die Speichen ist verboten
Seit 2009 wird in Hamburg Bikepolo gespielt. Anfangs seien sie zwei, drei
Leute gewesen, die sich da auf leeren Parkplätzen irgendwo in der Stadt
trafen, erzählt Andy. Meist spontan, immer informell. Wichtig sei eine
trockene und ebene Fläche, viel Equipment brauche man fürs Spiel nicht.
Einen Streethockeyball, ein Rad und Schläger. Die können zur Not selbst
zusammengeschustert werden, aus Skistöcken oder Rohren, alles eine Frage
der Improvisation. Diese „Do It Yourself“-Mentalität prägt den Hamburger
Verein noch immer, auch wenn die Spieler heute mit speziell angefertigten
Schlägern in der Arena stehen. Trikots werden selbst designt, wer kein
passendes Rad mitbringt, bekommt eines vom Verein gestellt – die meisten
fahren Mountainbike.
Die Hamburger sind wie viele Bikepolo-Fans durch Internetvideos aus den USA
auf den Sport aufmerksam geworden. Der Legende nach sollen Fahrradkuriere
aus Seattle das Spiel Anfang der 2000er erfunden haben, um sich in
Arbeitspausen die Zeit zu vertreiben. „Das sah einfach wild aus, diese
Kombination aus Ballsport und Radfahren“, sagt Andy.
Dabei reicht die Tradition des Nischensports sehr viel weiter zurück: Ende
des 19. Jahrhunderts wurde das erste Match in Irland ausgetragen, 1908 war
Radpolo olympische Disziplin, geriet dann aber in Vergessenheit. Heute wird
Bikepolo in über 30 Ländern gespielt und findet vor allem in urbanen Räumen
viele Anhänger. Seit 2009 werden Weltmeisterschaften ausgetragen, zur WM
2010 kamen hunderte Teams aus der ganzen Welt nach Berlin.
Die Parkplatzära ist in Hamburg vorbei. Zweimal die Woche trainieren die
Teams – im Sommer auf einem Sportplatz in Halstenbek, im Winter und bei
Regen in der Radarena. Mal kommen mehr, mal weniger Spieler dazu. „Das
variiert, je nach Bierlaune“, erklärt Daniel, der neben dem Sport als
Flugzeugbauer arbeitet. „Wir sind ja keine Profis und nebenher berufstätig,
das sehen wir nicht so eng.“ Leistungsdruck und Vereinsmeierei sind den
Bikepolo-Spielern fremd.
Zur Vereinsgründung wurde ein Vorstand gewählt, ansonsten verzichtet man
auf Hierarchien. Dass kein großer Dachverband über dem Verein steht, finden
die Jungs gut. „Da schreibt uns keiner vor, wie wir zu spielen haben“, sagt
Andy. Die Spieler kommunizieren über WhatsApp oder Facebook. Die
Finanzierung trägt der Verein bisher allein durch Mitgliedsbeiträge.
Sponsoring wird trotzdem nicht kategorisch ausgeschlossen: „Aber zu
Werbeträgern für irgendwelche Konzerne lassen wir uns nicht machen, das
muss schon zu uns passen“, sagt Andy. „Das ist hier non-commercial Polo –
und das soll es auch bleiben.“
29 Jun 2015
## AUTOREN
Annika Lasarzik
## TAGS
Hipster
Hockey
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Wassersport
ARD
Joseph Blatter
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunstradfahrerin Viola Brand: Sich aus der Nische strampeln
Viola Brand ist Kunstradfahrerin. Um sich und ihren Sport bekannt zu
machen, radelt sie ungewöhnliche Wege – und lässt sich dabei filmen.
Kanupolo auf dem Maschsee: Mehr Unkraut als Lorbeer
Bei Kanupolo-Duellen kollidieren ständig Boote, Kentern gehört dazu. Ein
Sport mit viel Action – nur die Zuschauer fehlen.
Radsport in Deutschland: Renaissance der Berufsradler
Nach dem Neustart wollen nun alle bei der Tour de France dabei sein: zwei
Profirennställe, das Fernsehen und die deutschen Städte.
Torlinientechnik auch bei der EM 2016?: Während der WM ist vor der Wahl
Fifa-Chef Blatter kündigt an, die Torlinientechnik solle auch bei der EM
2016 in Frankreich zum Einsatz kommen. Das habe ihm Uefa-Boss Platini
erzählt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.