# taz.de -- Kolumne Macht: Mächtige, die sich machtlos geben | |
> Seit Wochen belagern pöbelnde Demonstranten ein Flüchtlingsheim im | |
> sächsischen Freital – und Politiker begegnen ihnen mit Nachsicht. | |
Bild: Protest vor der Flüchtlingsunterkunft in Freital. | |
In einem Nachrichtensender wurde behauptet, Ministerpräsident Stanislaw | |
Tillich habe bei seinem Besuch des Flüchtlingsheims in Freital, das seit | |
Tagen von pöbelnden Demonstranten belagert wird, „beide Seiten zu Toleranz“ | |
aufgerufen. Die seltsame Meldung – wem gegenüber und wie sollen sich die | |
Flüchtlinge tolerant verhalten? – wurde nicht wiederholt und findet sich | |
auch in keiner anderen Quelle. | |
Es steht also zu hoffen, dass Tillich diese blödsinnige Forderung gar nicht | |
erhoben hat, sondern dass es sich um die Worthülse eines Korrespondenten | |
handelte. Ein Zufall wäre das nicht. | |
Wieder einmal – wie erst vor einigen Monaten in Tröglitz – wird so getan, | |
als stünden sich bei den Auseinandersetzungen gleichberechtigte Partner | |
gegenüber und es ginge vor allem darum, zwischen zwar entgegengesetzten, | |
aber jeweils durchaus berechtigten Interessen einen Kompromiss zu finden. | |
Stanislaw Tillich erklärte, und das ist nun allerdings verbürgt, | |
„Drohungen, Hetze und Gewalt gegen Bürgermeister und Landräte“ seien | |
„völlig inakzeptabel“. | |
Damit hat er recht. Nett wäre gewesen, er hätte auch Drohungen, Hetze und | |
Gewalt gegenüber Flüchtlingen für inakzeptabel erklärt. Zu denen fielen ihm | |
andere Worte ein. Er betonte, dass diejenigen, denen die Voraussetzungen | |
für einen dauerhaften Aufenthalt hierzulande fehlten, möglichst schnell | |
wieder abgeschoben werden müssten. | |
## Signal und Mahnung | |
Da ist es wieder: das Signal, dass Misstrauen gegen Flüchtlinge irgendwie | |
und überhaupt berechtigt ist. Natürlich wird dieses Signal stets verbunden | |
mit der Mahnung an die Demonstranten, sich an das Gesetz zu halten. Aber | |
man lässt eben zugleich durchblicken, dass sich die „Gegenseite“ – also | |
Leute, die vor Gewalt, Krieg und Not geflohen sind – ja angeblich auch | |
nicht daran hält. | |
In Tröglitz war in einem als Unterkunft für Asylbewerber vorgesehenen | |
Gebäude Feuer gelegt worden. In einer MDR-Chronologie steht im Vorspann: | |
„In Tröglitz stoßen Machtlosigkeit der Politik und Angst der Bürger | |
aufeinander.“ Nein. Das ist einfach nicht wahr. In Tröglitz stießen | |
Kriminelle und Politiker, die sich als machtlos darstellten, aufeinander. | |
Es ist erstaunlich. Ausgerechnet jene Teile des politischen Spektrums, die | |
bei anderen Gelegenheiten gerne eine „Null-Toleranz-Haltung“ gegenüber | |
Gesetzesbrüchen propagieren, zeigen sich milde und nachsichtig, wenn es um | |
Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte geht. | |
In Freital sind bisher keine Gesetze gebrochen worden. Schließlich ist es | |
ja erlaubt, in unmittelbarer Umgebung solcher Häuser beleidigende Parolen | |
zu brüllen. Wofür gibt es eigentlich den Strafparagrafen zu | |
Volksverhetzung? In der Berichterstattung wird darauf hingewiesen, dass | |
„linke“ Gegendemonstranten sich „organisiert“ hätten und von weit her | |
angereist seien. Das klingt anrüchig. Aber die meisten Gegendemonstranten | |
wären vermutlich begeistert, wenn die Freitaler sich den Neonazis allein in | |
den Weg stellen könnten. Schade, dass das offenbar nicht der Fall ist. | |
Was eben auch daran liegen mag, dass dumpfe Fremdenfeindlichkeit auf so | |
viel Verständnis stößt. Ich warte nur darauf, dass Demonstranten vor | |
Asylbewerberheimen dafür gedankt wird, dass sie auf ein „Problem | |
aufmerksam“ gemacht haben. Lange kann das nicht mehr dauern. | |
28 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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