# taz.de -- Die Wahrheit: Dosenschießen auf Fehmarn | |
> Verbringt man einen beruflichen Insel-Aufenthalt, wird man von oben bis | |
> unten mit reichlich Nostalgiesoße vollgekleckert. | |
Wenn ein Dichter sich fürs Animationsprogramm eines Campingplatzes buchen | |
lässt, dann heißt das nicht unbedingt, dass er es geschafft hat. Dann | |
könnte das auch bedeuten, dass er für ein paar Mücken bereit ist, durch | |
jeden verdammten Reifen zu springen. Dieser hier brannte lichterloh. | |
Ich fuhr nach Fehmarn, dem Camper-Paradies, und war von oben bis unten | |
vollgekleckert mit Nostalgiesoße. Ich hatte dort vor über dreißig Jahren | |
gelernt, wie man eine Bierdose schießt. Nämlich so: Man schlitzt mit einem | |
Schweizer Armeemesser ein zweites Loch in den unteren Rand, führt den | |
künstlichen Ausgang zum Mund, zieht gleichzeitig den Verschluss und lässt | |
laufen. Druckbetankung. | |
Es war ein Brauch der hiesigen Insulaner in den frühen Achtzigern, um noch | |
schneller noch besoffener zu werden. Sie dürften gewusst haben, warum ihnen | |
so viel daran lag. | |
Als ich die Fehmarnsundbrücke passierte, seufzte ich tief. Die zwei | |
beschlagenen Astra-Dosen auf dem Beifahrersitz glänzten im Licht der | |
tiefstehenden Sonne. Die Rezeptionistin, der ich mich als die kulturelle | |
Attraktion des heutigen Abends vorstellte, teilte meinen emotionalen | |
Überschwang nicht. Sie griff achselzuckend zum Hörer und rief ihren Chef | |
an. „Der Herr von der Lesung ist da!“ | |
Nicht mal meinen Namen konnte oder wollte sie sich merken. Es klang nach | |
„Der Herr von der Drückerkolonne!“. Und bei ihrem Gegenüber schien es | |
genauso anzukommen. Trotz des Abstands konnte ich das Geschrei hören. „Na | |
und? Willste’n Fleißkärtchen? Schick einen von den Animateuren vorbei, ich | |
habe für so was keine Zeit.“ Jetzt war ich schon „so was“. Das passiert, | |
wenn man bei Preisverhandlungen zu schnell einknickt. Man ist nicht nur der | |
billige Jakob, man wird auch so behandelt. | |
Die kleine Wartezeit an der Rezeption gab mir dann noch weitere | |
Gelegenheit, meinen Vorrat an Menschenhass aufzufüllen. Bis oben hin und | |
noch ein bisschen darüber hinaus. Ich stand hier keine zehn Minuten und sah | |
in der kurzen Zeit ein halbes Dutzend Männer in Funktionsbekleidung mit | |
leicht erregtem Timbre auf die drei Damen am Tresen einjölen. | |
Alle, ausnahmslos alle, bezahlten einen Euro fünfzig, bisweilen auch schon | |
mal zwei, zwanzig zu viel für Wasser, Strom, einen Platz an der Sonne oder | |
was weiß ich. Und immer hatte „im Internet“ was ganz anderes gestanden. | |
Aber alle, ausnahmslos alle, kniffen am Ende den Schwanz ein, weil das | |
Empfangstrio besser lesen konnte als sie. Die Kerle waren nicht nur | |
erbärmliche Raffkes, sie waren auch noch dusselig dazu. Die tödlichste | |
Kombipackung. | |
Aber dann kamen die beiden Animierherren im apfelsinenfarbenen Dress und | |
zeigten mir die Bühne. „Was brauchst du?“ – „Nichts!“ – „Gut.“… | |
verstanden uns auf Anhieb. Sie bekamen den gleichen Hungerlohn wie ich, das | |
schweißt zusammen, das schafft Klassenbewusstsein. Um die restliche Zeit | |
vor der Show sinnvoll zu gestalten, folgte ich den Wegweisern zum Strand, | |
packte mein Schweizer Armeemesser aus und die mittlerweile lauwarmen | |
Bierdosen. Es ging dann alles sehr schnell. | |
17 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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