# taz.de -- Die Medien und der G-7-Gipfel: Josef K. im Hubschrauber | |
> In Elmau waren Journalisten der Macht sehr nahe. Zu nahe? Über Symbole, | |
> Lebkuchenherzen, Bilder und andere Inszenierungen. | |
Bild: Inszenierung des Menschlichen statt des Mächtigen: Merkel und Obama. | |
BERLIN/GARMISCH-PARTENKIRCHEN taz | „Also, ich finde Hubschrauber geil“, | |
sagt eine Reporterkollegin. Sie ist viel herumgekommen und sie neigt sonst | |
weder zu schlichter Sprache noch zu Technikbegeisterung. „Und wenn uns | |
Journalisten das so geht, geht es dann den normalen Menschen anders?“ Eine | |
gute Frage. | |
Die Sache mit den Hubschraubern war ja nur eines von vielen Details, die | |
ein ungutes Gefühl zurückließen bei diesem G-7-Gipfel. Wenn sich sieben | |
Staatschefs treffen, um Fragen der Menschheitsgeschichte zu besprechen, | |
produziert das immer einen immensen Aufwand. | |
Doch die Perfektion, die die zwei Tage rund um Schloss Elmau in Oberbayern | |
beherrschte, mutete geradezu unheimlich an. Nichts störte, alles war | |
vollkommen. Die romantische Alpenkulisse, die lederbehosten Bayern, der | |
blaue Himmel – selbst die Demonstranten lieferten den Fernsehkameras | |
hochwillkommene Bilder eines meist friedlichen Protests. | |
Die Weltpresse in Gestalt von 3.000 Journalisten war gekommen. Und die | |
Bundesregierung und das Land Bayern taten als Gastgeber alles, um sie | |
maximal zu beeindrucken. Ein gigantischer Werbespot sollte es werden, für | |
Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel. Die Charmeoffensive begann mit | |
zwei gut gelaunten Dirndl-Mädchen, die Journalisten am Flughafen | |
Lebkuchenherzen umhängten, und sie erreichte mit dem Lufttransport | |
unbestritten einen Höhepunkt. | |
Angesichts dieses Aufwands ist es vielleicht angebracht, sich selbst | |
kritisch zu befragen. Wie objektiv lässt sich über eine solche Inszenierung | |
überhaupt berichten? Was macht sie mit Journalisten? Wo bleibt sie, die | |
Distanz, wenn man komplett umsorgt wird? | |
## Berghänge, Wälder, Seen | |
Ein sonniger Morgen, sehr früh: Wie ein riesiger Flugsaurier lässt sich der | |
Transporthubschrauber der Bundeswehr auf der gemähten Wiese nieder. Ein | |
Soldat weist die Journalisten ein, die geduckt in die Öffnung am Heck | |
laufen. Der Rotor dröhnt, der Wind peitscht, Topgun-Feeling in | |
Garmisch-Partenkirchen, glücklich die, die die empfohlenen Ohrenstöpsel | |
mitgenommen haben. Spätestens, als der Soldat während des Fluges die | |
Heckklappe öffnet, halten alle ihr Smartphone in der Hand. | |
Tief unter uns Berghänge, Wälder, Seen. Selten hat man KollegInnen, die | |
sich qua Jobbeschreibung dem Zweifel verpflichtet fühlen, so kindlich | |
begeistert gesehen. Ein Blogger wird später eine Sammlung der | |
selbstverständlich in Echtzeit getwitterten Fotos und Selfies ins Netz | |
stellen, [1][garniert mit einer süffisanten Einleitung.] | |
Seine Kritik der Distanzlosigkeit des Moments ist durchaus berechtigt. Ich | |
gestehe: Ja, ich fand die Flüge klasse. Wann hat man schonmal eine solche | |
Gelegenheit, Journalisten sind schließlich auch nur Menschen. Und ja, ich | |
weiß, dass es natürlich ökologischer und ökonomischer Wahnsinn ist, mit | |
Hubschraubern tagelang eine Art Busservice zu organisisieren. Aber lasse | |
ich mich von solchen Privilegien beeinflussen, gar zu positiver | |
Berichterstattung verleiten? | |
Natürlich nicht. Das würde wohl jeder an dieser Stelle von sich behaupten. | |
Aber stimmt das? Gut gemachte Beeinflussung zeichnet sich ja gerade dadurch | |
aus, dass sie subtil wirkt wie süßes Gift. | |
## Alles mehrfach gefiltert | |
Dieser Gipfel hüllte die Journalisten in eine kuschelige Wohlfühl-Blase. | |
Wer über den offiziellen Teil des Gipfels berichtete, also sich nicht mit | |
Demonstranten durchs Dickicht schlug, der brauchte das Pressezentrum, ein | |
hergerichtetes Eisstadion, nicht zu verlassen. Außer, um zu | |
Pressekonferenzen auf Schloss Elmau zu fliegen, das ein paar Kilometer | |
entfernt liegt. | |
Alles da, alles einfach, alles toll. Es gab Geschenke, | |
G7-Gipfel-Schlüsselanhänger, G7-Gipfel-Kugelschreiber, einen Rucksack samt | |
Gipfellogo und bayerischem Wappen. Es gab ein sagenhaftes Buffet im | |
Cateringzelt, das von morgens bis abends Schweinebraten, Knödel und frische | |
Salate anbot. Es gab einen stylischen Entspannungsraum mit einer | |
Cocktailbar, Sitzsäcken, Tischfußball und Großbildschirmen. Vor denen | |
dösten die abgefütterte Gipfeljournalisten vor aufregenden Gipfelberichten | |
ein, [2][merkte ein Kollege des britischen Guardian trocken an.] | |
Die Inhalte, wegen denen alle hier sind, bekommen die Journalisten nur | |
mehrfach gefiltert präsentiert. Die Staatschefs zeigen sich nur bei | |
Fototerminen. Erst ganz am Ende, als alles vorbei ist, dürfen Journalisten | |
Merkel, Barack Obama und den anderen Staatschefs ein paar Fragen stellen. | |
Vorher gibt es offizielle Pressemitteilungen und Briefings durch Delegierte | |
aus den Verhandlungsteams, die sich netterweise ab und zu sehen lassen und | |
nur das erzählen, was sie dürfen. | |
Eine riesige Maschine surrt perfekt geölt vor sich hin. Außen glänzt der | |
Lack und innen wissen selbst Rädchen, die sich mitdrehen, nicht, was | |
eigentlich vor sich geht. Manchmal können die netten Presseattaches des | |
Bundespresseamtes einfache Dinge nicht sagen, etwa ob, wie oder wann der | |
Shuttlebus jetzt eigentlich fährt. Dann hat sich bei den Mächtigen wieder | |
irgendetwas verschoben. | |
## Die Nähe zur Macht | |
Die Maschine trifft ihre Entscheidungen im Verborgenen. Sie lädt ein oder | |
aus, sie informiert oder nicht, und am Ende produziert sie Inhalte, die per | |
Eilmeldung verbreitet werden, deren Zustandekommen aber niemand | |
nachvollziehen kann. Das hat etwas Kafkaeskes. So, wie der Bankprokurist | |
Josef K. vergeblich versucht, die Gründe für seine Anklage durch einen | |
unsichtbaren Apparat zu recherchieren, so hilflos kommt man sich beim | |
G-7-Gipfel manchmal als Journalist vor. Man dringt nicht durch. Der | |
G-7-Gipfel bleibt im Innersten eine Blackbox. | |
Journalisten mussten sich für dieses Erlebnis mehrfach akkreditieren, was | |
nicht nur bedeutet, dass sie von Sicherheitsbehörden durchleuchtet wurden. | |
Der Zugang zu Beobachtungen vor Ort ist exklusiv und hierarchisiert. Es | |
gibt die Basisakkreditierung, mit der Journalisten ins Pressecenter kommen. | |
Es gibt Zusatzakkreditierungen für Termine auf Schloss Elmau, etwa für das | |
Abschlussbriefing der Bundeskanzlerin. Und es gibt heiß begehrte | |
Sonderakkreditierungen, etwa für eine „Bürgerbegegnung“ von Merkel und | |
Obama in Krün. | |
Als die taz einen Ausweis für diesen exklusiven Termin ergatterte, habe ich | |
mich gefreut, auch das muss ich einräumen. So funktioniert wahrscheinlich | |
embedded journalism. Wenn man das Gefühl hat, rare, für andere nicht | |
zugängliche Informationen zu bekommen, produziert das Dankbarkeit, | |
zumindest unterbewusst. | |
Mit Kollegen dieser Zeitung diskutieren wir abends in der Ferienwohnung, ob | |
der Rucksack schon in die Kategorie Bestechung fällt (mehrheitliches | |
Stimmungsbild: nein. Gründe: nicht wirklich wertvoll, eher skuriles | |
Andenken). Uns fällt auf, dass die beiden Kollegen, die über Obama und | |
Merkel berichten, fasziniert von der offiziellen Show erzählen. Irgendwie | |
wirken die Hubschrauber also doch, die Nähe zur Macht kitzelt das Ego. | |
Natürlich versuchen Journalisten in diese Inszenierung hineinzupieksen wie | |
in eine glitschige Weißwurstpelle. Merkel hätte man beim Fototermin einen | |
Gewitterschauer gewünscht, einfach, damit mal etwas Unvorhergesehens | |
passiert. Jede deutsche Qualitätszeitung schilderte feinsinnig das | |
Kulissenhafte des Events, leuchtete Hintergründe aus und philosphierte über | |
die Motive Merkels und der anderen Staatschefs. Aber diese Berichte sind | |
nicht das, was hängenbleiben wird – schließlich werden sie nur von einer | |
politisch interessierten Minderheit gelesen. | |
## Das Gipfelfoto | |
Womit wir bei Bildern wären, dem eigentlich Wichtigen. Jede Bildsprache hat | |
bekanntlich ihre Zeit. Feudalistische Herrscher präsentierten sich ihrem | |
Hofmaler mit den Insignien der Macht, mit Königskrone, Zepter und | |
pelzbesetztem Umhang, der kühle Blick von oben herab. Mächtige Demokraten | |
der Moderne inszenieren sich nicht minder, wie das Gipfelfoto zeigt, dass | |
am Dienstag fast alle überregionalen Zeitungen prominent druckten, von der | |
Bild über die Süddeutsche bis zur Frankfurter Allgemeinen. | |
Von hinten ist Obama zu sehen. Er sitzt im saftigen Almengrün auf einer | |
Holzbank, beide Arme lässig auf die Lehne gelegt. Vor ihm steht Merkel, sie | |
hat die Arme ausgebreitet, als stelle sie ihm eine Frage. Wir sind ganz | |
entspannt und vertraut miteinander, flüstert das Bild. Wir fragen, statt zu | |
befehlen. Wir suchen offen nach Lösungen. | |
Die politischen Ikonen der Moderne geben sich ganz „down to earth“, aber | |
auch ihre Inszenierung dient selbstverständlich der Reproduktion und somit | |
dem Erhalt ihrer Macht. Von den Gipfelfotos wird Merkel, deren Innenpolitik | |
ja seltsam ideenlos ist, noch lange zehren. | |
Was folgt daraus? Statt dieses Gipfels hätte die Bundesregierung die | |
TV-Filme, die Fotos und die Mitteilungen einfach per E-Mail verschicken | |
können, folgert der Guardian. Denn der Gipfel sei nichts anderes als eine | |
einzige, gigantische Pressemitteilung gewesen. „No one needs to be here. I | |
don‘t need to be here.“ | |
Ich sehe das anders. Wir, die Journalisten, müssen über Inszenierungen wie | |
diese berichten, weil sie demokratisch gewählte Volksvertreter in ihrem | |
Sinne organisieren. Wir müssen dabei sein, um Inszenierungen als solche | |
begreifen und beschreiben zu können. Und wir müssen alles dafür tun, dass | |
die Inszenierung nicht gewinnt. | |
9 Jun 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.metronaut.de/2015/06/wenn-journalisten-mit-dem-hubschrauber-flie… | |
[2] http://www.theguardian.com/world/2015/jun/08/g7-media-centre-german-sausage… | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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