# taz.de -- Festival „The Power of Powerlessness“: Sternbild der Machtlosig… | |
> Depressive Künstler, Drogenmissbrauch, Foucault: Das Berliner Hebbel am | |
> Ufer widmet sich aktuellen Diskursen zu Macht und Ohnmacht. | |
Bild: Versuch über die Machtlosigkeit: Teilnehmer beim Errichten eines „Inve… | |
Whitney Houston lag am 11. Februar 2012 tot in der Badewanne eines | |
Hotelzimmers in Beverly Hills. Ein Cocktail aus Kokain, Medikamenten wie | |
dem Angstlöser Xanax und Alkohol soll schuld gewesen sein. Overdosed. Im | |
gleichen Winter nahm auch der US-amerikanische Performance-Künstler Zachary | |
Oberzan eine Überdosis Xanax, auch er lag bewusstlos in einem Hotelzimmer, | |
ebenfalls an der Westküste. Er überlebte. | |
Die Koinzidenz dieser beiden Vorfälle hat Oberzan zum Ausgangspunkt für | |
seine Performance „Tell me love is real“ genommen. Am vergangenen Freitag | |
war sie im Rahmen des Festivals „The Power of Powerlessness“ in Berlin zu | |
sehen. Mit dem Festival widmet sich das Hebbel am Ufer (HAU) noch bis zum | |
25. Juni verschiedenen aktuellen Diskursen zum Thema Macht und Ohnmacht – | |
ausgehend von der These, dass sich die Art und Weise, wie Macht ausgeübt | |
wird, grundlegend verändert hat, da unser heutiger Alltag von | |
Kontrollsystemen durchzogen sei. | |
Schon in der von Oberzan skizzierten Situation aber wird klar, welch | |
unterschiedliche Konnotationen der Macht- und der Ohnmachtbegriff haben | |
können. Ist die Macht über den eigenen Körper die letzte, die uns bleibt? | |
Ist der Wunsch, das eigene Leben zu beenden, ein Akt der Macht oder der | |
Ohnmacht – oder beides? Welche Macht haben Substanzen? Was bedeutet das für | |
den Begriff von Macht? | |
Oberzan, ein straßenköterblonder und akkurat gescheitelter Typ, 41 Jahre | |
alt, trägt an diesem Abend viel auf den Knien vor. Der Raum im HAU 3 ist | |
spartanisch eingerichtet – nur eine Leinwand, ein quaderartiges Podest und | |
eine Gitarre, auf der Oberzan zwischenzeitlich spielt. | |
## Ein niederkniender Trip durch die Populärkultur der USA | |
Zwischendurch spricht über seine Faszination für Martial Arts, über | |
Schockbehandlung bei Depressionen, die er selbst auch hat, über Paul Simon | |
und Whitney Houston und Jean Claude Van Damme. Ein Trip durch die | |
US-amerikanische Populärkultur, niederkniend vorgetragen. Eine Geste der | |
Unterwerfung, das Sinnbild für Unterlegenheit und Machtlosigkeit. | |
Oberzan beschäftigt sich in Videos – zu Beginn zeigt er Aufnahmen, in denen | |
er selbst Houston im Hotelzimmer spielt –, Liedermacher-Songs und in | |
essayartigen Vorträgen mit der Macht des Unbewussten, mit der Macht der | |
Gedanken, auch mit der Macht des Sozialen. | |
Depressive Künstler, Popgeschichte, ein etwas unmotiviert wirkender Link | |
zum Thema Liebe – es fehlte der rote Faden. Vielleicht hätte auch ein | |
bisschen mehr Theoretisierung Oberzans eineinhalbstündiger Performance | |
nicht geschadet. | |
Man hätte zum Beispiel den Machtbegriff Michel Foucaults zugrunde legen | |
können, des wohl bedeutendsten Machttheoretikers der vergangenen Dekaden. | |
Er hat sich einer Lesart von Macht widersetzt, nach der sie zwangsläufig | |
mit Repression einhergehe. „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand“, schrieb | |
er, und wo sie einschränke und begrenze, da erweitere und erleichtere sie | |
auch. Sich etwa auf solche Weise der Macht der eigenen Psyche – und den | |
Widerständen – zu nähern, wäre spannend gewesen. | |
## Berichte von eigenen Ohnmachtserfahrungen | |
Um Macht und Widerstand ging es dagegen bei dem Projekt „Inventar der | |
Ohnmacht“ von Edit Kaldors, das sie an drei Abenden am vergangenen | |
Wochenende initiierte – aber eher um Macht und Widerstand in der Praxis. | |
Die Versuchsanordnung des interaktiven Projekts: Eingeladene Personen oder | |
Leute aus dem Publikum berichten von ihren eigenen Ohnmachtserfahrungen. | |
Diese werden gesammelt, mitgeschrieben und in Schlagworten oder | |
Kurzbeschreibungen an die Wand projiziert (“im Stasi-Knast sitzen“, „eine | |
Fehlgeburt haben“, „in einer Psychose gefangen sein“). Man kann die | |
Berichte miteinander verknüpfen lassen oder Hashtags wie bei Twitter | |
setzen. Bei den Performances entstand so eine Art Sternbild der | |
Ohnmachtserfahrungen. | |
Zuschauer berichteten von Trennungen, von abgelehnten Asylanträgen, von | |
Ängsten, Krankheiten, Missbrauchserfahrungen. Diverse Erfahrungen der | |
Machtlosigkeit standen so nebeneinander. Dieses hierarchiefreie | |
Nebeneinander der Oral History – oder Oral Present – stellte sicher auch | |
ein Problem der Abende dar: Manchmal hätte man gern viel mehr über die | |
Geschichten gewusst als eine verkürzte Darstellung in zwei, drei Minuten. | |
Hier aber konnte man Foucaults weite Lesart von Macht durchaus zugrunde | |
legen – Macht wäre demnach nicht per se schlecht, Macht und Ohnmacht | |
fluktuierende Phänomene in einem Feld, das immer neu geschrieben wird. | |
Weiter geschrieben wird auch die Geschichte des Festivals „The Power of | |
Powerlessness“: In Ivo Dimchevs Performance „ICure“ (11. bis 14. Juni) wi… | |
das Erleben der eigenen Schwäche das Grundmotiv sein, die niederländische | |
Künstlerin Emke Idema wird in „Stranger“ erste Eindrücke beim gegenseitig… | |
Kennenlernen thematisieren. Durchgehend ist die vom musiktheater bruit! | |
Erarbeitete Installation „Noise is Power – Krach ist Macht!“ im WAU zu | |
sehen und zu hören. | |
Die größte Herausforderung wird nach den Eindrücken des ersten Wochenendes | |
sein, die Beliebigkeit zu umschiffen und den Phänomenen nicht nur Namen zu | |
geben, sondern zu vermitteln, wofür sie im komplizierten Geflecht von Macht | |
und Ohnmacht stehen. | |
9 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Berlin Kultur | |
Macht | |
Hebbel am Ufer | |
Michel Foucault | |
Schwerpunkt Waffen in den USA | |
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