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# taz.de -- Bilanz zum Kirchentag: Kofi, Statthalter auf Erden
> Der Kirchentag bot endloses Gerede. Er endete im Wohlgefallen und war nur
> auf subtile Art politisch. Applaus gab es für das Erwartbare.
Bild: Viel Lärm und wenig Neues: Es wurde viel geredet, aber nicht über das E…
Für Menschen, die bei Politischem toughe Debatten bevorzugen, ist ein
Kirchentag ja nichts. Endlose Diskussionen wie bei einem gigantischen
WG-Plenum, bei dem alle Teile den Glauben an Jesus Christus gemein haben.
Eine Kultur der Rederei, die mindestens als mühselig beschrieben werden
muss. Echte Fragen aus dem Publikum gibt es nicht. „Anwälte“ des Publikums
heißen die Menschen, die schriftlich fixierte Fragen einsammeln lassen und
sie gebündelt vortragen.
Und das ist bei den evangelischen Christen seit Jahrzehnten so, denn der
Kirchentag ist kein Auditorium, bei dem ein Pfarrer predigt, sondern eine
Laienbewegung, eine alternative Kongregation. Gefühlt 2000 Veranstaltungen
gab es in Stuttgart – und doch kam kein einziger überraschender Gedanke ins
Leben.
Schuldenerlass für Griechenland; Gerechtigkeit für die Armen; Schluss mit
prekären Arbeitsverhältnissen, der Entschleunigung eine Chance; Ende mit
der Massentierhaltung; Öko ist eine persönliche Sache – achte auf einen
CO2-Fußabdruck; Inklusion für alle; Flüchtlinge retten – alles war mit im
Spiel, das die Republik insgesamt irgendwie beschäftigt: Wer das Maximale
forderte, wer all das als Eingeladener zur Sprache brachte, bekam
prasselnden Applaus.
Und am stärksten von allen, einmal mehr, erntete diesen Margot Käßmann,
einst Bischöfin von Hannover und Kirchentagsikone schlechthin, die
populärste Frau der evangelischen Volkskirche. Schuldenerlass für
Griechenland – sie hatte diese Chiffre kaum ausgesprochen, da begannen sich
vieltausend Hände zur Zustimmung zu regen.
## Keine Kontroversen
Insofern: Kontroversen fehlten fast gänzlich. Klüger zu werden gelingt ja
nur im Streit Aber das Motto lautete „Damit wir klug werden“. War es
womöglich zu vollmundig gewählt? Hin und wieder waren es Politiker, die das
Christenvolk auf die Böden der Tatsachen, wenn auch sanft, zurückzogen.
Kanzlerin Angela Merkel war ein herzlich willkommener Gast, aber am
stärksten hinterließ Bundesinnenminister Thomas de Maizière Eindruck, der
betonte, nicht alle Flüchtlinge könnten aufgenommen werden – gleichwohl sei
so etwas wie eine geregelte Einwanderung zu organisieren nötig, um auf die
entsetzlichen Bilder aus dem Massengrab Mittelmeer eine Antwort zu geben.
Aber sie alle, schon gar nicht ein Sozialdemokrat oder ein Grüner, gar ein
Linker, reichten an die Beliebtheit des einstigen UN-Generalsekretärs
heran. Er war der Einzige, der die Hanns-Martin-Schleyer-Halle zum
Rockpalast machte. Um ihn prügelten sich fast Frauen im Ruhestand wie junge
Menschen im Pfadfinderlook: Einlass, bitte, ich auch noch! Kofi Annan
erhielt für fast jeden Satz Beifall, als erkennte man in ihm den
Statthalter auf Erden: ein Phänomen dieses Kirchentags. Ein
Seelenschmeichler, das tat gut am Samstag.
Gütige Gemüter, die gern Politisches strittig erörtert gehabt hätten, mögen
einwenden: Es gab doch Veranstaltungen zu TTIP, zu Militärischem …
Außerdem: War dieser Kirchentag vielleicht ein Opfer des Klimawandels?
Diese Hitze!, diese Schwüle!, diese klimatische Verderbtheit, die zur
Bräsigkeit einlud. Allein: So ist es in den Talkesseln im Schwäbischen ja
im Juni beinah immer – aber kann die Hitze wirklich eine gute Ausrede für
diese gewisse geistige Trägheit sein, diese gedanklich Konventionelle, das
viel zu vieles zum Sammelsurischen bündelt?
## Wenig queere Mobilisierung
Um zu einem Trotzdem zu kommen: Dieser Kirchentag war auf subtile Art ein
politischer, denn jenseits der offiziellen großen Veranstaltungen wurde
teils innig um das gezankt, was man als „Gedöns“ nehmen könnte.
Inklusionsfragen, die Nicht-mehr-Marginalisierung von behinderten Menschen
etwa. Oder die Frage der Nichtdiskriminierung von nichtheterosexuellen
Christen. Man wolle nicht mehr toleriert werden, vielmehr fordert man
Akzeptanz für Lesbisches, Trans* oder Schwules. Da ging es um Fragen wie:
Dürfen Christen Homos heilen wollen? (nein!); ist es für Christen
statthaft, schwule oder lesbische Kinder weniger zu lieben? (um Gottes
Willen, nein, oder wenn, nur ein bisschen …).
Es lag freilich nicht am Kirchentagsvolk, dass die queere Community unter
den Christen sich selbst eine Schlappe bereitete. Samstag, als bei der
Veranstaltung „Wir wollen nicht erduldet werden!“ eine gleichnamige
Resolution verabschiedet werden sollte – es wäre ein kostbares Dokument für
den innerkirchlichen Disput gewesen. Allein: Es waren nur 444 Menschen in
die Schwabenlandhalle zu dieser vorzüglichen Debatte mit Baden-Württembergs
Kultusminister Andreas Stoch gekommen – 500 hätten es sein müssen, um es
als abstimmungsfähige Gemeinde anzuerkennen.
Man hatte nicht genug mobilisiert und muss es jetzt auf dem nächsten
Kirchentag probieren. Da hatte selbst des Bundespräsidenten vages Bejahen
der „Ehe für alle“ bei seinem Gespräch mit dem Soziologen Hartmut Rosa
nicht geholfen.
7 Jun 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Margot Käßmann
Schwerpunkt Klimawandel
Kirchentag 2023
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Kofi Annan
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