# taz.de -- Jürgen Klopps Abschied von Dortmund: Der Held der Gearschten | |
> Das letzte Jahrzehnt der Fußballbundesliga war das Jahrzehnt des Trainers | |
> Jürgen Klopp. Eine Würdigung zum heutigen Pokalfinale. | |
Bild: Klopp als kollektiver Identitätsstifter: Choreografie am letzten Bundesl… | |
Als Jürgen Klopp dieser Tage gefragt wurde, ob er eigentlich Spanisch | |
spreche, grinste er und sagte: „Una cerveza, por favor.“ Ein Bier, bitte. | |
Damit komme man auf Mallorca „ganz schön weit“. Aber selbstverständlich | |
könne er Spanisch lernen, wenn er müsse, sagte er, ohne auf den Hintergrund | |
der Frage einzugehen – dass er als potenzieller Trainer des noch | |
amtierenden Champions-League-Siegers Real Madrid gehandelt wird. | |
Ob er ein Sabbatical einlegt oder nicht: Wenn der Anschein nicht trügt, hat | |
Klopp, 47, nach dem psychischen Ausnahmezustand der ablaufenden Saison | |
seinen normalen Aggregatzustand wiedergefunden. Darin ist er ein geborener | |
Entertainer mit einer ungewöhnlichen Kombination aus positiver | |
Lebenseinstellung, Schlagfertigkeit, Fachlichkeit und Volksnähe. Landsmann | |
Harald Schmidts Grinsen hieß: Alle anderen sind blöd. Klopps Grinsen: Leben | |
und leben lassen. | |
Sicher hat er mit den Jahren auch zunehmend Leute genervt, das ist immer | |
so. Aber wenn man das letzte Jahrzehnt der Bundesliga anschaut, so muss man | |
sagen: Es war seines. Joachim Löw als Bundestrainer außen vor: Klopp ist | |
der Solitär in der deutschen Fußballunterhaltungsbranche. | |
Das eine ist seine Sprache, das andere seine Liebe zum Fußball. Keiner kann | |
über Fußball so sprechen wie dieser Schwabe, keiner einem Team den | |
emotionalen Wert des Spiels so intensiv vorleben und damit so im Einklang | |
sein, mit den Bedürfnissen einer Mehrheit. | |
## Emotionaler als fast alle anderen | |
Und nun will er an diesem Samstag (20 Uhr, ARD), in seinem letzten Spiel | |
als Trainer von Borussia Dortmund das DFB-Pokalfinale gegen Vizemeister VfL | |
Wolfsburg gewinnen und dann mit der Trophäe „noch einmal auf einem Lkw rund | |
um den Borsigplatz fahren“. Das ist ein Kreisverkehr, an dem die Stadt die | |
Erfolge des Klubs zu feiern pflegt, der im Zeitalter nach Kohle, Stahl und | |
Bierbrauereien weitgehend ihre Identität ausmacht. Man muss davon ausgehen, | |
dass die große Mehrheit der deutschen Fußballinteressierten ihm die Feier | |
wünscht, um selbst noch die letzte Zuspitzung einer Geschichte abzukriegen, | |
die emotionaler ist als fast alle anderen. | |
Das siebte Jahr beim BVB hat Klopp an seine Grenzen gebracht, weshalb es | |
nun auch sein letztes geworden ist. Platz 7 ist seine schlechteste | |
Platzierung ever (davor: 6-5-1-1-2-2). „Lässig“, eine seiner | |
Lieblingsvokabeln, war das überhaupt nicht mehr. | |
Zeitweise ließ er sogar der branchenüblichen Verachtung von Journalisten | |
relativ ungezügelten Lauf, obwohl sich das selten bewährt. Und doch ist | |
auch mit seiner letzten Saison eine Großleistung verknüpft – ein Trick | |
Escape mit einem im Januar noch am Abgrund taumelnden Klub. Verknüpft mit | |
einem zumindest nach außen selbstbestimmtem Abschied. | |
Woran der Absturz lag, dafür gibt es – wie stets – keine sichere Antwort. | |
Die plausibelste könnte sein, dass Klopp mit seinem Arbeitskern, dem | |
Außenseitergestus und einem außergewöhnlichen Emotionalisierungsextra, an | |
Grenzen gestoßen war, weil die Spieler mittlerweile den Status von Meistern | |
und Weltmeister hatten und sich alles irgendwann abnutzt. Ergebnis: weniger | |
Team, mehr Ich. | |
Der Kern der Dortmunder Klopp-Geschichte aber – man mag das belächeln – | |
besteht in der idealisierten Vorstellung, dass Fußball primär nicht für | |
Geld gespielt wird, sondern für „unsere“ kollektiven Erinnerungen, für die | |
der Spieler, Trainer und aller Stakeholder in Ostwestfalen und darüber | |
hinaus. | |
## Glutkern der Leidenschaft | |
Wenn Klopp über den Fußball hinaus für etwas steht, dann für die Ausnahme. | |
Er hat überhaupt nichts von dem Festanstellungsdeutschen der Gegenwart, der | |
sich hadernd an sie klammert. Es geht nicht um seine ideologische | |
Verortung, die er vor vielen Jahren in der taz mit dem Satz umriss: | |
„Selbstverständlich bin ich links. Linker als Mitte.“ Es geht auch nicht | |
darum, dass er sehr viel von dem mitnimmt, was man ihm anbietet, und in den | |
Fußballsendern in fast jedem Werbespot auftritt. | |
Er ist ein Rolemodel dafür, wie man partizipativ-autoritär Zukunft schafft | |
und die Mitarbeiter und Stakeholder dabei inhaltlich und emotional | |
mitnimmt. Klopp will, dass es im Team gerecht zugeht und dass keine | |
„Arschlöcher“ alles kaputtmachen. Wer ein Arschloch ist, entscheidet er. Er | |
hat den alten Glutkern der Leidenschaft mit einem modernen, laufintensiven | |
Teamspiel gegen den Ball verwoben. | |
Dahinter steht die Grundüberzeugung, dass die Emotionen, um die es geht, | |
mit dem Spieltempo und dem Spirit steigen. Er hat den Malocherfußball für | |
das 21. Jahrhundert als intelligentes Arsch-aufreißen-Teamspiel bereits in | |
Mainz neu erfunden und dann an dem vom Strukturwandel überforderten | |
Fußballstandort Dortmund Tradition und Innovation versöhnt und – das kann | |
man in Christoph Biermanns „Wenn wir vom Fußball träumen“ nachlesen – d… | |
traditionell mit ihrem ungerechten Schicksal hadernden Leuten eine neue | |
Kollektividentität gegeben. Das Paradigma lautet nicht mehr: Ach, am Ende | |
sind wir ja doch wieder die Gearschten. Sondern: Wir hauen jetzt alles | |
raus, um zu gewinnen. | |
Die Bundesliga ist in einer größeren Transformationsphase, als es manche | |
wahrhaben wollen. Die Differenz zwischen oben und unten wird analog zur | |
Gesellschaft größer. Aber es steigen auch neue Klubs auf – und nicht nur | |
sogenannte Plastikklubs. Es ist differenzierter. | |
## Geld ohne Kompetenz nützt nichts | |
Zum einen drängen traditionsarme Klubs zunehmend in die Spitze, gepowert | |
von Unternehmen (VW, Bayer), Milliardären (SAP-Hopp), Scheichs oder | |
Unternehmerkonglomeraten. Zum anderen schaffen es aber auch ökonomisch | |
limitierte Stadtklubs nach oben (Augsburg, Mainz, Darmstadt), die ein | |
besonderes innovatives Führungspersonal haben. | |
Zum Dritten sind klassische Regionalgrößen verdientermaßen im Absteigen, | |
die über Jahre schlecht arbeiten. Wie viel man falsch machen muss, bis es | |
einen erwischt, sieht man am Beispiel von Stuttgart und HSV. Und man kann | |
als Paderborn und SC Freiburg fast alles richtig machen – und steigt | |
trotzdem ab. | |
Jedenfalls nützt einem Geld ohne Kompetenz nichts, wie man am VfL Wolfsburg | |
viele Jahre sehen konnte. Tradition ohne Kompetenz führt einen auch | |
nirgendwo hin. Kompetenz aber kann auch einen neuen Standort ohne Scheich | |
etablieren. Das ist das Prinzip, das Volker Finke 1993 in den deutschen | |
Fußball implantierte: Alternativen finden, auf und neben dem Spielfeld – | |
und mit diesem Vorsprung den infrastrukturellen Rückstand ausgleichen. | |
## Zehn Jahre wie früher hundert | |
Jürgen Klopp hat auch das hingekriegt. Neben seinem Meisterstück mit dem | |
BVB hat er – zusammen mit Manager Heidel – aus dem Noname Mainz binnen | |
weniger Jahre einen etablierten Bundesligaklub, eine wichtige | |
Identitätsfläche und den größten Werbeträger für eine zuvor national | |
ignorierte Landeshauptstadt gemacht. | |
Sicher ist ein über Generationen eingeführter Regioklub eine größere | |
Projektionsfläche und verkauft mehr Sky-Abos als ein nach oben | |
durchgestoßener Stadtklub. Aber das Bedürfnis nach Unterhaltung, aber auch | |
nach Identität ist so groß, dass zehn Jahre heute wie früher hundert zählen | |
können. Das sieht man in Augsburg. | |
Und übrigens auch in Wolfsburg, wo der Fußballklub eine wichtigere Rolle | |
spielt, als man von außen anzunehmen pflegt. In einer Stadt, die so sehr | |
Autowerk ist, ist das Stadion der Ort, an dem die Einwohner sich | |
individuell und kollektiv als Wolfsburger erleben – und nicht als | |
VW-Angestellte. | |
Dass der VfL eine hundertprozentige VW-Tochter ist, das ist einerseits | |
ironisch, andererseits auch konsequent, denn es gibt kein Wolfsburg | |
jenseits von VW. Egal, ob das die Schulen, die Ämter, die Kulturorte, die | |
Politiker oder die Zeitungen sind. | |
Erst seit das Geld von VW mit Kompetenz in Person von VfL-Chef Klaus Allofs | |
– und in der Folge von Trainer Dieter Hecking – verknüpft ist, geht es | |
nachhaltig nach oben. Heckings VfL praktiziert einen Spielstil, der | |
modernen Kollektivismus und modernen Individualismus so ausbalanciert, dass | |
Erfolg und Erlebnis sich paaren. | |
Wie es aussieht, hat man das Potenzial, nachhaltig gegen den abgelösten BVB | |
und ein, zwei andere um den neuen Status als deutsche Nummer 2 zu spielen. | |
Was fehlt, ist der emotionale Kern dieser Aufstiegsgeschichte, mit dem man | |
die bewährten Ressentiments abdrängen könnte. Anders als Klopp tragen | |
Allofs und Hecking diesen Emo-Kern auch nicht in sich. | |
In Dortmund ist alles vorbereitet für ein Meer der Tränen. Sonntag, 14.09 | |
Uhr, soll der Bus mit Klopp am Borsigplatz sein. 250.000 wollen kommen. | |
Allerdings nur bei Sieg. Wenn der Pokal am Sonntag, 12.30 Uhr, am | |
Hauptbahnhof Wolfsburg lässig aus dem ICE gehievt wird, soll der BVB-Bus im | |
Depot bleiben. Man wird sehen, wie sich der Volkswille dann Bahn bricht. | |
Die Tränen werden so oder so auch schon in der Nacht zum Sonntag fließen. | |
Und das Bier wird es auch. | |
Angemessen. Für Dortmund geht heute etwas Großes zu Ende. | |
30 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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