# taz.de -- Krimiautorin Leonie Swann über Flöhe: „Mitfühlen ist sehr wich… | |
> Mit einem Buch, in dem Schafe Detektive sind, wurde sie berühmt. In | |
> Leonie Swanns aktuellem Roman spielen Flöhe eine wichtige Rolle. Sie | |
> erzählt, warum. | |
Bild: Dieses Exemplar von stattlichen 4,5 Millimetern wurde 2000 als Deutschlan… | |
taz: Frau Swann, Sie haben es vor zehn Jahren geschafft, gleich mit Ihrem | |
ersten Roman einen Bestseller zu landen. Ihr Schafskrimi „Glennkill“ war | |
ein Riesenerfolg. Woher kam damals diese schräge Idee, Schafe zu Detektiven | |
zu machen? | |
Leonie Swann: Die war eines Tages einfach da, eigentlich eher als spontaner | |
Witz: So, ich schreib jetzt einen Schafskrimi. Und dann hab ich angefangen, | |
das auszuprobieren. Es hätte vielleicht eher eine Kurzgeschichte werden | |
sollen, einen Roman hatte ich gar nicht im Kopf. Dann hatte ich so die | |
ersten fünf Absätze und hatte wirklich keine Ahnung, wer George umgebracht | |
hat – den Schäfer. Da dachte ich, das muss man irgendwie herausfinden. Und | |
nach ein paar Kapiteln war mir dann klar, dass es keine Kurzgeschichte mehr | |
ist. | |
Später haben Sie wirklich viel über Schafe recherchiert, sogar ein | |
Schäferpraktikum gemacht, um zu begreifen, wie die Tiere ticken. | |
Das Praktikum war erst nach dem ersten Roman. Aber ich hatte vorher schon | |
andere Recherchen betrieben, war auch in Irland bei einer Schafexpertin. | |
Bei ihr habe ich meine Ideen durchgespielt und gefragt, meine Schafe wollen | |
das und das machen, ist das artgerecht, oder würden Sie sagen, das ist | |
absurd? Und sie sagte dann zum Beispiel, doch, das ist vollkommen | |
realistisch, mir ist es auch schon passiert, dass Schafe abhauen und allein | |
durchs Dorf laufen. | |
Warum war es Ihnen wichtig, dass Ihre Schafe sich artgerecht verhalten? Man | |
könnte ja auch einen komplett fantastischen Roman schreiben, in dem die | |
Tiere völlig absurde Dinge tun. | |
Es gibt sehr viele Bücher mit Tieren als Protagonisten, die aber nicht | |
wirklich Tiere sind, sondern verkleidete Menschen, die zufällig Katzenfell | |
haben oder Hasenohren oder sonst was. Was mich gereizt hat, war aber | |
gerade, auch dieses andere in die Geschichte einzubringen. Andererseits ist | |
es überraschend einfach, sich in Schafe hineinzuversetzen, wenn man erst | |
mal damit angefangen hat. So weit weg von uns sind sie gar nicht. Schafe | |
sind auch Herdentiere, und natürlich interessieren sie sich für Essen. Und | |
sie tun vieles, das wir uns nicht so ohne Weiteres erlauben. Zum Beispiel | |
Angst zu haben und wegzulaufen. Oder schnell mal irgendwas zu essen, weil | |
es eben da ist. Diese unmittelbaren kleinen Impulse kennt man als Mensch | |
auch, die kann man gut in die Schafe übertragen. Das passt einfach. | |
In Ihrem neuen Roman „Dunkelsprung“ entfernen Sie sich ein gutes Stück von | |
diesem gewissermaßen realistischen Ansatz. Viele Passagen schreiben Sie aus | |
der Perspektive eines Flohs, was ja aus Menschensicht längst nicht mehr so | |
nahe liegt wie die Schafpsychologie. Außerdem führen Sie einen Haufen | |
Fabelwesen ein, die überhaupt gar keinen Bezug zur Wirklichkeit haben. | |
Ich lebe zur Zeit hauptsächlich in England und bin davon wahrscheinlich | |
wirklich beeinflusst. Dort gibt es eine starke Tradition in Sachen fairies | |
und anderer Kreaturen, die im Volksglauben sehr stark vertreten sind. Es | |
hat mich gereizt, das ein bisschen weiterzuspinnen. Und das | |
Flohzirkus-Element stammt aus einer Radiomeldung, die ich mal gehört habe: | |
Ein Flohzirkus war erfroren, und der Direktor suchte händeringend nach | |
neuen Artisten. Das fand ich wirklich interessant. Es ist einem ja gar | |
nicht so bewusst, dass es so was wie Flohzirkus noch gibt. Und dass es | |
sogar im Radio kommt, wenn die Flöhe erfrieren, das war so ein kleiner | |
unverhoffter Moment, wo einen die Realität überrascht. Der Flohzirkus ist | |
ja das eigentlich realistische Element in dem Roman. | |
Haben Sie diesem realistischen Element genauso nachrecherchiert wie bei der | |
Schafsgeschichte? | |
Ja, ich habe allerdings nicht direkt einen Flohzirkusdirektor gesprochen, | |
die sind nicht so häufig, aber mich mit einem englischen Flohzirkusexperten | |
getroffen, der leider keinen Flohzirkus mehr hatte, weil es heutzutage ganz | |
schwierig ist, Menschenflöhe zu bekommen. Viele von den traditionellen | |
Gerätschaften funktionieren aber nur mit Menschenflöhen, weil die ein | |
bisschen größer und kräftiger sind als die anderen. Die meisten | |
Flohzirkusse arbeiten mit Katzenflöhen oder so, die auch manche Sachen | |
können, aber eben nicht alles. Dieser Experte hatte auf jeden Fall viel | |
theoretisches Wissen, und das habe ich genutzt, um diese | |
Flohzirkusgeschichten auch in Details beschreiben zu können: Was Flöhe | |
können, was sie für Wägelchen ziehen, wie sie gefüttert werden, die | |
Tradition, die sich gewissermaßen aus dem Juwelierhandwerk heraus | |
entwickelt hat. Das ist alles relativ realistisch beschrieben. Es ist ein | |
Element, wo die Realität fantastischer ist, als man ihr zugetraut hätte. | |
Sie sind studierte Anglistin, Literaturwissenschaftlerin – und Sie haben | |
eine Promotion geschrieben über Tiere in der Literatur. Haben Sie die | |
eigentlich abgeschlossen? | |
Nein. Das war zu der Zeit, als „Glennkill“ sich zu einem Buch entwickelt | |
hat, und das hat dann irgendwann doch die Arbeit an der Doktorarbeit | |
aufgefressen. Aber ich bin weiterhin motiviert, das irgendwann fertig zu | |
machen. | |
Brauchen Sie das denn überhaupt noch? Wäre es für Sie eine Ergänzung Ihrer | |
Arbeit, wenn Sie sich auch noch wissenschaftlich damit beschäftigen? | |
Beim Thema Tierperspektive habe ich das Gefühl, durch praktische Arbeit das | |
gelernt zu haben, was ich lernen wollte. Aber generell die Arbeit mit | |
Perspektive – ich würde mein Thema dann einfach ein bisschen abändern, dass | |
es allgemeiner in Richtung point of view gehen würde. | |
Ist die Tierperspektive Ihrer Bücher reine Spielerei, oder steckt darin | |
auch ein Stückchen Ernst? Tierrechte werden ja momentan sehr viel stärker | |
diskutiert als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Ist das ein Thema, das mit | |
Ihnen zu tun hat? | |
Es ist vielleicht nicht nur das Tierrecht, aber generell diese | |
Empathieidee, die in Literatur auch drinsteckt, das Mitfühlen mit anderen | |
Lebewesen, ob das nun Menschen sind oder Tiere. Empathie ist etwas, das | |
manchmal nicht genügend geübt wird. Und ich glaube, Bücher können einem | |
dabei helfen, den eigenen kleinen Gedankenkasten zu verlassen und sich auf | |
etwas anderes einzulassen. Wenn diese Empathie geübt und praktiziert wird, | |
hilft das schon, viele von den problematischen Dingen, die mit Tieren | |
passieren, ein bisschen einzudämmen; wenn man sich wirklich überlegt, wie | |
die sich dabei fühlen. Ich bin kein Vollvegetarier, aber ich esse so gut | |
wie kein Fleisch, und das hat sicher auch damit zu tun, dass es da sehr | |
viel Leid gibt, das vermeidbar ist. Das ist für mich durchaus ein Thema. | |
Was hat es mit Ihrem Pseudonym auf sich? Sie trennen sehr stark zwischen | |
beruflicher und privater Identität. | |
Die meisten Leute haben eine ganz klare lokale Trennung zwischen Privat- | |
und Berufsleben: Der Beruf ist das, wo sie hingehen und sich arbeitsmäßig | |
verhalten. Wenn man Bücher schreibt, hat man diese Trennung nicht so | |
automatisch, das ist eine sehr persönliche Sache. Mit seinem normalen Namen | |
unterwegs zu sein und mit diesem persönlichen Produkt, das ja doch in | |
Sachen Stil und Weltsicht sehr mit einem selbst zu tun hat, das ist mir | |
einfach ein bisschen zu viel. Der Name hilft mir, professioneller zu sein | |
und meinen Job gut zu machen. | |
Können Sie das Pseudonym wenigstens erklären? Und ist Leonie Ihr echter | |
Vorname? | |
Nein. Tut mir leid. Ich mochte es, dass zwei Tiere im Namen sind. Und ich | |
habe geguckt, worauf ich reagiere, was nach mir klingt. Dieser Name hat | |
sich irgendwie natürlich angefühlt, und dann habe ich ihn sozusagen | |
adoptiert. Es ist schön, wenn man sich seinen Namen aussuchen kann. Das hat | |
man ja auch nicht alle Tage. | |
25 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Schafe | |
Landwirtschaft | |
Tiere | |
Flüchtlingshilfe | |
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