# taz.de -- Kitastreik und ErzieherInnenarbeit: Der Tag ist eine Baustelle | |
> Bis zu 80 Prozent des Kita-Personals sollen akademisch gebildet sein, | |
> fordert die Bildungsgewerkschaft GEW. Wie arbeiten ErzieherInnen? Ein | |
> Besuch. | |
Bild: Wenn gestreikt wird, ist nicht viel los: Kindertagestätte. | |
BERLIN taz | „Wusch, wusch“, machen die Besen. Kinder schieben Sandhäufchen | |
vor sich her. Unter den Zweijährigen mit ihren Miniaturbesen ragt Sabrina | |
Wiederanders wie die Königin der Putzkolonne auf: elegant, mit weich | |
fallender Stoffhose und zum Knoten geschlungenen Haaren. Mit langsamen | |
Bewegungen schiebt sie die Häufchen zusammen und zurück in den Sandkasten. | |
Wiederanders, 35 Jahre, arbeitet seit fünf Jahren als Erzieherin in der | |
Kita Bahrfeldtstraße in Berlin-Friedrichshain. Sie hat einen Uniabschluss | |
in Neuer deutscher Literatur, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaft | |
und einen Fachschulabschluss als staatlich anerkannte Erzieherin mit einer | |
Zusatzqualifikation für Integration. Ist sie nicht überqualifiziert für | |
das, was sie da macht: fegen? | |
Nicht, wenn es nach den Gewerkschaften geht, die seit zwei Wochen für eine | |
Aufwertung des ErzieherInnenberufs streiken. „Wir wollen die Ausbildung | |
mittelfristig auf Hochschulniveau heben“, sagt Norbert Hocke von der | |
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). 70 bis 80 Prozent des | |
pädagogischen Personals in Kitas sollen nach Vorstellung der GEW in Zukunft | |
akademisch gebildet sein. Bereits jetzt fordern die Gewerkschaften für die | |
ErzieherInnen eine ähnliche Bezahlung wie für GrundschullehrerInnen. Denn | |
ihr Beruf sei ebenso anspruchsvoll. Um dieses Ziel zu erreichen, werden | |
Tausende Kitas auch nach Pfingsten geschlossen sein, in allen Bundesländern | |
außer in Berlin. | |
Überqualifiziert fühle sie sich nicht, meint Wiederanders selbst. Ihr Beruf | |
sei umfassend: den Alltag organisieren, die Entwicklung dokumentieren und | |
vor allem: „Sich einlassen auf das Kind als Persönlichkeit und seine | |
Wünsche ernst nehmen.“ | |
Auch die Politik nimmt Kleinkinder inzwischen ernst. Wie alle Bundesländer | |
hat auch Berlin seit einigen Jahren einen Kita-Bildungsplan, entwickelt von | |
Soziologen und Erziehungswissenschaftlern. Die Rede ist darin von optimaler | |
Förderung und möglichst guten Startchancen. Sieben Bildungsbereiche listet | |
der Plan auf, aus denen sich fünf Aufgabenfelder für ErzieherInnen ergeben | |
– spielen ist nur eins davon (siehe Text unten). | |
95 Kinder besuchen die Kita Bahrfeldtstraße, die kleinsten lernen gerade | |
krabbeln. Im „Nest“ wie der Krippenbereich im Erdgeschoss heißt, gibt es um | |
11 Uhr Mittagessen. Anja Hamplewski trägt Shawn auf dem linken Arm und | |
teilt mit rechts Wasserfläschchen aus. Zehn Kinder sitzen um einen | |
niedrigen Tisch, Larissa Gregorius, die zweite Erzieherin, füllt die Teller | |
mit Nudeln und Tomatensoße. | |
Beide Frauen haben eine dreijährige Ausbildung zur Facherzieherin gemacht. | |
Um zugelassen zu werden, braucht man Abitur wie Gregorius oder aber fünf | |
Jahre Berufserfahrung wie Hamplewski. Aber zählen in der Krippe nicht vor | |
allem ein starker Arm und ein liebes Lächeln? „Pfft“ macht Gregorius und | |
Hamplewski schüttelt den Kopf: „Das ist so das Klischee: Die Tanten in der | |
Kita spielen ein bisschen mit Kindern und singen.“ | |
Es gehe bei ihrer Arbeit aber vor allem darum, den Kindern und ihren | |
Bedürfnissen gerecht zu werden. Für Kinder, die Bewegung brauchen, bauen | |
sie eine Bewegungslandschaft auf, wer lieber malen will, kann das nebenan | |
im Atelier. Heute haben sie Seifenblasen gemacht. Und wie weiß man, was | |
Kinder wollen, die noch nicht sprechen? „Dafür entwickelt man irgendwann | |
Antennen.“ | |
Als alle Kinder Nudeln haben, singen sie tatsächlich: „Mit Fingerchen, mit | |
Fingerchen …“ Die Kinder essen – einige mit Fingerchen. Sie lernen hier | |
schnell, selbstständig zu werden. | |
„Mehr als professionelle Mütterlichkeit“ erwartet der Leiter der Kita, | |
Marcus Zölzer, denn auch von seinen MitarbeiterInnen. 3 der 13 | |
FacherzieherInnen sind im Übrigen Männer. Wer hier arbeitet, müsse | |
stressresistent sein und teamfähig, vernünftige Beziehungsarbeit leisten | |
und offen sein für Neues. „Dazu gehört auch, sich intellektuell | |
herausfordern zu lassen.“ Zweimal im Jahr hat das Team zwei Tage | |
Fortbildung. | |
Wie alle Berliner Kitas muss auch die Kita Bahrfeldtstraße auf der | |
Grundlage des Bildungsprogramms arbeiten. Das wird alle fünf Jahre | |
überprüft, zuletzt im Dezember. „Der Alltag wird so gestaltet, dass | |
individuelle Entwicklungsbedürfnisse maximale Berücksichtigung finden“, | |
heißt es in der Auswertung. | |
Die Kita arbeitet nach einem offenen Konzept: Es gibt keine festen Gruppen, | |
die Kinder entscheiden selbst, womit sie sich beschäftigen. Im Bauraum | |
errichtet Jonas einen Palast, in der Schreibwerkstatt locht Elisa Blätter | |
für ihr Sprachlerntagebuch. Sie hat es umbenannt, Kai Hasner schreibt den | |
Namen für sie auf: Pferdchen-Buch. Er studiert nebenbei Kindheitspädagogik. | |
Auch, um beruflich weiterzukommen. Denn außer zur Kitaleitung können | |
ErzieherInnen kaum aufsteigen. | |
Im Atelier will Antje Kahl mit einigen Kindern Häuser aus alten Materialien | |
bauen. Auch sie hat vor der Erzieherinnenausbildung studiert und macht | |
gerade ihren Master in Kunsttherapie. „Das passt gut zu meiner Arbeit hier: | |
Die Kinder malen, was sie beschäftigt, und wir nutzen die Ergebnisse als | |
Gesprächsansatz.“ | |
Wenn Sabrina Wiederanders mit den Kindern den Hof fegt, steckt dahinter | |
ebenfalls mehr als Reinlichkeitserziehung. Ihre Helfer lernen, sich | |
untereinander abzustimmen, und sie entdecken ihre Umwelt. Wiederanders hebt | |
einen Ast hoch: „Guckt mal, so viele Ameisen.“ Die Kleinen hocken sich hin. | |
Sie staunen. | |
22 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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