| # taz.de -- Jugendtanzmusik: Hausmeister des Rock n Roll | |
| > In Berlin-Marzahn wurde erstmals in Deutschland eine Straße nach Frank | |
| > Zappa benannt. Dort ansässig ist das "Zentrum für junge Musiker" - dessen | |
| > Hausmeister lieber Schlager hört. | |
| Bild: Geh, geh, geh die Strasse! | |
| Zum Glück gibt es Menschen wie Peter Delorme. Der 1,69 Meter große Mann mit | |
| dem nicht mehr ganz vollen Haupthaar und der silbernen Brille nennt die | |
| Dinge beim Namen. 1979 gehörte der gebürtige Ostberliner zu den ersten | |
| DDR-Bürgern, die in die Großbausiedlung Marzahn zogen, wo er heute noch mit | |
| seiner Frau lebt. Er sagt "dit" und "dat", "allet" und "keene". Wo andere | |
| von "arbeiten" oder "malochen" reden, sagt er: "Da haben wir Ballett | |
| jemacht." | |
| Peter Delorme ist Hausmeister in Marzahn-Hellersdorf am nordöstlichen | |
| Stadtrand von Berlin. "Dat is der Job meines Lebens", sagt er, und seine | |
| Stimme klingt ernst und pflichtbewusst. Die Freude ist ihm leicht | |
| anzumerken. Delorme ist 56 Jahre alt und hat im vorigen Jahr noch einmal | |
| eine Festanstellung bekommen. Und das in einem Plattenbaubezirk, der | |
| meistens mit Abstieg und Hoffnungslosigkeit in Verbindung gebracht wird: | |
| jammernde Ostler, die keine Arbeit haben, die in der Vergangenheit leben | |
| und die ihre Stütze zum Getränkestützpunkt tragen und ihre Kinder zur | |
| kostenlosen Kinderspeisung. Die den Arm zum Hitlergruß erheben oder "Wir | |
| sind das Volk!" schreien, wenn ihnen gar nichts mehr gegen ihre | |
| Perspektivlosigkeit einfällt. | |
| Dass Delorme noch einmal im ersten Arbeitsmarkt gelandet ist, hängt mit | |
| einem Gebäude in Marzahn zusammen, das nach der Wende eine ähnliche | |
| Geschichte durchgemacht hat wie viele Bewohner der DDR: dem Orwohaus. Vor | |
| der Wende war dies eine Fabrik des Filmherstellers Orwo, "Or" wie Original | |
| und "Wo" wie Wolfen. Der siebenstöckige Bau aus verwaschenem Beton wurde | |
| abgeschrieben und ging in die Hände der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, | |
| kurz TLG, über. Jahrelang stand er leer, zwischendurch wurden Kühlschränke | |
| eingelagert. Dann entdeckten Ende der Neunzigerjahre Musiker das Haus in | |
| dem kleinen Industriegebiet an der sechsspurigen Landsberger Allee. Unter | |
| der namenslosen Anschrift "Straße 13 Nr. 19-20" konnten sie Punk, Rock und | |
| Metal spielen, so laut sie wollten. Es war warm und trocken, und die Miete | |
| war mit drei Mark pro Quadratmeter fast geschenkt. | |
| Nach sechs Jahren sollte mit dem musikalischen Aufschwung in Marzahn | |
| Schluss sein. Im Frühjahr 2004 stellte das Bauamt gravierende | |
| Brandschutzmängel fest. Die TGL, die noch immer keinen Investor gefunden | |
| hatte, kündigte den damals 80 Bands die Verträge. Normalerweise wäre die | |
| Geschichte hier zu Ende gewesen. Aber die Musiker waren fest dazu | |
| entschlossen, dieses Haus, das niemand sonst wollte, zu verteidigen. | |
| Es war kein leichter Kampf. Die TLG wechselte die Türschlösser aus, legte | |
| Fahrstühle lahm und errichtete einen Zaun um das Gelände. Einige Musiker | |
| zogen genervt von dannen. Andere blieben und gründeten den Verein Orwohaus | |
| e. V., machten mit etlichen Protestkonzerten auf sich aufmerksam, bis die | |
| TLG sie als Verhandlungspartner anerkannte. Zehn Monate nach der Kündigung | |
| unterzeichnete der Verein einen Kaufvertrag. Seitdem proben 160 Bands für 7 | |
| Euro warm den Quadratmeter in 80 Proberäumen. Wenn sie wollen, rund um die | |
| Uhr. | |
| Wiederum zwei Jahre später könnte man meinen, dass den Musikern, die im Mai | |
| dieses Jahres von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie mit einer Million | |
| Euro bedacht wurden, ihre Hartnäckigkeit und ihr Erfolg zu Kopfe gestiegen | |
| seien. Am Samstag war wieder mal richtig was los in Marzahn, sodass selbst | |
| die S-Bahn-Fahrer an der nächsten Haltestelle auf ihre Kosten kamen. Mit | |
| Bier, Bratwurst und lauter Musik von Bands wie Geheimkapelle Selber, | |
| Ruperts Kitchen Orchestra, Napoleon Murphy Brock und vielen mehr, haben sie | |
| es richtig krachen lassen. Auf der Wiese vor dem Haus standen und saßen | |
| auffällig viele Männer mit Frank-Zappa-Bärten. Diesmal spielten die Musiker | |
| aber nicht für den Erhalt ihres Hauses, sondern für die Adelung ihrer | |
| Straße. Zwei Politiker der PDS hatten einen Antrag in die | |
| Bezirksverordnetenversammlung eingebracht, die "Straße 13" in | |
| "Frank-Zappa-Straße" umzubenennen. Es gelte, diese "Kultfigur der | |
| Undergroundmusik" "angemessen zu würdigen", zugleich bedeute dies eine | |
| "Bereicherung für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf als Wirkstätte | |
| eigenständigen künstlerischen Schaffens". Die Drucksache Nummer 2082/V ging | |
| einstimmig durch, am Samstag wurde die Straße offiziell umbenannt. | |
| Schon zuvor war das Orwo-Musikhaus einzigartig in Europa. Jetzt residiert | |
| es in einer Straße, die einzigartig in Deutschland ist. "Frank-Zappa-Straße | |
| 19-20". | |
| Im Erdgeschoss hängt eine meterhohe Biografie des Musikers. Überall an den | |
| Wänden kleben Zitate von Frank Zappa. "Ohne Abweichung von der Norm ist | |
| Fortschritt nicht möglich" ist dort zu lesen. Oder: "Musik ist immer ein | |
| Kommentar zur Gesellschaft." | |
| Im Editorial zu ihrem Heft "Tonreich" machen Leute von der Musikfabrik | |
| Orwohaus klar, dass dies erst der Anfang sein soll: "Ab dem heutigen, so | |
| geschichtsschreibenden Tag wird ein jeder wissen, das Orwohaus liegt in der | |
| Frank-Zappa-Straße in Berlin. Bald schon wird es eine | |
| Frank-Zappa-Haltestelle geben, Plätze und Bezirke werden nach ihm benannt | |
| werden. Überall wird das Orwo-Logo zu sehen sein. Wir werden die Kontrolle | |
| über die Stadt an uns reißen und die Plattenindustrie revolutionieren." | |
| Frank Zappa hätte diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie | |
| wohl gefallen. | |
| Delorme ist inmitten der vielen hundert Besucher leicht auszumachen. Auf | |
| dem Rücken seiner blauen Trainingsjacke steht in weißen Buchstaben | |
| "Hausmeister". Drei Stück hat er davon zu Hause, gesponsert von der Band | |
| Plan B, die natürlich auch im Orwohaus probt. Stolz führt er durch die | |
| langen Gänge, vorbei an Proberäumen unbekannter und bekannter Bands wie Die | |
| Ohrboten und Silbermond oder Sternchen wie Jeannette Biedermann. Für | |
| Delorme sind alle Musiker gleich. "Supertypen" und "tolle Leutchen". | |
| Er ist der einzige Festangestellte im Orwohaus. Unter sich hat er derzeit | |
| zehn Arbeitslose, die mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aus der | |
| Statistik ins Orwohaus gefallen sind. Die Mitglieder des Vorstands arbeiten | |
| ehrenamtlich. | |
| Der gelernte Maurer hat im Unterschied zu vielen anderen Marzahnern die | |
| Wende ohne den Verlust der Arbeit überstanden. Bis 1998 hat er als | |
| Kraftfahrer gearbeitet. Dann wurde er von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme | |
| in die nächste gesteckt, zwischendurch war er immer wieder arbeitslos. Bis | |
| der Arbeitsmarkt ihm im August 2005 eine MAE-Stelle im Orwohaus bescherte. | |
| Das ist ein sogenanntes arbeitsmarktpolitisches Instrument mit | |
| "Mehraufwandsentschädigung". Seinen neue Arbeitsstelle konnte Delorme | |
| fortan vom Balkon seiner Wohnung im achten Stock aus sehen. "Det war damals | |
| so chaotisch" erzählt er, während er durch die sauber gefegten Flure des | |
| 7.500 Quadratmeter großen Hauses führt. Malern, mauern, Löcher und | |
| Durchbrüche schließen, Delorme hat die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt, | |
| ohne zu wissen, wie lange er würde bleiben können. Am 1. August 2006, in | |
| dem Jahr, als das Orwohaus im Bundeswettbewerb "Land der Ideen" als einer | |
| von 365 "Orte der Ideen" ausgezeichnet wurde, bekam er einen festen | |
| Arbeitsvertrag. "Da hab ick Tränen in den Augen gehabt." Es ist wirklich | |
| der Job seines Lebens. | |
| In einer Hand hält er ein dickes Schlüsselbund, in der anderen sein Handy. | |
| Auf seiner Visitenkarte steht "Für Sie immer zu erreichen". Selbst Sonntags | |
| geht er mit seiner Frau zu seinem Arbeitsplatz, um die Klos zu putzen und | |
| aufzuräumen. "Das ist meine Hütte", sagt er, "da lass ich zu Hause alles | |
| stehen und liegen." | |
| Nur mit der Musik von Zappa, kann er nicht so viel anfangen. "Ich habe | |
| vorher mal den Namen gehört und weiß jetzt, wann er geboren ist", sagt er, | |
| "mehr aber auch nicht." Delorme steht mehr auf deutsche Schlager. Ihm | |
| gefällt Musik, die er versteht. Trotzdem ist er stolz wie Bolle auf die | |
| Frank-Zappa-Straße. "Jetzt sind wir wer", sagt der Hausmeister. Er steht | |
| etwas abseits der lauten Bühne und schaut auf ein leeres Gebäude neben dem | |
| Orwohaus. Er würde sich freuen, wenn der Verein eines Tages auch diese | |
| Platte übernehmen könnte, vielleicht als Hotel für Musiker. Auch die | |
| könnten dann in der Frank-Zappa-Straße residieren. | |
| 29 Jul 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Bollwahn | |
| Barbara Bollwahn | |
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