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# taz.de -- Paul Crutzen über das Ozonloch: Knapp am Untergang vorbei
> Der Chemiker Paul Crutzen bekam für seine Arbeit zum Ozonabbau 1995 den
> Nobelpreis verliehen. Heute warnt er vor dem Klimawandel.
Bild: "Es war einfach unglaubliches Glück." Nobelpreisträger Paul Crutzen.
Herr Crutzen, wie fühlt man sich als Retter der Welt?
Ich fühle mich gar nicht als Retter.
Aber ohne Ihre Entdeckung, dass Stickoxide die Ozonschicht schädigen, säßen
wir jetzt unter einem riesigen Ozonloch.
Es war wichtig, dass wir zu den Überschallflügen geforscht haben. Damals
hatten wir nur die chlorhaltigen Treibstoffe von Überschallflugzeugen wie
der Concorde im Blick, die in die Stratosphäre gelangen würden. Ohne diese
Studien zu den Stickoxiden hätte man sich nie Sorgen gemacht um die
Chlorchemie...
... also den Nachweis, dass in Wahrheit die Fluor-Kohlen-Wasserstoffe
(FCKW) die größten Übeltäter sind...
Ja, wir haben erst spät gesehen, dass nicht die Flüge die eigentliche
Bedrohung darstellten, sondern die Produkte aus den Fabriken wie das
Fluor-Kohlen-Wasserstoff. Wenn es um diese FCKW geht, dann sind Sherwood
Rowland und Mario Molina die Retter der Welt. Es war einfach unglaubliches
Glück.
Wie sähe die Welt heute aus, wenn Sie und Ihre Kollegen das Ozonproblem
damals nicht entdeckt hätten?
Wenn man das Problem nicht erkannt hätte, hätte das katastrophale
Änderungen bewirkt. Auch auf der Nordhalbkugel gäbe es dann ein riesiges
Ozonloch.
Was hieße das für unser tägliches Leben?
Die Intensität der UV-Strahlen wäre um 20 Prozent höher, die Hautkrebsrate
um 30 Prozent. In Australien ist bereits jetzt das Problem mit dem
Hautkrebs so groß, dass es im Wetterbericht einen UV-Index gibt. Das wäre
hier noch viel schlimmer und deutlicher gewesen. Auch die Landwirtschaft
wäre betroffen, weil manche Pflanzen nicht mehr gedeihen würden.
Wie knapp sind wir der Katastrophe entgangen?
Das ist schwer zu beschreiben. Vielleicht am ehesten mit diesem Vergleich,
den der Klimaforscher Hartmut Graßl zieht, wenn er fragt: Ist es beim
Klimawandel noch fünf vor Zwölf? Beim Ozonloch waren wir jedenfalls noch
näher an der Katastrophe.
Zwei vor Zwölf?
Eher zwei Minuten danach.
Wissen die Leute heute eigentlich, wie knapp die Menschheit damals am
Untergang vorbeischrammte?
Das glaube ich nicht. Das wissen nur die, die damals mitgemacht haben und
ein paar dazu, die sich erinnern. Wie knapp es damals war, ist der Mehrheit
der Menschen kaum präsent. Der wirkliche Schreck war eine Sache der
Experten.
Die Entdeckung des Ozonlochs war nur durch eine Verkettung glücklicher
Umstände möglich. War es wirklich der Zufall, der uns gerettet hat?
Es hätte auf jeden Fall viel schlimmer kommen können, denn Anfang der 70er
Jahre wussten wir sehr wenig über die Chemie der Atmosphäre. Allein, wenn
die Industrie Brom statt Chlor für ihre Zwecke verwendet hätte...
... für Kühlschränke und Treibmittel in Spraydosen zum Beispiel...
Ja, wenn das zum Einsatz gekommen wäre, dann wäre eine Katastrophe wohl
nicht zu vermeiden gewesen. Wir hätten schon Mitte der siebziger Jahre ein
Riesen-Ozonloch gehabt, aber nicht nur über der Antarktis, sondern in der
ganzen Welt. Dann wären auch wir zu spät gekommen mit unserer Entdeckung.
Was lernt man daraus für die Gefahren, die von menschlichem Handeln
ausgehen?
Überraschungen sind nie auszuschließen. Man denkt natürlich an unser
aktuelles Klimaproblem. Das Ozonloch war eine ungeheure Überraschung, nicht
vorhersagbar. Die Forscher haben dieses Problem einfach nicht gesehen. Wer
schließt denn jetzt aus, dass es im Klimabereich nicht ähnliche
Überraschungen geben wird: Instabilitäten, die man vorher nicht
berücksichtigt. Es wird Sachen geben, an die wir jetzt noch gar nicht
denken.
Vorher war diskutiert worden, dass der Mensch die Welt bewusst vernichten
könnte - etwa mit Atomwaffen. Das Ozonloch war der erste Hinweis, dass der
Mensch eine globale Katastrophe auch herbeiführen kann, ohne es zu wissen
und zu wollen.
Die Haltung Anfang der siebziger Jahre in der Wissenschaft war: Wir
Menschen sind so klein, wir können die große Natur nicht zerstören. Das hat
beispielsweise auch James Lovelock beeinflusst. Er hat große Entdeckungen
gemacht, er hat die FCKW in der Atmosphäre gemessen. Aber dann hat er
behauptet, die FCKW hätten keinen Einfluss auf die Atmosphäre. Später hat
er bereut, dass er das gesagt hat.
Haben Sie sich erschreckt, als Sie das erste Mal realisiert haben, dass Sie
an einer potenziell globalen Katastrophe forschen?
Ja, ich war sehr beeindruckt. Mir war bald klar, dass das eine sehr
ernsthafte Sache würde. Ich bekam einen Vordruck des Aufsatzes meiner
Kollegen Rowland und Molina und sah: Meine Güte, das ist wichtig. Ich habe
das überprüft, Rowland besuchte mich Anfang 1974 in Stockholm. Wir hatten
eine schlaflose Nacht, ich habe ihn darauf hingeweisen, dass er in seinem
Modell eine Reaktion vergessen hatte, und am nächsten Morgen sind wir zu
der Erkenntnis gekommen, dass sein Modell wahrscheinlich doch stimmt. Dann
habe ich das erste vollständige Modell für diese Chlorchemie gebastelt und
das hat Molina/Rowlands These bestätigt.
Als das Modell fertig war, haben Sie es veröffentlicht. Was geschah dann?
Für die Wissenschaft war das ein Schock. Man hatte nicht gedacht, dass so
ein bisschen FCKW in der großen Atmosphäre solche Auswirkungen haben
könnte.
Viele Forscher kamen nur mit Mühe an Geld oder Informationen für ihre
Forschung. Lovelock musste eine entscheidende Reise in die Antarktis aus
eigener Tasche finanzieren, die Messdaten vom Südpol wären fast nicht
veröffentlicht worden. Der normale wissenschaftliche Prozess hat die
Entdeckung des Ozonlochs eher behindert als gefördert.
Es kommen beim chemischen Prozess des Ozonabbaus soviele Zufälligkeiten
zusammen, dass eine solche Wirkung einfach nicht vorstellbar war.
Vielleicht brauchte es deshalb auf der Seite der Wissenschaft genau so
viele Zufälle, um das Problem zu sehen. Erst die langen Messreihen haben es
gezeigt, und wir haben es irgendwann begriffen.
Kann die die Menscheit sich nochmal auf soviel Glück verlassen?
Beim Klimawandel bestimmt nicht. Überraschungen sind wie bei der Chemie der
Atmosphäre nicht ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich.
Als die entscheidenden Messungen 1985 veröffentlicht wurden, wachten auch
die Öffentlichkeit und die Politik auf. Schon 1987 kam es zum
Montreal-Protokoll, das die FCKW-Produktion beendete. Warum ging es dann so
schnell?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren nicht mehr zu leugnen. Und die
Industrie hatte neue Produkte entwickelt, die weit weniger gefährlich waren
als FCKW.
Ist denn der Ausstieg beim Klimawandel auch so einfach?
Es gibt zwar Ersatzprodukte wie die erneuerbaren Energien. Aber unsere
gesamte Ökonomie hängt an den fossilen Brennstoffen, deshalb ist der
Umstieg so viel schwerer. Beim Ozon war es auch einfacher, die Zukunft
vorherzusagen. Beim Klima gibt es viel größere Unsicherheiten als beim
Ozonloch.
Wenn man weiß, wie knapp es damals war -- können Sie dann ruhig schlafen,
wenn Sie daran denken, woran Ihre Kollegen in der Chemie oder der Biochemie
im Moment so forschen?
Doch, ich kann gut schlafen. Die Leute heute sind viel aufmerksamer. Wir
haben uns damals doch nur um das gekümmert, was direkte gesundheitliche
Schäden verursacht hat. Die globalen Probleme sind erst mit der Zeit
sichtbar geworden. Da wird heute intensiv geforscht. Da gibt es heute auch
viel mehr Geld, bessere Computer und mehr Forscher, wir waren doch nur ein
kleiner Haufen damals.
Hat das Montreal-Protokoll mit dem Auslaufen der FCKW das Problem wirklich
gelöst? Oder wird uns das Ozonloch weiter erhalten bleiben?
Die Vereinbarung zum Auslaufen der FCKW in Montreal hat die gefährlichste
Bedrohung entschärft. Es dauert aber eben eine sehr lange Zeit, bis das
Problem aus der Welt ist. Das hängt vom Abbau der FCKW in der Atmosphäre
ab, die haben eine Lebensdauer von 50 bis 100 Jahren. Bis 2050 oder 2060
wird die Ozonschicht wieder in etwa so sein, wie sie einmal war.
INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER
13 Sep 2007
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Schwerpunkt Klimawandel
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