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# taz.de -- Mit dem Zug nach Bali (Teil II): Nord-Süd-Konkurrenz am Aralsee
> Nach 4.100 Kilometern hat der taz-Reporter den Aralsee erreicht. Seit der
> einst viertgrößte Binnensee der Erde immer mehr schrumpft, kämpfen die
> Anwohner um jeden Tropfen Wasser.
Bild: Fischer auf dem Aralsee.
TASTÜBEK taz Auf die Frage, wie der Fang war, brummt Sakosch Kikbeib bloß.
Seit den Morgenstunden ist er unterwegs, am Nachmittag liegt ein gutes
Dutzend Zander im Boot. Dazwischen zappeln ein paar Flundern. Kikbeib
blickt aufs Meer und sagt: "Nu tak: Normalno!" Ein ganz normaler Fang.
Früher ist Kikbeib mit riesigen Trawlern auf das Aralskoje Morje, den
Aralsee, gefahren. Seine Fischgenossenschaft belieferte fast die gesamte
Sowjetunion, jedes Kind wollte Fischer werden. Heute rudert Kikbeib allein
hinaus. Viele seiner ehemaligen Kollegen züchten Kamele.
Nirgendwo sonst hat der Mensch das lokale Klima derart aus dem Takt
gebracht wie in Zentralasien. Bis in die 1960er-Jahre hinein war der
Aralsee das viertgrößte Binnenmeer der Erde, fast so groß wie Bayern. Dann
aber ersannen die Sowjets einen gigantischen Plan: Um weltgrößter Exporteur
von Baumwolle zu werden, gruben sie 700.000 Kilometer Bewässerungskanäle in
die Steppen Kasachstans und Usbekistans - und damit dem Syr-Daria und dem
Amu-Daria das Wasser ab. Weil damit die beiden einzigen Zuflüsse allmählich
versiegten, sank der Pegel des Aralsees. Seine Fläche schrumpfte auf ein
Viertel zusammen. Heute sind nur drei kleinere Seen geblieben: zwei im
Süden, einer im Norden.
Dusbai Sitmenbetow gehörte früher zur Leitung der Fischereigenossenschaft.
Jetzt ist er eine Stunde aus Tastübek hergefahren, um Kikbeibs Fang
abzuholen. Muschelschalen knirschen unter seinen Gummistiefeln. Der
55-Jährige zeigt nach oben: "Dort an der Klippe stand der See in meiner
Jugend." 37 Meter Höhe hat er seitdem verloren.
In manchen Gegenden Usbekistans ist die Küstenlinie um 150 Kilometer
zurückgewichen. Mitten in der Steppe rosten nun Schiffsrumpfe vor sich hin.
"Na komm schon", sagt Sitmenbetow. "Ist doch nicht so schlecht, dein Fang."
Kikbeib brummt.
Der kleiner werdende Aralsee hat noch eine weitere Folge: Jahrhundertelang
verdunstete hier das Wasser, das dann über den Bergen des Tientschans als
Niederschlag herunterkam. Nun bleibt dieser Regen aus, der Hunger nach
Wasser steigt: Wurden 1960 noch 4,5 Millionen Hektar künstlich bewässert,
waren es im 2000 schon 8 Millionen Hektar. Auch das dafür benötigte Wasser
fehlt dem Aralsee.
Wo die Fischer einst reichen Fang einfuhren, schimmern heute vielerorts
Salzkrusten. Der hohe Salzgehalt des Sees ist durch die
Baumwolllandwirtschaft entstanden, die gigantische Mengen
Pestizidrückstände über die ehemaligen Zuflüsse hineinspülte.
Untersuchungen der Universität Almaty ergaben, dass von diesen ehemaligen
Seeböden allein zwischen 1970 und 1990 mehr als 2,8 Milliarden Tonnen
Feinstaub, Sulfate und Chloride durch Stürme und Verwirbelungen in die
Atmosphäre gelangten. Überall auf den Feldern Zentralasiens und sogar auf
den Gletschern des Tientschans wurden Sand und Salz des Arals nachgewiesen.
Sie richteten dort schwere Schäden an: Die Gletscher verkraften die
Salzfracht nicht, ein rasanter Rückgang ihrer Eismasse ist die Folge.
"Es wird schon werden", sagt Sitmenbetow, als er die Fische in die
mitgebrachten Ledertaschen füllt. Und obwohl nicht klar ist, was er meint:
Zumindest für den Nordsee gibt es ein bisschen Hoffnung. Seit die Weltbank
2004 einen 84 Millionen Dollar teuren Damm finanzierte, steigt der
Wasserstand wieder an. "7 Meter" sei das Wasser zurückgekehrt, sagt
Sitmenbetow und lächelt zum ersten Mal. Ohne den Damm wäre das Wasser des
nördlichen Zuflusses, Syr-Daria, nicht im Nordsee geblieben, sondern in die
zwei anderen Seen geflossen. Die trocknen weiter aus. "Das ist gerecht.
Unser Zufluss führt noch Wasser. Der bei den Usbeken nicht", sagt
Sitmenbetow. "Warum soll unser Wasser in deren Seen fließen?"
22 Oct 2007
## AUTOREN
Nick Reimer
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